Ohne Blog, aber „Goldener Blogger 2015“: Lorenz Maroldt

Lorenz Maroldt | Foto: © Jörg Wagner


Der Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt wurde am 25.01.2016 zum „Goldenen Blogger 2015“ in der Kategorie „Beste Blogger ohne Blog, aber mit Newsletter“ gekürt. Maroldt gibt seit November 2014 morgendlich als Newsletter den „Checkpoint“ heraus, in dem sehr ausführlich das Wichtigste über Berlin zusammengetragen und pointiert kommentiert wird.

Wer: Lorenz Maroldt, Chefredakteur „Der Tagesspiegel“, Checkpoint-Newsletter-Autor
Was: Interview am Rande der Preisverleihung
Wann: rec.: 25.01.2016, 21:23 Uhr
Wo: BASECAMP, Mittelstraße 51-53, 10117 Berlin

Vgl.: Die Blogger des Jahres 2015, Daniel Fienes Weblog

(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

Lorenz Maroldt – Jörg Wagner | Foto: © Jürgen M. Edelmann

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Lorenz Maroldt: Lorenz Maroldt, Tagesspiegel-Chefredakteur und Herausgeber und Schreiber des “Checkpoint”.

Jörg Wagner: … und Goldener Blogger 2015. Herzlichen Glückwunsch! Für eine Kategorie, die ja mit Bloggen eigentlich nichts zu tun hat, aber trotzdem, wenn man es mal klassisch nimmt, was ein Blog ist, nämlich ein Web-Tagebuch, dann ja schon wieder und damit passt es auch ganz gut. Sie geben einen E-Mail Newsletter heraus, der sich “Checkpoint” nennt. Seit wann?

Lorenz Maroldt: Seit gut einem Jahr, also November 2014 genau: Und in der Tat, das ist so eine Art Tagebuch. Es ist ein Berlin-Tagebuch, in das ich eigentlich alles schreibe, was für Berlin aus meiner Sicht interessant und relevant ist. Da sind stadtlebige Sachen drin. Da sind viele Nachrichten drin. Da sind aber auch viele kleine Begebenheiten drin, die diese Stadt auszeichnen, die sie charmant machen und manchmal eben auch ärgerlich machen.

Jörg Wagner: Genau, aber zu einem Zeitpunkt verfasst, wo andere Menschen gerne schlafen. Sind Sie Frühaufsteher oder mit Schlafstörungen versehen?

Lorenz Maroldt: Weder noch. Ich stehe zwar früh auf, um meine Tochter in die Schule zu bringen. Aber Schlafstörungen habe ich nicht. Ich habe gelernt, dass ich relativ auf Kommando sofort einschlafen kann. Ich schreibe das Ding in der Tat sehr oft bis tief in die Nacht. Und nutze die eine oder andere Stunde am Morgen, um dann nochmal ein bisschen Schlaf nachzuholen.

Jörg Wagner: Wie sind Sie auf diese Idee gekommen? Was war die Initialzündung?

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Lorenz Maroldt: Also mehrere eigentlich. Eine Beobachtung, die viele machen, dass es im Bekanntenkreis, Freundeskreis … es gibt sehr viele Menschen, mit denen man diskutiert über alles mögliche, was die Stadt betrifft, aber immer mehr sagen, ich habe zwar noch ein Abo, aber ich komme morgens gar nicht mehr dazu, zu lesen oder andere sagen, ich habe es jetzt mal abgeschafft, weil ich schaffe es einfach nicht mehr. Und die Idee war, einfach diese Leute zu erreichen, die eigentlich sich für die gleichen Dinge interessieren, mit denen wir uns in der Zeitung beschäftigen auf eine andere Art und Weise. Und die andere Geschichte ist eigentlich so eine typische Berlin-Geschichte auch. Ich habe versucht, so typische Berlin-Szenen und Situationen aufzugreifen. Also, z. B. man trifft sich und sagt, lass uns essen gehen. O.k., wo gehen wir hin? Sag du, nein du. Der eine traut sich nichts vorzuschlagen. Dem anderen fällt erst gar nichts ein. Also, habe ich gesagt, jeden Tag ein Restaurant-Tipp oder auch so ein Klassiker: eine ganz tolle Ausstellung eröffnet, die Zeitungen sind voll. Der normale Berliner sagt, ist ja prima, ich wohne hier, fährt mal vorbei, 3 km Touristen und sagt sich, dauert ja drei Monate die Ausstellung, kann ich immer noch hin. Das nächste Mal hört er dann davon morgens bei radioeins die Nachricht, gestern endete mit Rekordbesuch die Sensationsausstellung. Und man gibt sich die Kugel. Wieder verfasst. Also ist der “Checkpoint” also auch dazu da, nicht auf eine Ausstellung, die eröffnet hinzuweisen, sondern auf eine die ausläuft: noch sieben Tage, liebe Berliner, müsst ihr hin.

Jörg Wagner: Ein “running gag” ist ja auch der Flughafen BER. Insofern gibt es auch eine serielle Struktur bei Ihnen. Aber trotzdem muss man ja auf die Idee kommen, ich bin nicht ausgelastet. Sind Sie nicht ausgelastet als Chefredakteur, weil Sie ja eine Doppelspitze haben in dieser Funktion?

Lorenz Maroldt: Na, ich bin sehr gut ausgelastet. Und trotzdem macht es nicht nur Arbeit, sondern es macht rasend viel Spaß. Es entspricht im Grunde genommen. glaube ich, dem, dem sich alle Chefredakteure, alle Leute, die sich eigentlich mit Medien beschäftigen, die diese Situation haben, was können wir tun, um jenseits des Gelernten, Menschen zu erreichen, mit dem, was wir gerne machen, nämlich Journalismus. Und da spielt es eigentlich keine Rolle, ob der nun in Rinde geritzt wird oder in digitale Ziffern umgerechnet oder eben auch als Newsletter verschickt wird. Und die Idee des Newsletter, der als Werbenewsletter ja eigentlich schwer in Verruf geraten war und tot war, war eben nicht nur Werbung zu machen oder überhaupt Werbung zu machen, sondern einfach zu informieren. Und deswegen ist es auch keine reine Tagesspiegel-Werbung, sondern da steht auch drin, was hat die Berliner Zeitung exklusiv, was hat die Morgenpost exklusiv, welche tollen Berlin-Blogs gibt es usw. usf.

Jörg Wagner: Gibt es dafür ein Vorbild oder ist das tatsächlich intuitiv entstanden?

Lorenz Maroldt: Es gibt in der Tat Blogs, die so ähnlich arbeiten. Deswegen ist es auch nicht völlig verkehrt, auch wenn die Kategorie natürlich eine Königskategorie ist, “Blogger ohne Blog, aber mit Newsletter”. Also, da bin richtig stolz drauf. Aber so in der Form als Newsletter kenne ich das nicht. Es gibt natürlich Newsletter auch von Chefredakteuren, die auf tolle Stücke in der eigenen Zeitung hinweisen, aber ich wollte eigentlich ein eigenes Produkt machen für die Leute, die eben keine Zeitung mehr lesen. Der Erfolg ist ehrlich gesagt schon so überraschend für manche Verlagsleute auch, die gesagt haben, wir kannibalisieren uns doch selber. Und ich habe immer argumentiert, lass es uns versuchen, weil, wenn die Leute wegen eines Newsletters die Zeitung abbestellen, verlieren wir die ohnehin. Und das Ergebnis ist genau umgedreht. Wir haben mehrere 100 Menschen, die bei einer Umfrage gesagt haben, über den “Checkpoint” sind sie auf die Idee gekommen, ich bestelle mir mal ein Tagesspiegel-Abo. Das ist auch eine Imagegeschichte gewesen. Also, insofern bin ich damit auch sehr zufrieden.

Jörg Wagner: Nicht nur Sie sind zufrieden und die die sie gewählt haben, sondern auch der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, weil der das ausdrücklich gelobt hat neulich auf der Jahrespressekonferenz. Und gesagt hat, das macht Schule. Also Ihr Beispiel ist sozusagen auch von anderen aufgegriffen worden. Ich dachte immer die eMail sei tot. Viele sagen, man muss bei Facebook sein. Sehen Sie da möglicherweise das nur so als Mode momentan oder ist das tatsächlich ein neues Genre, was Sie da kreiert haben?

Lorenz Maroldt: Also, ich glaube, dass das auch wieder vorbei sein kann. Ich glaube, dass Werbe-Newsletter nach wie vor tot sind. Die werden nicht gelesen. Aber es ist eine Möglichkeit, quasi zu den Leuten zu kommen und sich jeden Morgen in Erinnerung zu rufen. D.h. wir wissen von den “Checkpoint”-Lesern, dass das mit das erste ist, was die morgens machen. Die stehen auf, werden vom Smartphone geweckt, checken die Mails, haben den “Checkpoint”, fliegen drüber und haben schon das Gefühl, sie sind informiert, ein bisschen amüsiert, das ist ja durchaus nicht nur eine Vermittlung von Nachrichten, sondern eben auch eine unterhaltende Vermittlung von Nachrichten. Es ist durchaus gewollt und auch erreicht, sagen auch viele, dass sie morgens das erste Mal lächeln, wenn sie den “Checkpoint” lesen und dann gut gelaunt zum Kaffee weiterwandern. Das ist eine andere Art der Vermittlung von Informationen, die möglicherweise auch mal anders funktioniert als über Newsletter. Aber das Prinzip, dass man quasi, ich habe das mal genannt, den Leuten die Tür eintreten, bevor sie überhaupt wach sind, also da sein, ja? Das ist, glaube ich, schon wichtig, dass man nicht wartet, bis die Leute zu einem kommen, sondern dass man zu den Leuten selber kommt und sagt hier bin ich, wenn ihr mich haben wollt, bin ich jeden Morgen für euch da. Und wenn nicht, bestellt mich einfach ab.

Jörg Wagner: Es kann aber auch damit zusammenhängen, dass man von Chefredakteuren so eine direkte Kundenbeziehung nicht gewöhnt ist, dass das auch etwas ist, was mit dem Thema Glaubwürdigkeit auch zu tun hat, dass Sie dadurch nicht nur authentisch sich herüber bringen können, sondern auch tatsächlich mit Kraft einer gewissen Autorität dem Zeitungskäufer als Mensch erscheinen, weil normalerweise sieht man ja nur das Produkt und sieht gar nicht die Leute dahinter. Ist das für Sie selbst eine Erklärung wert oder wie erklären Sie selber den großen Erfolg? Weil Sie haben, ich weiß nicht wieviel, 70.000 oder mehr?

Lorenz Maroldt: Es sind 100.000 knapp inzwischen. Also knapp 100.000 Abonnenten und das sind ja bei weitem nicht alles Tagesspiegel-Leser, sondern im Gegenteil, es sind sehr viele Menschen auch, die eben klassischerweise kein Zeitungsabo mehr haben, die sich aber auf diese Art und Weise auch für Zeitungsinhalte interessieren, also auf die Webseite gehen oder einzelne Artikel abrufen, also insofern, weiß ich gar nicht, ob der Chefredakteursbonus oder -malus, kann es ja auch sein, da irgendeine eine Rolle spielt, weil für viele “Checkpoint”-Leser bin ich einfach nur der Lorenz Maroldt, der Journalist, der ihnen den Morgen-Newsletter schreibt, unabhängig von meiner anderen Funktion. Für die Tagesspiegel-Abonnenten und -Leser ist es natürlich die Kombination von beidem. Und ich glaube schon, das spielt womöglich mit eine Rolle, aber die entscheidende Rolle, glaube ich spielt es nicht mal.

Jörg Wagner: Zumal Sie ja auch eine Helferin haben.

Lorenz Maroldt: Genau. Wir sind inzwischen zu zweit. Oder sagen wir mal, wir sind eigentlich von Anfang an zu zweit, aber es ist in der Tat so, dass die Stefanie Goller sich um diesen ganzen Bereich kümmert: Restaurants, Theater, Ausgehen, Kino, Stadtleben usw. Also diese Redaktion liegt in ihrer Hand. Und das wäre auch alleine gar nicht mehr zu bewerkstelligen, weil das Aufkommen an Arbeit ist so doll gewachsen seit den ersten Ausgaben, die waren ja auch viel kleiner, da haben wir ein bisschen experimentiert und das geht ohne Unterstützung natürlich gar nicht mehr. Weil das ist ja eine kleine Zeitung in sich geworden, eine kleine Zeitung als Newsletter.

Jörg Wagner: Auf der DLD hat der WhatsApp-Gründer Koum gesagt, liebe Privat-Nutzer, Ihr kriegt das jetzt gratis. Aber wir kümmern uns um die Unternehmen, weil die uns entdeckt haben. Vielleicht ist das ja sozusagen die moderne Form auf WhatsApp sowas jetzt demnächst zu machen. Denken Sie darüber nach?

Lorenz Maroldt: Das ist durchaus möglich, ja? Also, das habe ich eben ja auch schon mal gesagt, die Frage, ob das jetzt über einen Newsletter unbedingt vermittelt werden muss, steht für mich nicht im Zentrum. Wenn es andere Wege gibt, die mindestens genauso gut funktionieren, kann das sehr gut sein, dass der Newsletter als solcher relativ schnell auch wieder weg ist, aber das finde ich auch nicht schlimm. Weil für mich kommt es ja nicht auf das Medium an, also wie vermittle ich es, sondern was vermittle ich und ich glaube, dass wir da für Berlin schon auch so eine Lücke gefüllt haben, die es gab und das freut mich und wenn es das nicht mehr in der Form des Newsletter gibt, dann machen wir es halt in einer anderen Form.

Jörg Wagner: Aber noch einmal konkret gefragt, gibt es Überlegungen, auch dieses Medium zu nutzen, also den ganz normalen Messenger, ob es nun vielleicht dann auch in einer erweiterten Form dann bei Facebook ist als Instant Article oder dass man auf anderen Plattformen viel stärker die journalistischen Inhalte ausspielt oder sie adaptiert?

Lorenz Maroldt: Natürlich überlegen wir das. Es gibt auch bestimmte Experimente, die wir schon mal gemacht haben, aber wir müssen natürlich auch daran denken, da wird dran gearbeitet, das kostet eben auch Geld und es muss eben auch Geld reinkommen. Der “Checkpoint” ist für die Leser kostenlos. Der finanziert sich über die Werbung. Und den Werbekunden eine klar definierte Leserschaft anbieten zu können, ist natürlich schon auch wichtig. Das ist ein Wert an sich. Man kann das halt sehr gut nachvollziehen, wer liest was, wann und das geht über diese Form im Moment am besten.

Jörg Wagner: Aber damit man noch einmal die Relation weiß, die Papierausgabe des Tagesspiegels ist …. in welchen Stückzahlen wird die ausgeliefert?

Lorenz Maroldt: Naja, wir sind über 100.000 mit Abos und Einzelverkauf nach wie vor relativ stabil zur Zeit. Aber diese Leute zahlen als Leser dafür. Und das ist eben beim “Checkpoint” nicht der Fall. Deswegen ist es auch schwer, die Abonnentenzahlen zu vergleichen. Ich kann mir gut vorstellen, dass der “Checkpoint” auch funktioniert mit einem Bezahlmodell. Aber im Moment läuft er so wie er läuft sehr, sehr gut. Und es gibt auch keine Notwendigkeit, dass im Moment zu probieren.

Jörg Wagner: Umso freudiger erregt dann, dass Sie diesen Bloggerpreis entgegennehmen durften, wahrscheinlich dann auch wird sich der Verlag jetzt ein bisschen schmücken zu Recht, aber diese Frage kann ich Ihnen nicht ersparen, mal sehen, wie Sie darauf antworten, wie geht es den Freien bei Ihnen?

Lorenz Maroldt: (lacht) Ja Ja. Da ist eine Menge Unsinn erzählt worden. Auch in Sendungen, die ich ansonsten sehr schätze, wurden also Gerüchte verbreitet. Tatsache ist, wir beschäftigen selbstverständlich wieder Freie. Das war eine befristete Aktion. Das hat längst nicht alle Freien getroffen. Und der Umfang – und das muss man auch mal sagen – der Umfang, in dem wir diese Aktion machen mussten, vom Verlag gewollt und alternativlos, ist verhältnismäßig gering zudem, was bei anderen Häusern zurzeit passiert. Wir haben keine Massenentlassungen vor. Ich habe gerade heute wieder gelesen, der Guardian muss auf 20 Prozent verzichten. Das sind alles Kategorien, da machen wir uns gar keine Vorstellungen, was das wirklich bedeutet. Wir haben das so nicht gewollt. Das war etwas, was mit zu den schlimmsten Geschichten gehört hat, die ich in meiner Zeit als Chefredakteur machen musste. Ich hab’ dafür ein gewisses Verständnis, weil unser Verleger Dieter von Holtzbrinck seit vielen, vielen, vielen Jahren den Tagesspiegel mit Herzblut und viel Geld unterstützt und wir natürlich versuchen müssen, aus dieser Situation rauszukommen. Weil mein Anspruch ist es nicht, auch nicht als Chefredakteur, ein Subventionsbetrieb zu sein. Es muss ein Weg gefunden werden, dass die Arbeit, die viele Menschen da machen – und es sind sehr viele Menschen auch bei uns – irgendwie bezahlt wird. Anders kann man sich das nicht vorstellen. Und diese Notsituation ist keine Tagesspiegel-Exklusivität, sondern das ist eine, der sich die ganze Branche stellen muss.








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