Kommunikation in der Krise

Von Goldenen Regeln, twitter und Tatort-Videos

Marcus da Gloria Martins | Screenshot: © ARD/tagesschau24
Marcus da Gloria Martins | Screenshot: © ARD/tagesschau24


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Was: Interview über Krisenkommunikation
Wer: Marcus da Gloria Martins, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Polizeipräsidium München
Wann: rec.: 28.07.2016, 13:25 Uhr, veröffentlicht in verschiedenen Schnittfassungen
u. a.: Hintergrund, DLF, 29.07.2016, 18:40 Uhr; 30.07.2016, 18:10 Uhr im radioeins-Medienmagazin und im rbb Inforadio 31.07.2016, 10:44/15:24 Uhr



(wörtliches Transkript)

00:00
Jörg Wagner: Wie heißen Sie? Und was machen Sie?

00:02
Marcus da Gloria Martins: Mein Name ist Marcus da Gloria Martins. Ich bin Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Polizeipräsidium München.

08:00
Jörg Wagner: Welche Ausbildung haben Sie?

00:10
Marcus da Gloria Martins: Ich bin tatsächlich solide ausgebildeter Polizeibeamter und das seit mittlerweile 23 Jahren, will also heißen, dass ich tatsächlich, wenn man das so möchte, in erster Linie Polizist bin.

00:21
Jörg Wagner: Was hat Sie an diesem Beruf interessiert, den Sie jetzt ausüben? Denn Sie sind ja nicht der Polizist, den man so kennt, sondern Sie sind ja die Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit und Polizei.

00:30
Marcus da Gloria Martins: Das interessante am Polizeiberuf ist, ohne das jetzt in einen Imagespot für Nachwuchswerbung ausarten zu lassen, dass man innerhalb natürlich eines Berufszweiges sehr, sehr viele unterschiedliche Funktionen ausüben kann und der Weg in die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist tatsächlich für viele Kollegen ein Baustein in ihrer Vita, in ihrer polizeilichen und so ist es aktuell bei mir auch der Fall.

00:54
Jörg Wagner: Sie haben sehr viel Lob von der Öffentlichkeit bekommen auch von Profis, also Kommunikationsprofis. Haben Sie irgendetwas, was man ein solides Handwerk nennen kann oder ist das alles intuitiv?

01:05
Marcus da Gloria Martins: Also, das ist jetzt nicht alles aus dem Bauch heraus. Grundsätzlich ist es natürlich schon so, dass man als Angehöriger der Pressestelle entsprechende Trainings macht, dass wir natürlich auch interne Ausbildungen haben, dass im Rahmen meines Masterstudiums zum Beispiel der Bereich Krisenkommunikation, Statement-Training usw. eine Rolle gespielt hat. Also insofern ein gewisser theoretischer Unterbau ist da bestimmt auch vorhanden, ja.

01:29
Jörg Wagner: Nun hat man auch die Vermutung bei Ihrem Auftritt in den letzten Tagen, dass Ihnen, ich sag mal, das Genre liegt irgendwie von der Natur her, aber dass Sie auch möglicherweise – Sie haben’s angedeutet – nicht nur im Studium so etwas trainiert haben, sondern auch jetzt regelmäßig noch bei der Polizei üben. Ist das richtig?

01:49
Marcus da Gloria Martins: Naja, also ich weiß nicht, ob man das Üben nennen möchte. Wir haben halt als Pressestelle eines Großpräsidiums weit über 4.000 schriftliche Presseanfragen pro Tag. Wir haben täglich eine Presserunde bei uns im Haus. Da reden wir tatsächlich eher über Alltagskriminalität, aber wenn Sie Berichterstattung rund um das Thema Polizei verfolgen, werden Sie feststellen, dass es natürlich auch immer auch ein Stück weit emotionale Themen sind, wo sie dann relativ häufig natürlich auch in mehr oder minder konfrontativen Interviews Flagge bekennen müssen und das schult natürlich. Und insofern lerne ich tatsächlich weniger aus den Trainings, als vielmehr aus der tatsächlichen Echtsituation.

02:28
Jörg Wagner: Aber wir wissen, Krisenkommunikation verläuft nach Regeln, die optimiert sind, die sozusagen aus der Praxis heraus sich entwickelt haben. Stimmt denn die Praxis mit der Theorie überein?

02:39
Marcus da Gloria Martins: Überwiegend. Also, die wesentlichen Eckpunkte oder so diese Goldenen zehn Regeln, wie man sie gerne nennt, die kann man eigentlich auf jeden Sachverhalt der Krisenkommunikation anwenden. Also, eine Krisenkommunikation beginnt ja bei mir, in meiner Funktion schon in dem Moment, wo ein Streifenwagen bei einer Sonder- und Wegerecht-Fahrt bei Rot in die Kreuzung einfährt und einen schweren Unfall verursacht. Das ist natürlich etwas ganz, ganz anderes, als diese schrecklichen Ereignisse vom letzten Freitag, ist aber aufgrund des medialen Echos, das aufgrund diesen Einzelfalles sich entlädt für uns z. B. auch schon eine kleine Krise, so dass man also tatsächlich in unterschiedlichen Eskalationsstufen bei uns recht häufig mit dem Thema: ‘wie spreche ich?’ und ‘wie kommuniziere ich in der Krise?’ umgehen muss.

03:26
Jörg Wagner: Nennen Sie mal so die wichtigsten Regeln, die Sie wahrscheinlich abrufbereit haben, wenn man Sie weckt.

03:31
Marcus da Gloria Martins: Naja, ich möchte hier tatsächlich keinen Zetteltest machen, aber lassen Sie mich vielleicht drei wesentliche Eckpunkte hervorheben. Eckpunkt Nummer eins ist: rede offen über das, was jeder riechen, schmecken und hören kann. Also, ich muss niemanden erzählen, dass nichts los ist in der Stadt, wenn hier ein Streifenwagen nach dem anderen mit hohem Tempo in eine bestimmte Richtung fährt. Die zweite oberste Regel ist: Transparenz. Wenn wir hier plötzlich – und jetzt nehme ich jetzt einfach mal immer analog Bezug zum letzten Freitag – Kollegen mit schwerer Schutzweste und Maschinenpistole irgendwo in Deckung gehen oder wenn wir plötzlich hier in der Innenstadt irgendwelche Tatorte vermuten, dann muss man da ganz klar, sehr deutlich und vor allen Dingen sehr schnell Ross und Reiter nennen. Und der dritte Punkt ist tatsächlich auch: mach das so, dass wirklich man vor die Lage kommt, will also heißen, wirklich vor die Lage kommen, tut man in so einer Situation wie Freitag bestimmt nicht, aber man ist auf jeden Fall in der Lage so den größten Auswuchs an Spekulationen und Gerüchten vielleicht zuvorzukommen und dann zu sagen, nein stopp Faktenlage aktuell ist Doppelpunkt. Das sind vielleicht nur so drei Ausschnitte, die da mal exemplarisch für stehen sollen.

04:48
Jörg Wagner: Mir ist noch aufgefallen, es gibt diesen Satz, der sich bei Ihnen praktisch manifestiert: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“?

04:52
Marcus da Gloria Martins: Ja, das kommt hinzu. Wobei das einfach natürlich ein stückweit auch Reaktion auf das gezeigte Verhalten auf die anderen ist. Wir versuchen natürlich immer und das gilt nicht nur für uns hier – ich kenne das von vielen anderen Pressesprecherkollegen auch – besonnen, ruhig und vor allen Dingen auch reflektiert aufzutreten. Also, insofern ist es, glaube ich, nichts, was wir uns jetzt als Verdienst an das … ans Gewehr heften können. Nur in diesem Fall war es besonders geboten, weil man das Gefühl hatte, dass sowohl die Stadtgesellschaft in der Wahrnehmung, als auch die Medienvertreter einer gewissen Konfusion erlegen sind und da konnten sie eigentlich mit nichts anderem mehr tatsächlich punkten, außer wirklich bewusst und gewollt auf die Bremse zu treten und zu sagen, so wir nehmen mal jetzt das Gas raus.

05:36
Jörg Wagner: Dann kann ich mir vorstellen: Kampf der Spekulation, die Deutungshoheit übernehmen?

05:42
Marcus da Gloria Martins: Ja, das ist jetzt wieder Lehrbuch, ne? Deutungshoheit übernehmen, vor die Lage kommen. Das sind immer so Buzzwords, wo ich dann immer sage, ja wunderbar, nur muss man das sich natürlich in der Echtlage anschauen. Man muss die Kapazitäten dafür haben. Man muss natürlich die Reichweite dafür haben. Man muss auch die Relevanz in der Bewertung dieser Information durch Dritte haben, um überhaupt die Möglichkeit zu haben als ernstgenommener Kommunikator auftreten zu können. Beispiel: wenn ich jetzt einen Kanal habe, der nicht als Polizei erkennbar ist und trotzdem die Wahrheit sage, bin ich halt nur eine Stimme in so einem riesengroßen Chor, der quer durcheinander singt. Wenn ich jetzt einen Kanal habe, wo zumindest Polizei drauf steht, ändert sich dieses Gewicht schon. Dann bin ich nicht nur eine Stimme im Chor, sondern ich bin eine ziemlich laute Stimme im Chor und die fällt dann schon auf. Und dann ist es, um jetzt mal in diesem Bild zu bleiben, wirklich so, dass eine Stimme nach der anderen entweder verstummt und zuhört, was die eine verifizierte Stimme da sagt oder in den gleichen Gesang einstimmt. Das ist jetzt … hm … ein sehr musikalisches Bild, aber letzten Endes ist genau das passiert in diesem Meer an Gerüchten. Und wir hatten eine Vielzahl von nahezu ganz bizarren und an Vielschichtigkeit nicht zu überbietenden Gerüchten. Da war es irgendwann mal einen Pflock einzuschlagen und zu sagen:
1. es gibt nur einen Schadensort und nicht ganz München ist Tatort
2. die und die Situation haben wir zur Uhrzeit XY und
3. wir sind dran und kümmern uns.

07:18
Jörg Wagner: Und, was mir aufgefallen ist, wenn es dann doch wie bei den Vertretern der Presse oder von Funk und Fernsehen immer wieder dann doch noch die Frage kommt: können Sie das nicht bestätigen, dass das Terror war oder dass Kinder und Jugendliche unter den Opfern sind, dass Sie dann zum Stilmittel des Humors greifen, indem Sie sagen, Sie haben keine Glaskugel. Das ist jetzt nicht der Megawitz, aber zeigt doch, dass hier irgendwo eine Grenze jetzt überschritten wird und Sie nehmen dann die Ironie oder das satirische Element. Machen Sie das bewusst oder sind Sie so?

07:51
Marcus da Gloria Martins: Ich glaube, es liegt eher daran, dass ich so bin, weil es gibt ein wunderbares Karl-Valentin-Zitat, das da lautet, Humor ist eine ernste Sache. Und in einem solchen Kontext tatsächlich Humor als bewusstes Stilmittel zu wählen, ist wahnsinnig gefährlich und insofern ist es auch nie eigentlich Kalkül. Wenn es dann an Einzelstellen hervorgetreten ist, dann ist es das tatsächlich eher ein Persönlichkeitszug von mir, den ich tatsächlich selbstkritisch dann auch wirklich hinterfragt habe. Aber, dass was Sie eingangs gesagt haben, das möchte ich vielleicht nicht so generell als Medienschelte stehen lassen oder gedeutet wissen weil, an diesem Tag waren viele Kollegen von Ihnen bei uns gewesen, die wir aus unserer täglichen Pressearbeit kennen. München ist eine sehr, sehr große Medienstadt. Mit einer sehr regen Medienszene. Und ich kenne die allermeisten, dieser Journalisten-Kollegen von Ihnen als sehr seriöse und nach stichhaltiger Information suchenden Medienschaffenden. Und was das eigentliche Problem nach meiner Bewertung ist, ist vielmehr die Tatsache, dass hier eine ganz unglückliche Symbiose besteht zwischen dem Nachrichtengewerbe im Allgemeinen und der direkten Beeinflussbarkeit dieses Gewerbes durch das Hochgeschwindigkeitsmedium ‘Soziale Netzwerke’. Also, die Gier dem eigenen Publikum Informationen liefern zu müssen, weil die sitzenden mal zuhause und hören und schauen zu. Und auf der anderen Seite aber diese Informationen nicht in dieser Geschwindigkeit von offiziellen Stellen kriegen zu können und damit gezwungen zu sein, nach jedem Strohhalm zugreifen, den man irgendwo in den digitalen Weiten findet. Das ist in meinen Augen eine ganz, ganz gefährliche Entwicklung.

09:22
Jörg Wagner: Aber ich höre schon, dass Sie Verständnis haben für diesen Druck, den Medienschaffende haben im Wettbewerb mit den Social Medias, aber ich höre natürlich auch in Ihrer Art und Weise, wie Sie dann solche Situation meistern, dass Sie durchaus, ich sag mal, nicht nur Kritik, sondern auch Bitten haben an Journalisten, die Sie vielleicht jetzt auch hier mal formulieren könnten. Also, was sollte die Presse, was sollten Live-Medienberichterstatter, wie Reporter, die gerade bei den Tagesthemen auf Sendung sind und Ihnen plötzlich das Mikrofon unter den Mund halten, was sollten die vielleicht zukünftig anders oder besser machen?

10:01
Marcus da Gloria Martins: Also, ich weiß nicht, ob ich die Rolle des Ratgebers einnehmen darf. Ich persönlich sehe mich nicht in dieser Rolle. Ich kann für mich nur feststellen, dass ich tatsächlich, wie gesagt, viele Journalisten-Kollegen von Ihnen in ihrem Bemühen beobachtet habe, Informationen als valide und stichhaltig zu bewerten. Das geht nur in dieser Situation nicht. D. h., also die Frage, die ich mir hier stelle, ist, gibt es da vielleicht noch irgendeine Hintergrund-Ressource, die man als Vertreter eines Mediums hat, die in der Lage ist, diese Bewertungsleistung abzunehmen. Das, was ich gesehen habe, waren ganz oft Journalisten, die im Prinzip selbst recherchiert haben, die selbst in Smartphones und Tabletts geguckt haben, die vielleicht noch irgendwo einen weiteren Kollegen hatten, sich über Telefon ausgetauscht hatten und die aber nicht wirklich die Möglichkeit hatten, sowie ich, ein Team von 20 Leuten im Nacken zu haben, die nichts anderes machen als Informationsbewertung. Also, sprich Information X, sei es denn aus unserem Notruf, sei es denn irgendwie aus einer Zeugenmeldung abzuklopfen und solange abzuklopfen, dass es dann irgendwann heißt, o.k., die ist jetzt dreimal geprüft, die können wir rausgeben und das ist zum Beispiel auch der Grund, warum wir nur sehr zaghaft mit Opferzahlen raus gegangen sind, warum wir nur sehr zaghaft mit Verletzten-Zahlen raus gegangen sind und diese Hintergrund-Abprüfressource oder diese Möglichkeit tatsächlich so eine Art Qualitätskontrolle für Information externer Art einzuführen, das würde ich mir tatsächlich vielleicht bei dem einen oder anderen Medienvertreter wünschen, falls es das nicht ohnehin schon gibt.

11:32
Jörg Wagner: Sie haben die Social Media angesprochen. Sie sind ja auch auf twitter und facebook vertreten. Also, nicht auf snapshat. Bei YouTube laden andere Leute ihre Videos hoch und Sie werten die aus. Aber gerade die junge Generation ist ja eher dann doch nicht auf facebook oder twitter unterwegs. Wie versuchen Sie die zu erreichen?

11:53
Marcus da Gloria Martins: Also, zunächst einmal muss man erst einmal eine saubere Zielgruppenanalyse machen. Und unsere Zielgruppenanalyse in München lautet: für mich ist relevant die Region München +50 km. Da schau ich mir an, wen habe ich? Was sind meine benutzten Kanäle? Was ist der Trendingchannel? Also sprich: snapchat zum Beispiel, Sie haben es angesprochen, wächst bei uns überall ganz enorm. Und dann muss ich mir die Frage stellen, passt dieser Kanal zu uns als Organisation Polizei? Wir sind noch nicht sehr lange in den sozialen Netzwerken aktiv. Im Gegensatz zu vielen anderen Polizeien. Wir haben zum Beispiel sehr, sehr enge Verbindungen zu den Kollegen in Berlin und Frankfurt, die wir sehr schätzen. Von denen wir auch wirklich viel mitgenommen haben. Müssen aber bei uns vom Ergebnis festhalten, dass wir gesagt haben, wir bleiben auf einer gewissen Hauptstraße. Wir bedienen zunächst erst einmal zwei Kanäle, nämlich twitter und facebook. Und konzentrieren uns darauf dort, einen gewissen Stand zu erreichen. Wenn ich dann in die Krise komme, so letzten Freitag, dann muss man sich einfach die Frage stellen, das haben wir natürlich im Vorfeld strukturell vorbereitet, was ist denn der richtige Kanal? Und da fällt facebook hinten ganz runter, weil es einfach zu langsam ist, weil es von den Nutzergewohnheiten anders aufgebaut ist. Und wir setzen nur auf twitter. Wenn man sich jetzt die Frage stellt, ja aber Herr Martins, kennen Sie denn nicht die durchschnittliche Verbreitung von twitter in Deutschland, dann sage ich, doch sehr wohl kenne ich die, aber nichtsdestotrotz zeigt dieser Sachverhalt am letzten Freitag, als auch andere Sachverhalte in der Vergangenheit, dass dieser Weg der richtige ist, weil durch die Zentralsteuerung über einen Kanal, wir ja dann anschließend an den entsprechenden Schaltstellen eine Weiter-Vermittlung in alle möglichen weiteren Kanäle haben, wo wir keinen Fuß in der Tür haben. Also sprich: die twitter-Information ist schneller, als man glaubt per whatsapp geteilt, ist schneller, als man glaubt auf irgendeiner web-1.0-Seite von einem Nachrichten-Anbieter und ist schneller, als man glaubt, natürlich auf facebook geteilt ohne, dass wir diese Kanäle alle explizit bedienen müssen.

13:48
Jörg Wagner: Also, whatsapp kommt für Sie nicht in Frage? Weil einige Medien nutzen das ja schon tatsächlich, um Leser oder Hörer zu erreichen.

13:55
Marcus da Gloria Martins: Das verfolgen wir natürlich interessiert, uns stehen allerdings mehrere Aspekte noch im Raum, die noch unbeantwortet sind dagegen. Das eine ist natürlich das deutsche Datenschutzrecht. Als Behörde sind wir natürlich viel mehr noch als andere, an die wirklich zwingende und detailtiefe Einhaltung von Datenschutzregelungen gebunden. Da gibt es bei whatsapp Fragen. Und die zweite große Hürde, die wir zu nehmen haben, ist die Tatsache, man muss natürlich diesen Kanal abonnieren, man muss die Leute also tatsächlich auf diesen whatsapp Informationskanal holen, plus die Tatsache, dass es bis heute ja als kommerzielle Lösung von whatsapp ja noch nicht final tatsächlich ausgerollt wurde und als reguläres Angebot auf dem Markt platziert wurde.

14:43
Jörg Wagner: Dann gibt es ja das Phänomen, dass anders als früher, vielmehr Augenzeugen auch zum Handy greifen, um Fotos zu machen und Videos. Früher waren Sie darauf angewiesen, dass Menschen etwas zu Protokoll gaben und wie wir wissen: ein Unfall – zehn verschiedene Sichtweisen. Aber ein Foto und ein Video sind dann doch objektiver, können es sein. Nun gibt es ja das Phänomen, einerseits dass Sie davor warnen, diese Sachen online zu stellen und andererseits möchten Sie aber schon ganz gerne das Bedürfnis, was entsteht, um das mit Angehörigen zu teilen, um selber vielleicht therapeutisch zu verstehen, was da abläuft, in dem man auch einfach Distanz schafft zwischen Fotolinse und dem Ort des Geschehens, dass da etwas entsteht, was möglicherweise auch Täter nutzen. Wozu raten Sie? Außer zu sagen: Leute stellt das nicht online, weil das lässt ja nicht verhindern.

15:40
Marcus da Gloria Martins: Naja, das lässt sich vielleicht nicht in allen Fällen verhindern, aber ein moralischer Aspekt spielt hier eine ganz große Rolle. Sie haben mit einer Grundaussage recht. Wir nutzen das mittlerweile. Wir haben auch mittlerweile technische Möglichkeiten geschaffen, ein so genanntes Upload-Portal, um auch zeitnah, also möglichst unmittelbar nach dem Ereignis so eine Art crowdsourcing zu machen, was Bilder und Videos angeht. Das publizieren und forcieren wir natürlich dann auch entsprechend durch Aufrufe. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass diese Videos und Fotos Verarbeitungsmethodik sind. Die meisten Menschen, die so etwas live erleben, wenn sie daneben stehen und reflexhaft zum Smartphone greifen, die machen das mutmaßlich nicht, weil sie sagen und das stelle ich jetzt gleich sofort online, sondern es ist eine Reaktion auf eine ungewöhnliche Situation, auf die wir nicht vorbereitet sind. Das ist ungefähr so, als wenn sie plötzlich mit Ihrem Smartphone in der Natur irgendetwas etwas sehen, was sie völlig verblüfft. Ja? Das muss nicht nur etwas traumatisches oder schreckliches sein. Und dann gibt es natürlich noch jene, die dann im zweiten Schritt sich denken, o.k. und das ist mein Zugang zu 15 Minuten Ruhm. Und die versuchen wir natürlich in erster Linie durch Appelle zu erreichen, weil in dieser Phase des Chaoses unmittelbar nach dem Ereignis haben wir keine Handhabe anders und versuchen da natürlich durch Appelle, die Botschaft zu platzieren, lasst das. Weil diese Bilder gehen dann herum. Diese Bilder werden dann in unterschiedlichster Art und Weise gedeutet und interpretiert. Diese Bilder haben das Potenzial zu traumatisieren. Ich darf da einfach an ein paar Videoaufnahmen aus dem Bereich Nizza, darf ich verweisen, die wirklich, wirklich schlimm sind. Und diese Bilder kriegen sie nie wieder aus dem Netz raus. Und das ist eine Verantwortung, die man in diesem Moment natürlich diesen Hobbyjournalisten, nenne ich sie jetzt mal oder Freizeitfilmern, wirklich vor Augen führen muss. Weil diesen Schritt der Veröffentlichung kann man in der Regel nicht mehr rückgängig machen.

17:45
Jörg Wagner: Aber, Sie müssten doch eigentlich sehr dankbar sein, dass solche Videos ziemlich schnell hochgeladen wurden, ohne, dass Sie vorher eine Bewertung abgegeben haben, wie das auf dem Parkdeck, wo dann auch deutlich wurde für normale Menschen, ah möglicherweise ist ja dann doch gar keine Terrorgefahr da, weil hier handelt es sich möglichweise tatsächlich um einen, der durchgeknallt ist und möglicherweise auch national motiviert handelt, also dass das auch eine gewisse Entspannung bringt. Ist das nicht so, dass das Ihnen auch vielleicht unter Umständen sogar dann auch Arbeit abnimmt?

18:42
Marcus da Gloria Martins: Ja und nein. Also, wie eben schon gesagt, es ist eine Ermittlungsunterstützung dahingehend, als dass es natürlich für uns ein Teil der Lagebewertung ist. D. h., ich habe ein Bewegtbild, wo ich tatsächlich etwas sehen kann, was mir am Telefon möglicherweise berichtet wurde. Aber das Telefon zum Beispiel, um jetzt mal wieder auf die Lage am Freitag zukommen, war für uns ganz maßgeblich dafür, dass es durch Zeugenanrufe in der ersten Phase dieses Ereignisses hieß, also immer innerhalb des Notrufes, wir sind jetzt innerhalb der ersten 5 Minuten, dass mehrere Täter mit Langwaffen unterwegs sind. Jetzt schreitet das gesamte Ereignis fort. Es wird beendet, wir sind jetzt mittlerweile vom Wissensstand da, wo wir sind. Und jetzt gibt es dann immer noch diese Videos. Diese Videos sind für uns nach wie vor wichtig, sind für uns nach wie vor Teil auch der Beweisführung, dienen auch letzten Endes der Indizien- und Beweisketten- Erstellung …

19:16
Jörg Wagner: Na und vor allen Dingen auch der Korrektur. Denn das war ja keine Langwaffe, die man sah, sondern eine Pistole.

19:20
Marcus da Gloria Martins: Ja, das ist richtig, aber wenn Sie sich jetzt überlegen, da ist jetzt eine drauf zu sehen, aber Zeugen reden am Telefon von dreien, dann können sie natürlich nicht ausschließen als Polizei, dass halt es Zufall ist, dass der eine, der dort auf dem Parkdeck zu sehen ist, auch wirklich der einzige Täter ist. Es ist sehr schwierig für uns in dieser Phase zu sagen, aufgrund dieses einen Videos können wir jetzt schon final von einer Einzeltätertheorie ausgehen. Dann dürfen sie eins noch nicht ganz außer Acht lassen, wir haben ja dann in einem Zeitfenster von ca. 20 Uhr bis 24 Uhr in München 66 Tatorte gehabt, wo wir Notrufe hatten, die von Schüssen, von bewaffneten Personen, die schießen und in zwei Fällen sogar von Geiselnahmen gesprochen haben. Einmal in einem Kino und einmal in einem Fitnessstudio. Das lief alles parallel in der Phase, wo wir auch davon ausgehen gegangen sind, dass zwei Täter noch in der Bewegung sind. Und da können sie als Polizei tatsächlich zu keinem Zeitpunkt sagen: o.k., nein stopp. Das ist mir alles zu windig. Ich rede jede jetzt ab sofort nur noch von einem Einzeltäter, weil einfach die Gefahr eben mit Blick auf Brüssel, mit Blick auf Paris, dass tatsächlich mehrere Täter jetzt vielleicht einen zweiten oder dritten Ereignisort in der Stadt aufmachen wollen, nicht wirklich hundertprozentig auszuschließen ist. Und wenn ich jetzt im Nachgang natürlich dann diese Bilder auch dafür instrumentalisiere, um der Polizei hier vielleicht auch eine Stimmungsmache zu unterstellen, dann sehen Sie, reden wir immer noch von den gleichen Bildern. Die gleichen Bilder, die uns am Anfang eine Ermittlungsunterstützung waren, die gleichzeitig für die Medien eine Content-Quelle waren und jetzt im Nachgang natürlich durch Kritiker anders gelesen werden und als scheinbarer Beleg für eine organisatorische Panne oder wie auch immer der Polizei hergenommen zu werden. Und es sind die gleichen Bilder. Und da sieht man, dass die Wirkung von Videos im Netz tatsächlich sehr vielschichtig ist und man auch nicht grundsätzlich von gut oder böse sprechen kann, sondern sich die Frage stellen muss, zu welchem Zeitpunkt muss man sich einfach dann auch zurücknehmen und sagen: o.k. die Faktenlage ist nun mal wie geschildert.

21:26
Jörg Wagner: Und Sie sind ja im Dilemma – anders als die Medien eigentlich, die ja nicht ungeprüfte Fakten übernehmen müssen – dass Sie um eine Lagebewertung vorzunehmen, hochrechnen. Also, auch Spekulationen professionell anstellen und diese Spekulationen ja auch unter Vorbehalt immer weitergeben. Also, wenn Sie sagen, wir gehen von der höchsten Einstiegsstufe aus, besser als umgekehrt, dann ist das ja erstmal nur eine Annahme, aber noch nicht eine Tatsache. Das wird sich ja verifizieren im Laufe des Tages und dann kommt ja der Effekt, dass Sie plötzlich auch Dinge korrigieren müssen.

21:57
Marcus da Gloria Martins: Man kann es, glaube ich, dadurch leichter verstehen, diesen Widerspruch zwischen dem eben geäußerten Zwang zur Wahrhaftigkeit und Prüfbarkeit der Informationen, was ich ja eben in den Raum gestellt habe und dem, was Sie gerade geschildert haben. Dieser Perspektivwechsel, den Sie jetzt vollziehen müssen, ist: Sie sind der verantwortliche Einsatzleiter. Sie haben die Information, dass bis zu drei Täter auf Grund von Erstinformationen am Notruf und zwar mehreren nach Tatverübung mit Waffen geflohen sind. Sie haben definitiv Tote und zwar viele, so dass sie im Prinzip eine Beziehungstat oder einen Raubüberfall ausschließen können und sie haben natürlich die gesamtpolitische bzw. die Terror-Lage Europa im Hinterkopf. Dann stell ich Ihnen jetzt die Frage, wie würde Sie sich als Polizeiführer entscheiden, wenn zumal die ersten Kräfte von zahlreichen Verletzten und vermutlich Toten berichten und die Zeugenaussagen unter anderem auch von Menschen, die unmittelbar Tatzeuge waren genau diese Informationen transportieren? Dann bleibt Ihnen letzten Endes fast nichts anderes übrig, als die Erfahrung der letzten Monate einkalkulierend davon auszugehen, dass sie hier tatsächlich mehr haben, als eine Gangster-Schießerei oder irgendein Rocker-Thema. Und wir sind ja von Anfang an sehr hoch eingestiegen, haben auch sehr lang vermieden, das Wort Terror in den Mund zu nehmen. Das ist in erster Linie sehr häufig auch von Medienseiten gekommen und haben aber unsere Konzeption danach ausgerichtet, dass wir tatsächlich von den taktischen Konzepten von einem Terroranschlag ausgehen mussten.

23:38
Jörg Wagner: Aber dennoch noch einmal eine Nachfrage. Sie müssen dann ja im Laufe solch’ eines Ereignisses korrigieren und das wird auf Grund unserer gelebten Praxis dann oft als Schuldeingeständnis bewertet. Aber Sie müssen es ja anders kommunizieren, als, ich sag mal, Abgleich mit der Wirklichkeit. Und das ist ja kein Fehler. Das ist ja eher ein Vorzug von Kommunikation, zu sagen, wir haben jetzt ein präziseres Bild, aber dennoch macht man Ihnen Vorwürfe.

24:06
Marcus da Gloria Martins: Also, die Vorwürfe beziehen sich natürlich in erster Linie, wenn überhaupt, auf die Art und Weise, wie wir in diese Lage eingestiegen sind. Sprich, welche Erstbewertung wir hatten und da sind wir uns auch knapp eine Woche später hundertprozentig sicher, dass wir da richtig gehandelt haben. Alles andere wäre – und da muss ich Sie nochmal bitten, diesen Perspektivwechsel zu vollziehen – fahrlässig gewesen. Das ist dann auch ein Widerspruch, den man aushalten muss. Und das ist dann auch ein Widerspruch, den man erklären muss und bin der Ansicht, dass man ihn erklären kann. Ab diesen Zeitpunkt kommen dann die reinen Faktenlagen, die eben durch eine Hintergrundstruktur erhoben werden. Und ein schönes Beispiel dafür: sie kriegen vom Rettungsdienst die Auskunft 21 Personen wurden vom Rettungsdienst in Krankenhäuser abtransportiert. Da besteht eine riesengroße Gefahr drin, dass wenn sie diese Information so rausgeben, draus wird: 21 Schwerverletzte in Krankenhäusern. Dass unter diesen 21 Personen aber auch nur Personen waren, die einen Krankenwagen angesprochen haben, weil auch die gab es dann zu diesem Zeitpunkt reichhaltig hier im Stadtbereich und gesagt haben: ich bin gerade umgeknickt und dann ins Krankenhaus ausgebracht wurde – das ist übrigens tatsächlich ein realer Fall – das wird dann völlig ausgeblendet. Sie sehen also, mit solchen Informationen muss man sehr vorsichtig sein. Man muss auch auf die Formulierungen achten und wenn man die Formulierungen weitergibt, dann muss man auch wirklich aufpassen, dass in der Gegenfrage, die dort kommt – und da sind wir wieder in dieser Interviewsituation, die Sie eingangs mal als Beispiel genannt haben – da muss man dann auch bei der Gegenfrage aufpassen, hat mein Gegenüber, hat der Journalist eigentlich diese Formulierung von mir richtig verstanden. Und in dem Moment, wo sie erkennen, nein hat er nicht, müssen sie nachlegen. Und ab diesem Zeitpunkt, wo’s wirklich um nachprüfbare Fakten geht, müssen sie gucken, dass sie wirklich den Stand vermitteln, den sie zu dieser Zeit haben. Und die Zahl der Verletzten hat sich ja bis heute einschließlich noch einmal erhöht. Wir sind meines Wissens jetzt bei 38. Und da können sie, wenn sie wirklich glaubhaft bleiben wollen, wirklich immer nur den Stand liefern, den sie zu dieser Zeit haben. Mit dem Hinweis, dass es sich jeder Zeit weiterentwickeln kann, weil zum Beispiel – auch das war eine Situation in der Nacht – nicht alle Krankenhäuser akut zurückgemeldet haben, wie hoch der Verletzteneinlauf aus irgendwelchen Paniksituationen aus der Innenstadt war. Und wenn man das offen transportiert, kommt man dann aber auch nicht in die Rechtfertigungsfalle, dass man sagen muss, die Zahl von eben war falsch, weil man von Anfang an klipp und klar gesagt hat, das sind vorläufige Zahlen, da ist Entwicklung drin und das ist jetzt nur der Stand von fiktiv 23:00 Uhr.

26:45
Jörg Wagner: Krisenkommunikation sehr komplex aus der Sicht der Polizei besprochen mit Marcus da Gloria Martins. Ich bedanke mich für diesen wirklich interessanten Einblick in Ihre Arbeit.

Marcus da Gloria Martins: Ich danke Ihnen für Ihr Interesse.








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