Paradigmenwechsel bei der Werbung?

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Wer:
* Marc Jan Eumann, Staatssekretär für Europa und Medien der Landesregierung von NRW und Vorsitzender der Medien- und netzpolitischen Kommission beim SPD-Parteivorstand, Berlin
Was: Telefoninterview über die Perspektive der Rundfunkwerbung bei ARD/ZDF
Wann: rec. 12.02.1016, 14:00 Uhr; veröffentlicht in einer gekürzten Fassung im rbb Inforadio: 14.02.2016, 10:44/15:24 Uhr

Vgl.:

* ARD/ZDF werbefrei! – Edmund Stoiber, Ministerpräsident Freistaat Bayern, 18.10.2006

* Pressekonferenz Kirchhof-Gutachten, 06.05.2010 (zur Werbung 23:05/55:40)
* Tom Buhrow zum neuen WDR-Gesetz, wdr.de, 28.01.2016


00:00
Jörg Wagner: Wenn Sie jünger als 60 Jahre alt sind, liebe Breitagszahlerinnen und -zahler sind, dann kennen Sie es nicht anders: Rundfunkwerbung in der ARD. Fast eine Punktlandung macht daher eine alte neue Diskussion, die jedoch, so scheint es nicht mehr nur theoretisch geführt wird. Ist das Ausstrahlen von Werbung für ARD und ZDF noch die richtige Form der Zusatzfinanzierung? Am Telefon begrüße ich dazu Marc Jan Eumann. Er ist Staatssekretär für Europa und Medien der Landesregierung von NRW und Vorsitzender der Medien- und netzpolitischen Kommission beim SPD-Parteivorstand in Berlin. Hallo Herr Eumann!

Marc Jan Eumann: Ich grüße Sie, Herr Wagner!

Jörg Wagner: Sie sind jünger als 60 und können sich einen werbefreien öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorstellen. Warum?

Marc Jan Eumann: Weil ich gern die werbefreien Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konsumiere. Das gilt für den Westdeutschen Rundfunk beispielsweise für das wunderbare Hörfunkprogramm WDR 5 oder für die Programme des DeutschlandRadios: Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur, alles werbefreie Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und davon kann es mehr geben.

Jörg Wagner: Das ist also sozusagen ein ästhetischer Grund, den Sie da haben?

Marc Jan Eumann: Es ist, glaube ich, mehr als Ästhetik. Der Anlass, warum diese Debatte insgesamt an Fahrt genommen hat, hängt sicherlich mit der Umstellung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zusammen. Grundlage für diese Umstellung, die ja sehr erfolgreich jetzt vor über drei Jahren vollzogen worden ist, war ein von ARD, ZDF und Deutschlandradio in Auftrag gegebenes Gutachten von Professor Kirchhof. Und Professor Kirchhof hat in diesem Gutachten sehr deutlich artikuliert, dass, wenn nicht mehr in Zukunft die gerätebezogene Gebühr, sondern jeder Haushalt und jede Betriebsstätte zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beiträgt, dass das auch Konsequenzen für die bisherigen, man kann sagen, Bei-Finanzierungen haben muss. Und das gilt insbesondere für die Werbung. Und Professor Kirchhof schreibt in seinem Gutachten, ich zitiere: ‚Sollte der Gesetzgeber sich entscheiden, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gänzlich ohne Werbung und Sponsoring zu finanzieren, wäre die Identität der Rundfunkanstalten und des Rundfunkprogramms in eindrucksvoller Weise hervorgehoben‘. Also, das ist nicht nur eine ästhetische Frage, sondern es ist vor allem auch eine Frage der Unterscheidbarkeit der Inhalte, die öffentlich-rechtlich produziert sind.

02:21
Jörg Wagner: In Fahrt gekommen ist die ganze Problematik weniger durch Herrn Kirchhof, sondern durch die Verabschiedung einer Novellierung des WDR-Gesetzes am 27. Januar im Landtag NRW. Ich entnehme Ihren Worten, dass Sie diesem auch so zugestimmt haben, was letzten Endes eine Folge hatte für die Hörfunkwerbung für den Westdeutschen Rundfunk. Dort wird nämlich festgelegt, dass die Abschmelzung der Werbedauer von 90 Minuten auf 60 Minuten pro Tag zu erfolgen habe. Warum diese Reduzierung um eine halbe Stunde und nicht dann gleich sagen: zack aus und fertig wie beim Deutschlandfunk?

Marc Jan Eumann: Tatsächlich ist so, dass nicht ich als Mitglied der Regierung, sondern der Landtag von Nordrhein-Westfalen als Gesetzgeber, das WDR-Gesetz verabschiedet hat und an dieser Stelle auch nicht dem Vorschlag der Landesregierung gefolgt ist. Die Landesregierung hatte einen Gesetzentwurf vorgelegt, der keine Reduzierung der Werbung des WDR vorsah, weil die Strategie der Landesregierung eine andere ist. Wir sind dabei im Länderkreis zu versuchen, eine Mehrheit für den schrittweisen Ausstieg aus Werbung und Sponsoring zu erzielen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat dies öffentlich und in der Runde der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mehrfach zur Sprache gebracht und wir hatten uns im Länderkreis beim letzten Mal verabredet, dass wir nach der Vorstellung des jetzt vorgestellten KEF-Berichtes uns den Vorschlag anschauen und dann entscheiden, wie wir einen Dreiklang erreichen. Der Dreiklang von Nordrhein-Westfalen heißt Beitragsstabilität. Die Ergebnisse der Evaluation, die viele Landtage, auch der Landtag von Nordrhein-Westfalen gefordert haben, also die Überprüfung der Umstellung der Finanzierung auf bestimmte Unwuchten – wir hatten einen Gutachter beauftragt, diesen Prozess zu begleiten und machen auch Vorschläge, insbesondere bei sozialen Einrichtungen und bei der Frage der Umrechnung von Pro-Kopf-Äquivalenten bei Betriebsstätten – diese beiden Dinge sind wichtig und dann ist die Position Nordrhein-Westfalens, das, was dann noch übrig bleibt, in den schrittweisen Ausstieg von Werbung und Sponsoring rundfunkstaatsvertraglich zu regeln. Der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen teilt das Ziel der Landesregierung, hat aber mit Blick auf das WDR-Gesetz einen anderen Weg eingeschlagen. Wobei man für Nordrhein-Westfalen sagen muss, dass keine der im Landtag vertretenen Fraktionen für den Status quo beim WDR waren, also 90 Minuten auf drei Wellen, sondern alle im Landtag vertretenen Fraktionen sind für die Reduzierung bei der Werbung. Und eine Mehrheit gefunden hat noch der moderateste Vorschlag von rot-grün, nämlich eine schrittweise Reduzierung von heute 60 auf ab 01.01.2017 75 Minuten und dann in einem zweiten Schritt 01.01.2019 60 Minuten auf einer Welle. Andere im Landtag vertretene Fraktionen wollten entweder, so wie sie es beschrieben haben, einen vollständigen Ausstieg sofort oder wie die CDU erklärt hat, ihre Position zur Werbefreiheit, also keine Reduzierung, soll im Wahlprogramm 2017 zum Ausdruck kommen. Die Aussagen der Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker im Ausschuss und im Landtag waren dazu eindeutig. Mit Blick auf den Vorschlag, der jetzt eine Mehrheit im Parlament gefunden hat, ist er das, was aus Sicht der Parlamentarierinnen und Parlamentarier der besonderen Situation des Hörfunkmarktes in Nordrhein-Westfalen schuldet. Sie wissen, dass Nordrhein-Westfalen, anders als in allen anderen Ländern eine zweigeteilte Hörfunklandschaft hat. Wir haben auf der einen Seite die fünf Wellen des WDR plus Funkhaus Europa, ebenfalls vom Westdeutschen Rundfunk veranstaltet. Und auf der anderen Seite 45 Lokalradios, die einen Mantelprogramm-Veranstalter haben. Und an diesem Mantelprogramm-Veranstalter ist der Westdeutsche Rundfunk als Gesellschafter beteiligt. D. h. anders, als in anderen Ländern, haben wir zum Beispiel keine landesweiten privaten Radio-Veranstalter, sondern eine klare Aufgabenteilung zwischen Lokalradios und den Wellen des Westdeutschen Rundfunks. Und die Parlamentarier haben – das war ihr Hauptmotiv – ein Interesse daran, diese vielfältige, publizistisch erfolgreiche Radiolandschaft zu erhalten und deswegen auch im zweiten Schritt eine Reduzierung lediglich dann auf 60 Minuten, aber für den WDR zweifellos nochmal eine besondere Herausforderung mit Blick auf die Sparbemühungen, die Sender ohnehin schon vornehmen muss. (…)

(Auszug; wörtliches Transkript)

(Foto: © Jörg Wagner)


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