Deutscher Reporterpreis 2015: Cordt Schnibben

Cordt Schnibben | Foto: © Jörg Wagner
Cordt Schnibben | Foto: © Jörg Wagner


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Was: Eröffnungsrede zum Deutschen Reporterpreis 2015 vom Reporter-Forum
Wer: Cordt Schnibben, Journalist, „Der Spiegel“, Mitgründer Reporter-Forum, Leitungsmitglied
Wo: Berlin, Meistersaal, Köthener Straße 38
Wann: 07.12.2015, 19:43 Uhr

Preisträger
Preisträger

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Rede Cordt Schnibben
(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

00:11
Ja, so kriegt man einen Saal ruhig. Möglichst laut Rumballern. Herzlich willkommen zum Deutschen Reporterpreis 2015. Besonders begrüße ich die über den Saal verteilten 76 Vor-Juroren, die die schöne Aufgabe hatten, sich in einem Monat durch 1.400 Texte zu lesen und daraus die nominierten Texte zu filtern, die dann heute wiederum die 25 Juroren, sich angucken durften, um daraus dann die elf Preisträger zu destillieren, die jetzt im Laufe des Abends Ihnen dann vorgestellt werden. Herzlichen Dank für die Vor-Juroren und die Juroren. (Beifall)

01:01
Eine der Juroren heute war Diana Zinkler. Die hebe ich hervor, weil sie eigentlich steht für diesen Reporter-Preis, so wie wir uns ihn vorstellen. Das heißt, im Netz können sich ja Teilnehmer unseres jährlichen Workshops beteiligen an der Jurierung in der Kategorie “Beste Reportage” und dann losen wir aus … in einem komplizierten Verfahren aus denen, die sich da beteiligen, die eine Frau oder den einen Mann aus, der dann heute teilnehmen darf an dieser Jury. Diana Zinkler ist Text-Chefin in der Funke-Zentralredaktion. Und sie ist insofern ein Sinnbild, weil bei uns eigentlich die Diskussion über Texte der Sinn des Preises, nicht so sehr das Preisgeld, dass es bei uns gar nicht mehr gibt, weil wir irgendwann zu wenig Geld hatten, um Preisgelder auszugehen. Immerhin reicht das Geld aber für das Essen und den Wein hier. Wer sich beklagt, überweist uns doch bitte mal eine Spende, um das Essen und den Wein noch besser zu machen.

02:03
Wir haben zwei … vor sieben Jahren haben wir angefangen und damals eine Ausschreibung fabriziert, die ging ungefähr so: der Sinn eines Journalisten-Preises ist die Diskussion darüber, was ausgezeichneter Journalismus ist. Wir verstehen den Reporter-Preis deshalb als Beitrag zur Qualitätsdebatte im Journalismus, als großes Forum der Auseinandersetzung, als Schaufenster der vorbildlichen Texte. Wir wollen möglichst viele Journalisten motivieren, solchen Texten nachzueifern und besonders dort Anreize schaffen, wo gute Texte unter schwierigen Bedingungen entstehen. 2009 formuliert, in Stein gemeißelt und heute immer noch gültig mit dem kleinen Problem, über das ich heute Abend nicht reden will, dass wir das Gefühl haben, wir werden immer besser. Aber die Leser haben das Gefühl, wir werden immer schlechter und lesen uns weniger und vor allen Dingen kaufen uns weniger.

02:52
Vor sieben Jahren haben wir sehr weitsichtig diesen Preis eingerichtet als Print- und Online-Preis. In diesem Jahr haben wir Daten-Journalismus, Innovation und andere Kategorien dazu gepackt, um noch mehr eigentlich deutlich zu machen, dass Journalismus eine Sache ist, die sich jedes Jahr verändert und darum müssen sich auch die Preise verändern. Damals, 2009, hatten wir drei, vier wichtige Menschen, die uns auf die Beine geholfen haben: einmal Doris Dörrie, die in der Jury war, Claus Kleber, der in der Jury war, Axel Hacke – die sind auch jetzt wieder dabei und wir hatten Frank Schirrmacher. Frank Schirrmacher hat auf der ersten Preisverleihung die Rede gehalten. Und die habe ich mir noch einmal angeschaut und wenn ich heute so ein bisschen angefasst bin, dann liegt das daran, dass mich im Laufe des Nachmittags zwei, drei Mal die Dinge so übermannt haben, dass ich mal gucken musste, was in der Minibar des Hotels Soho-House, so vorrätig ist.

03:59
Frank Schirrmacher hat damals in seiner Rede etwas gemacht, was ich nur zitieren kann, weil ich kein Frank Schirmacher bin. Er hat den Bogen geschlagen vom Theater zum Journalismus. Er hat damals gesagt, das Theater des Aristoteles ist quasi wie ein Leitartikel. Er braucht den Chor, der für die Blödmänner nochmal sagt, was eigentlich der Sinn des Artikels ist. Und dann gibt es das Drama von Shakespeare, wild, chaotisch, narrativ und vor allen Dingen ein Drama, das ohne eindeutige Botschaft auskommt. Und ich wollte mich dann eigentlich so jetzt an diesem Gedanken weiter hangeln im Laufe des Nachmittags und wollte die ganze Flüchtlingskrise zerteilen in Aristoteles und Shakespeare. Aber mich hat dann übermannt eigentlich der viel wichtigere Gedanke, dass uns Frank Schirrmacher fehlt. Als Stimme des bürgerlichen Lagers, das in die Zukunft denkt, weil in den letzten Wochen und Monaten hab ich eigentlich aus Blättern wie FAZ, Welt leider auch Cicero oder anderen Blogs immer nur dieses ängstliche, nach hinten gewandte Denken erlebt, in schrecklichen Texten, in schlimmem Ton, in ganz seltsamen Gedanken und für mich ist in diesen letzten Monaten oder in diesem Jahr ist nicht nur Matussek durchgeknallt, sondern einige sind durchgeknallt, die ich eigentlich sehr, sehr schätze. (Beifall)

05:50
Drei Dinge haben mich in diesen Texten gestört. Einmal dieser weltabgewandte Migrationsrassismus. Also in dem, der zu uns kommt, zunächst den sehen, der uns stört. Und hinter diesem Rassismus steckt, glaube ich, das Unvermögen zu realisieren, dass, wenn man in einem Land wie Deutschland lebt, das eine große Wirtschaftsmacht ist, das Waffen exportiert, dass man einfach ertragen, hinnehmen und zum Teil auch genießen muss, dass viele Menschen auf der Welt uns so toll finden, dass sie herkommen möchten. (Beifall)

06:31
Zweitens hat mich gestört diese ganz billige Merkel-Fixiertheit. Weil sie letztendlich alle Probleme reduziert auf ein paar Merkel-Selfies und auf irgendeine Äußerung an irgendeinem Wochenende. Zu glauben, dass das die Ursache ist für Völkerwanderung ist eine solche Verniedlichung dieser Probleme, dass man sich tatsächlich einen Frank Schirrmacher zurück wünscht. (Beifall)

07:02
Drittens dann diese lähmende Angst-Front, die längst von den Straßen Dresdens über PEGIDA, AfD, nicht über Facebook, sondern auch in die Redaktionen dieser Zeitungen geschwappt ist und immer dieses Reden oder Schreiben darüber, man müsse den besorgten Bürger ernst nehmen und darum müsse man halt seine Sorgen anheizen, anders erlebe ich diese Texte nicht.

07:32
Bei uns im Spiegel, im Atrium steht dieser schöne Spruch von Rudolf Augstein “Sagen, was ist” und jeden Morgen, wenn ich da in diesen Wochen an diesem Spruch vorbeigekommen bin, habe ich ihn quasi ergänzt “… und bedenken, was daraus folgt.” Ich glaube, heutzutage kann man nicht einfach sagen, was ist oder schreiben, was ist, sondern man muss sich auch als Journalist darüber klar werden, was man mit dem, was man schreibt, bewirkt. Es muss ja nicht so weit gehen, dass man dann den Chor in den Texten auftreten lässt.

08:04
Ich erlebe den deutschen Journalismus tief gespalten als eine Abteilung, die hält die andere für herzlos und wiederum die andere Seite hält die andere für kopflos. Ich bin mehr bei den Kopflosen, aber ich halte auch diese Trennung für Blödsinn. Als wenn es Gefühle gibt, die nicht durch den Kopf gehen. Jedes Gefühl von Liebe wird im Kopf geprüft und auch Empathie für Flüchtlinge wird im Kopf geprüft. Andererseits jeder, der Obergrenzen für vernünftig hält und sie herbeischreiben möchte, ist auch nicht herzlos. Also, dort ist von beiden Seiten, glaube ich, mehr Verstand nötig.

08:49
Diejenigen, die sich in der Helferszene engagieren, unterscheiden sich letztendlich von denen, die sich nicht engagieren nur in einem Punkt. Sie haben begriffen, wie wichtig Integration ist und darum fangen Sie einfach damit mal an. Und der junge Syrer Muhammad mit abgeschlossener Medizinerausbildung, der seit zwei Monaten bei uns im Hause lebt … wenn man fünf Kinder hat, kommt es auf das sechste auch nicht mehr an, zumal wenn die fünf Kinder aus dem Haus sind … der wird in ein oder zwei Jahren irgendwo in einem deutschen Krankenhaus sein, weil er gut Englisch spricht, weil er jeden Tag vier Stunden Deutschunterricht nimmt. Um den mache ich mir keine Sorgen.

09:38
Ich mache mir ein bisschen Sorgen um seine fünf Freunde, die mit ihm zusammen aus Hama bzw. Allepo gekommen sind. Da würde ich sagen, zwei von den schaffen’s möglicherweise nicht. Aber das ist ja kein Argument gegen Angela Merkel oder wen auch immer. Das ist einfach nur die Aufforderung auch um diese neuen Bürger zu kämpfen. (Beifall)

Heute Nachmittag hat mich eine zweite Sache sehr beschäftigt, nämlich dieses Zitat, was jetzt den Journalisten immer entgegengehalten wird, die sich im weitesten Sinne für die Aufnahme von Flüchtlingen stark machen, nämlich das berühmte Zitat von Hanns Joachim Friedrichs, ein Journalist soll sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten. Ich bin sozusagen nicht Erfinder oder Schöpfer, aber ich bin Transporteur dieses Zitats, weil ich damals zusammen mit Jürgen Leinemann am Sterbebett von … Scheiße … von Hanns Joachim Friedrichs diesen … Entschuldigung … diesen Satz gehört habe und da haben wir natürlich nachgefragt, was meinst du damit? Und er hat es eingegrenzt eigentlich in einem sehr politischen, gerade parteipolitischen Sinne. Also, wenn die SPD das Ehegattensplitting abschafft und ich als Journalist finde es gut, dann darf ich in der Anmoderation des Beitrages nicht erkennen lassen, dass ich das gut finde. Also eine ganz simple, kleine Sache. Daraus zu machen, dass ein Journalist quasi ein haltungsloser, emotionsloser Moderator, Journalist sein sollte, dem man seine Haltung nicht anmerkt, ist eine vollkommene Pervertierung. (Beifall) Und wenn man sich heute angucken will im Deutschen Fernsehen, wie man Haltung transportiert, ohne zu missionieren, dann soll man Caren Miosga, Anja Reschke, Claus Kleber oder in Österreich Armin Wolf zuschauen. (Beifall)

12:11
Für mich ist in den letzten Monaten der Begriff oder nicht der Begriff, sondern die Institution Qualitätsjournalismus zerfallen. Es war immer ein komischer Begriff, als gäbe es irgendwie die Stiftung Warentest oder irgendein TÜV-Siegel für Zeitungen. Das ist vollkommener Unsinn. Was es gibt tatsächlich, habe ich gelernt in diesen Monaten, sind Qualitätsjournalisten, den ich vertraue. Was bedeutet, dass andere ihn möglicherweise nicht vertrauen. Also, es sind Journalisten meines Vertrauens, den ich vertraue, weil ich über Monate Jahre gesehen habe, wie sie die Welt sehen und wie sie darüber schreiben. Es ist etwas vollkommen subjektives. Und es beinhaltet genauso Blogger wie Richard Gutjahr, Stefan Niggemeier oder Sascha Lobo wie eben auch bestimmte Redakteure, die ich besonders jetzt in dieser Flüchtlingskrise als Leuchtturmtürme für mich wahrgenommen habe, wie beispielsweise Bernd Ulrich oder Sascha Lehnartz, Martin Kaul von der taz oder Ullrich Fichtner, meinen Kollegen. Aber das sind meine Qualitätsjournalisten.

13:21
Und was ich toll finde, hat heute Abend hier überhaupt nichts zu suchen, sondern wir haben eine große Jury, die sich den ganzen Tag Gedanken gemacht hat. Sie hat ihre Preisträger gekürt und das ist quasi der einzige Trost für die Journalisten, die heute hier keine Preise … und das sind verdammt viele, also ich schätze mal knapp 300 werden hier heute keine Preise gewinnen: Ich hoffe, Sie haben trotzdem einen schönen Abend. Sie können sich bisschen trösten damit, dass es eben 25 Idioten, Journalisten mit Halbwissen, sympathische Kerle, die keine Ahnung von dem Text haben, den Sie geschrieben … usw.usf. Sie können sich dann später an der Bar darüber auslassen und ich werde Ihnen geduldig zuhören. Und Sie können sich trösten mit den immerhin 76 Journalisten, also die dreifache Menge, die Sie nominiert hat. Und ich möchte Ihnen sozusagen zu dem kurzen Moment des Ruhmes verhelfen, in dem ich Sie jetzt mal bitte, aufzustehen, damit Ihre Leute rund um Sie herum erkennen, dass diese 76, nein diese 95 Journalisten auch ganz großartige Gewinner sind. Also bitte mal aufstehen und sich feiern lassen (Beifall)

15:19
Ja, ein kurzer Moment des Ruhms, der jetzt in sich zusammen fällt. Tut mir leid. Für alle, die jetzt gleich nicht gewinnen werden, habe ich drei Ratschläge. Erstens ich war immer dann gut, wenn ich keinen Preis gewonnen habe, Che Guevara folgend “Verwandelt euren Hass in Energie!” (Klatschen). Also, nutzt diese Energie, um in den folgenden Wochen Deutschland in Grund und Boden zu schreiben.

15:53
Zweitens beteiligt euch am Nannen-Preis! Einsendeschluss ist der 6. Januar. Die haben nach einem Jahr Pause sich … das meine ich gar nicht ironisch … wieder gerappelt. Also, neues Spiel, neues Glück und drittens wir haben reichlich Alkohol vorrätig, auch von unserem Sponsor für diesen Abend, dessen Namen ich jetzt gerade vergessen habe. (Klatschen)

16:23
Am Ende des Abends vierter Ratschlag, bitte dieses Buch mitnehmen, was irgendwo im Foyer an einem Bücherstand liegt. Das heißt “Ins Herz der Welt”. Das sind Texte von Preisträgern der letzten Jahre, erschienen im Ankerherz Verlag, einem Verlag und einem Verleger mit viel Herz und viel Verstand und vor allen Dingen der schönen Geste, dass der Reinerlös dieses Buch dem Reporter-Forum und dem Reporterpreis zugutekommt. (Beifall)

17:03
Jeder Preis braucht Geld. Wir eigentlich sehr wenig. Aber immerhin wir brauchen auch Geld. Und dass es jedes Jahr kommt, das liegt an der Rudolf-Augstein-Stiftung und dem großzügigen Sponsor Augustinum. Sie werden sich fragen, Augustinum das ist doch dieses Heim für sehr gut betuchte Senioren. Ja, das ist es. Und dort müssen, dürfen, können die Preisträger dann immer den älteren Herrschaften aus ihren Texten vorlesen. Herzlichen Dank, herzlichen Dank diesen beiden Geldgebern! (Beifall)

17:47
Der letzte Dank gebührt dem Mann, der gleich durch den Abend führen wird. Nüchterner als ich. Er ist Radio-Moderator, TV-Moderator, Schriftsteller. Vor allem aber ist er der James Bond unter den Journalisten. Immer elegant. Immer eloquent. Gerührt noch besser als geschüttelt. Es ist Jörg Thadeusz. Er wird die Preisträger interviewen. Aber, jetzt dann zunächst mal das Video ab für die erste Kategorie “Freier Reporter”. Und ich danke Ihnen, dass Sie mich hier so durch diese Rede begleitet haben. Dankeschön! (Beifall)


(Fotos: © Jörg Wagner)







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3 thoughts on “Deutscher Reporterpreis 2015: Cordt Schnibben

  1. Danke und Prost und vor den Vorhang! Wunsch eines Lesers (ich): Da gute Journalisten nicht nur die Fakten und HIntergründe zu interessanten und aktuellen Themen/Ereignissen kennen (sollten), sondern auch die (annähernd guten) Argumente aller sichtbar und unsichtbar daran Beteiligten, Nutznießer und Benachteiligten, wäre es für mich als Leser eine gute – und bisher schmerzlich vermisste – Orientierung, wenn diese Argumente gut sortiert, gut und langweilenlos beschrieben und mir zum Durchlesen vorgesetzt werden könnten. Und erst danach, wenn es denn sein muss oder wenigsten witzig ist, die eigene Meinung des Journalisten. Der bisher unaufhaltsame und ständige Tsunami der eigenen Meinungen schwappt schließlich den guten Journalismus oft weg in die dahinter liegende Ebene des schlechten.
    Vielleicht kann mir jemand mitteilen, wo ich, wenn schon nicht täglich, so doch wenigstens wöchentlich solche Argumensammlungen oder -gegenüberstellungen oder -gewichtungen lesen könnte. Vielleicht bin dann nicht nur ich SEHR dankbar, sondern sogar die preisverleihende Jury.

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