Die Frequenzenschlacht 2 – Mobilfunk statt Rundfunk?

„Die treibende Kraft hinter diesen ganzen Aktivitäten sind die Netzausrüster.“

Helmut G. Bauer
Helmut G. Bauer


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Was: Telefon-Interview zur Digitalen Dividene 2
Wer: Helmut G. Bauer, Rechtsanwalt und Vertreter des Verbandes der Nutzer und Hersteller drahtloser Übertragungssysteme, APWPT
Wann: rec.: 21.06.2013, ca. 15:00 Uhr; veröffentlicht im radioeins-Medienmagazin vom 22.06.2013, sowie in einer gekürzten Fassung im rbb Inforadio, 23.06.2013
Wo: Köln – Berlin


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0:10
Jörg Wagner: radioeins mit dem Medienmagazin. Kommt es im neunzigsten Jahr des Rundfunks zur entscheidenden Wende in der Übertragung von Programmen? Wenn es nach den Telekommunikationsunternehmen und Hardwareherstellern geht, sollten Radio und Fernsehen ihr Frequenzspektrum räumen und ihr Programm dann terrestrisch zum Beispiel per mobilem Internet anbieten. Mit entscheidenden Konsequenzen. Ich fragte Helmut G. Bauer, er ist Rechtsanwalt und Vertreter des Verbands der Nutzer und Hersteller drahtloser Übertragungssysteme, was denn das bedeutet, wenn also Rundfunkfrequenzen von Mobilfunkanbietern besetzt würden unter dem Stichwort ‚Digitale Dividende 2‘?

0:49
Helmut G. Bauer: Nun, wir sind noch nicht ganz so weit mit einer solchen Frequenzverordnung, aber die Vorbereitungshandlungen werden getroffen. Fakt ist ganz einfach: der Mobilfunk arbeitet auf diesen Frequenzen anders als der Rundfunk, technisch, und damit schließen sich beide in der Nutzung aus. Das bedeutet, wenn der Mobilfunk das Spektrum um das wir jetzt sprechen, nämlich das 700 Megahertz-Spektrum, zusätzlich zu dem bereits bekannten Spektrum im 800 Megahertz-Bereich, bekannt unter LTE, hinzubekommt, dann können in diesem Bereich die Fernsehsender nicht mehr senden und außerdem können die Mikrofone, die dort bisher benutzt wurden, die Funkmikrofone, nicht mehr bedient werden, das heißt, alle müssen ihre Investitionen wegwerfen und müssen neue Geräte kaufen und, das viel Schlimmere ist, der noch verbleibende Bereich reicht gar nicht mehr aus, um die bisher vorhandenen Produktionen und zum Teil auch die Fernsehsender unterzubringen.

1:48
Jörg Wagner: Nun gibt es ja die Vision, dass man grundsätzlich das ganze Rundfunknetz sozusagen freigibt und per Mobilfunk realisiert, also auch den Hörfunk. Und dann hätten wir eine andere Norm als das Digitalradio. Aber DAB+ scheint ja nun auch nicht wirklich der Markttreiber zu sein.

2:05
Helmut G. Bauer: Ich glaube, dass ganze Thema ist ein bisschen verkürzt, wie Sie es in Ihrer Frage formuliert haben. Wir müssen uns prinzipiell, wenn eine solche Situation politisch gewollt ist, und dort wird es entschieden, die Frage stellen, wie wichtig ist uns Terrestrik? Wir haben ja nicht einfach die Terrestrik, weil es irgendjemand will, sondern weil der Rundfunk eine öffentliche Aufgabe hat. Das gilt sowohl für den Hörfunk als auch für das Fernsehen. Und wir haben, verbunden mit dieser Frage der öffentlichen Aufgabe, auch den freien Zugang zu dem Empfang von Rundfunkprogrammen. Und wenn dieses weiterhin gewünscht ist, müssen dafür auch die notwendigen Frequenzen zur Verfügung stehen. Wenn man dieses ganze jetzt auf den Mobilfunk überträgt, taucht die Frage auf: Wie ist denn sichergestellt, dass alle Rundfunkprogramme unbeeinflusst von den Mobilfunkunternehmen oder auch von den Internetinfrastrukturanbietern unverändert zeitgleich verbreitet werden? Das Stichwort ist ja ‚Netzneutralität‘. Und wenn wir uns den anderen Aspekt anschauen, und wir erleben es gerade in Ostdeutschland und in Bayern, das Thema ‚Überschwemmungen‘. Wie stellen wir eigentlich sicher, dass in Katastrophenfällen alle Leute gleichzeitig informiert werden und dass diese Systeme auch funktioniert, wenn beispielsweise Hochwasser ist oder sonstige Katastrophen. Das heißt, bevor wir dazu kommen jetzt alles dem Mobilfunk und dem Internet zu überantworten, müssen wir diese Grundsatzfrage in Deutschland diskutieren und müssen uns fragen, was uns ein freier Rundfunk wert ist.

3:44
Jörg Wagner: Aber ist es nicht so, dass auch heute schon Hörfunk und Fernsehen von einer privaten GmbH, also der ‚Mediabroadcast‘, veranstaltet wird und nur ganz wenige Frequenzen eigentlich im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum Beispiel? Und dass das ja auch durch Verträge gesichert ist, dass die Unabhängigkeit und auch die Netzneutralität damit gewährleistet ist?

4:03
Helmut G. Bauer: Nein, in dieser Frage muss man den Sendernetzbetrieb von dem der Veranstalter unterscheiden. Wir haben die Situation, dass die ARD, mit Ausnahme des mdr und Teilen des rbb, nämlich die alten Frequenzen in Brandenburg, dass dort die ARD das eigene Sendernetz betreibt und auf der anderen Seite man sich von Seiten der privaten Veranstalter dem Sendernetz der ‚Mediabroadcast‘ bedienen muss. Das nutzt auch das ZDF und das nutzt auch der mdr und teilweise der rbb. Diese Sendernetze haben bestimmte Auflagen, die müssen bestimmte Versorgungen erfüllen, nämlich eine Flächendeckung und dieses gibt es beispielsweise in dieser Form im Mobilfunk nicht. Und diese Sendernetzbetreiber, die ARD wie gesagt macht es ja selbst, senden natürlich alle Programme in gleicher Qualität und unbeeinflusst durch äußere Einwirkungen. Ich glaube, das ist ganz wichtig und da müssen wir uns fragen, ob wir das auf Dauer erhalten wollen oder ob wir das andere System wählen, das dort heißt: Wir geben es an den Mobilfunk und an das Internet und müssen uns dann früher oder später den dort geltenden Geschäftsmodellen unterordnen.

5:13
Jörg Wagner: Wenn Sie sagen, wir müssen darüber nachdenken, wieweit ist denn das Nachdenken? Ist das alles nur im Bereich von Medienkongressen erst mal diskutiert?

5:21
Helmut G. Bauer: Nein, wir sind schon ein Stück weiter. Wir haben eine konkrete Situation, dass der Bund und die Länder eine Arbeitsgruppe gebildet haben, in der zusammensitzend die Rundfunkveranstalter, private und öffentlich-rechtliche, die Nutzer von drahtlosen Produktionsmitteln wie Funkmikrofon und auch der Mobilfunk, um dort zu versuchen, wie man die Terrestrik in Zukunft organisieren kann. Dummerweise ist es passiert, dass die Bundesnetzagentur diese ganzen Pläne durchkreuzt hat, und für den kommenden Montag (24.06.2013) ihrem Beirat ein Papier vorgelegt hat, das vorsieht, wenn nach einer Anhörung alles im grünen Bereich ist, ab 2014 zu beginnen, weitere Frequenzen, beispielsweise im 700er Megaspektrum an den Mobilfunk zu vergeben. Das bedeutet, spätestens jetzt sind die Länder gefragt zu sagen, ob sie dieses Spektrum, was für den Rundfunk bestimmt ist, für den Mobilfunk freigeben. Und dann schlagen in der Brust der Länder zwei Herzen. Das eine Herz will die Sicherung des Rundfunkspektrums für die freie Verbreitung von Rundfunkprogrammen und das zweite Herz schlägt für ein schnelles Internet auf dem flachen Land. Diese beiden Widersprüche müssen die Länder zu einem Ausgleich bringen und die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten hat am Freitag vor einer Woche beschlossen (14.06.2013), dass sie das 700 Megahertz-Spektrum beim Rundfunk belassen will und hat die Wirtschaftsminister der Länder aufgefordert, ein Konzept vorzulegen, für ein schnelles Internet auf dem Lande, ohne Berücksichtigung der Rundfunkfrequenzen. Das Thema hat also einerseits an Fahrt begonnen und jetzt beginnen die allgemeinen Schlachten zur Verteidigung des Rundfunkspektrums beziehungsweise zur Einführung des schnellen Internets auf dem Lande.

7:26
Jörg Wagner: Bei allem, Herr Bauer, ist doch die Frage: wer ist die treibende Kraft hier im Spiel?

7:31
Helmut G. Bauer: Nun, wir haben eine Situation, dass immer mehr Smartphones in den Markt kommen und dass die Leute mobil Daten nutzen wollen. Jetzt taucht die Frage auf, wie viel Daten nutzen denn die Menschen und wie viel sind sie denn überhaupt bereit zu zahlen, wenn sie diese Daten mobil nutzen wollen, ob sie über ihr Handy Radio hören wollen, Fernsehgucken oder sonst was? Die treibende Kraft hinter diesen ganzen Aktivitäten sind die Netzausrüster, wie Alcatel-Lucent, wie Nokia, Siemens, insbesondere Cisco, aber auch Qualcomm. Die veröffentlichen regelmäßig Studien und prophezeien dort ein Wachstum des Datenbedarfs, der enorm ist. Damit setzen sie die Mobilfunkbetreiber unter Druck, die der Politik eine Antwort geben müssen, wie sie denn diesen steigenden Datenbedarf erfüllen können. Und dann fangen sie an und sagen: okay, wir brauchen dafür Frequenzen, um das verbreiten zu können und gehen da auf die Politik zu. Und die Politik sieht dann diese Studien, die kein Mensch dahin untersucht, wer überhaupt sie gemacht hat im Detail. Also, die Professoren oder die Sachverständigen, die sie gemacht haben, welche Daten zugrunde liegen und so weiter, sondern sie werden als Gesetz angenommen und wenn vier Studien in die gleiche Richtung zeigen, gewinnt man sofort den Eindruck, aha – die Richtung stimmt und das Datenvolumen ist gigantisch. Wenn Sie anfangen und wollen mehr Daten haben, wo dieses Wissen herkommt, beißen Sie bei diesen großen Unternehmen auf Granit. Und damit wird eine Lawine in Bewegung gesetzt, die den Eindruck erzeugt, morgen geht die Welt unter, weil nicht genügend Datenkapazität zur Verfügung steht für das mobile Internet. Es gibt einen Rettungsanker in diesem Thema, die Mobilfunkbetreiber sagen selbst, dass sie aktuell erst einmal ihr LTE-Netz ausbauen wollen. Dort haben sie ja noch Nachholbedarf und da sie im späteren Verlauf dann auch weitere Frequenzen im Rahmen von Auktionen erwerben wollen. Aber, und das ist das Entscheidende, sie wollen jetzt bereits sichergestellt haben, dass ihnen zum Beispiel das 700 Megahertz auf jeden Fall dann zur Verfügung steht, wenn sie es wirtschaftlich brauchen. Und damit werden ganz andere Entwicklungen in Hinblick auf den Rundfunk, entweder vorweg genommen oder die Entwicklung des Rundfunks einfach gestoppt.

9:54
Jörg Wagner: Das waren jetzt sozusagen die Planspiele im 700 Megahertz-Bereich. Aber der normale Hörrundfunk, der sendet ja, das wissen die Hörer von radioeins in Berlin und Brandenburg, zum Beispiel auf der 95,8 oder 95, 1 Megahertz. Das ist ja unterhalb 100.

10:10
Helmut G. Bauer: Also, es gibt Planspiele in Deutschland aktuell nicht. Wir hatten die Diskussion zur Abschaltung von UKW im vergangenen Jahr, als das Telekommunikationsgesetz novelliert wurde. Dort gab es ursprünglich einen Abschalttermin der UKW-Frequenzen im Jahr 2015. Dieser Zeitpunkt ist ersatzlos gestrichen worden. Das bedeutet aber nicht, dass damit das Thema am Ende ist, sondern es ist die Frage: Welche Frequenzen nutzen wir zukünftig für die Hörfunkübertragung? Dort gibt es die Position für Digitalradio, also über DAB, was ja auch in Berlin schon verbreitet wird. Andere Länder sind bei der Einführung von Digitalradio deutlich weiter. Norwegen wird UKW schon bald abschalten. Die Schweden haben gerade in dieser Woche verkündet DAB einzuführen, also Digitalradio, und bereits angekündigt 2022 dann UKW abzuschalten. Die Situation in Deutschland ist ja deswegen auch interessant: was passiert denn mit einem Spektrum, das eventuell frei wird? Oder umgekehrt: Gibt es einen Bedarf von einer Gruppe, die sich für das UKW-Spektrum interessiert? Und da ist es in der Tat so, und das gibt dann die Verbindung zu dem Fernsehspektrum oben im 700er-Bereich und darunter. Man wird nicht alle Frequenzbedarfe dort unterbringen, weil nicht nur die Mobilfunker wollen Kapazitäten haben, sondern auch die ganzen Sicherheitsdienste. Denken Sie mal an die Überschwemmungen in Ostdeutschland. In Zukunft werden Sanitäter oder auch die Einsatzkräfte mit Helmkameras ausgestattet sein, die dann mit diesen Kameras Bilder von der Einsatzstelle direkt in die Zentrale übertragen, um dort die Einsätze zu koordinieren. Dafür braucht man genau dieses Spektrum. Und jetzt gibt es eine besondere Anwendung, die hervorragend in den UKW-Bereich hineinpassen würde und oben Entlastung schaffen würde. Das ist der sogenannte ‚Bündelfunk‘. Bündelfunk wird beispielsweise eingesetzt, wenn die Berliner Verkehrsbetriebe mit ihren Bahnen kommunizieren oder wenn in großen Werken der Werkschutz unterwegs ist, die Werksfeuerwehr. Also alles recht relevante Bereiche unseres täglichen Lebens. Und die könnten hervorragend aufgrund der Ausbreitungsbedingungen im UKW dieses Spektrum nutzen. Und da Spektrum eine sehr kostbare Ressource ist, wird eben versucht, jede Möglichkeit zu nutzen, um möglichst viele zu bedienen.

12:49
Jörg Wagner: Also, das bleibt ein ganz spannendes Feld. Sie haben es mitbekommen, so ein Hauen und Stechen um die Frequenzen. Wer am Ende gewinnt, lässt sich jetzt noch nicht sagen. Das war Helmut G. Bauer, Rechtsanwalt und Vertreter des Verbands der Nutzer und Hersteller drahtloser Übertragungssysteme. Und die Mikrofone müssten nach diesem Planspiel erneut umziehen. Wir hatten hier im Medienmagazin vor 3,4,5 Jahren darüber berichtet und schon wieder wären mehrere Millionen Werte einfach so weg.

(wörtliches Transkript; Dank an Wiebke Schindler )

(© Foto: Jörg Wagner)


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