Die dapd-Krise


Am 02.10.2012 wurde die Nachrichtenagentur dapd selbst zur Nachricht. Sie meldete Insolvenz an. Die Nachricht kam überraschend, war dapd doch erst im August 2011 zur Vollagentur aufgestiegen und hatte erklärt, man wolle den Konkurrenten dpa verzichtbar machen. Und bis zum Schluss gab es teure Personaleinkäufe, so dass niemand so richtig mit einem plötzlichen Ende von dapd gerechnet hatte.


Nun also die Insolvenz in Eigenverwaltung, eine Form, die man gewählt hat, um den Umbau der Agentur selbst mit gestalten zu können. Bis 30.11.2012 wurde Insolvenzgeld durch die Arbeitsagentur bezahlt. Jetzt muss dapd wieder auf eigenen Füßen stehen – Stand alone nennt sich das – und die Frage lautet, gibt es inzwischen eine Strategie für die Zukunft der Agentur?


Auch warum dapd ins Schlingern geriet, ist bis heute nicht sehr transparent. Zumal es fast unmöglich schien für Kollegin Vera Linß irgendjemand aus dem inner circle zu interviewen. Es gab permanent Absagen.

„Da ist niemand mehr für eine strategische Produktentwicklung.“

Wer:
* Timon Saatmann, bis 28.11.2012 stellv. Chefredakteur dapd (Foto)
* Vera Linß, freie Medienjournalistin
Was: Interview zur Krise bei dapd
Wann: 29.11.2012; veröffentlicht in Auszügen im radioeins-Medienmagazin, rbb, 01.12.2012
Wo: Berlin

Vgl.:
* Der Streit: dpa – dapd
* dapd in der plötzlichen Krise


(wörtliches Transkript)

00:00
Vera Linß: Wie haben Sie die letzten zwei Monate bei dpad erlebt?

00:04
Timon Saatmann: Die letzten zwei Monate bei dapd waren … ja waren geprägt von Hoffnung, von Bangen, von Unsicherheit, von sehr viel … ja von sehr viel Angst. Von sehr viel … von sehr schlechter Kommunikation innerhalb des Unternehmens, weil halt so viel unsicher war. Also, die Kollegen hatten verständlicherweise ein sehr hohes Bedürfnis ganz, ganz viel zu erfahren. Und auf der anderen Seite der Geschäftsleitung, in der Führungsebene gab es an vielen Stellen gar nichts, was man hätte sagen können. Oder mit immer neuen Wasserstandsmeldungen erzielt man jetzt auch keine Sicherheit. Und in sofern war das eine sehr, sehr unsichere Zeit für die Mitarbeiter, die wirklich, glaube ich, jedem einzelnen in dem Unternehmen – egal, ober heute noch da ist oder auch nicht mehr da ist – die jedem wirklich sehr, sehr an die Nieren gegangen ist und echt Spuren hinterlassen hat.

00:45
Vera Linß: Sie mussten ja jetzt auch gehen, gehören zu den 98, die entlassen worden sind. Wussten Sie vorher, dass Sie dazu gehören werden?

00:54
Timon Saatmann: Also, es war für mich am 2. Oktober, als irgendwann 14 Uhr oder 12 Uhr wir vorab über die Insolvenz informiert worden sind, war das klar für mich, war mir glasklar, dass ich das nicht überstehen werde und ich auch ehrlich gesagt nicht wollte. Also, als klar war, welches Ausmaß das nehmen wird, war für mich relativ schnell auch klar, dass ich das auch nicht überleben will. Und ich hätte nicht gewusst, was ich getan hätte, wenn ich nicht entlassen worden wär‘. Dann wäre ich womöglich echt enttäuscht gewesen. Also, hätte ich echt … da hätte ich ein Problem gehabt, weil ich mich komplett neu hätte orientieren müssen. Für mich war so immer klar, nee Du wirst entlassen und insofern war ich dann vom Kopf her sehr früh darauf vorbereitet, dass das passieren wird.

Es war auch in der Zusammenarbeit, sowohl mit dem Insolvenzgeschäftsführer, als auch mit der neuen Chefredaktion ab zweiten … also spätestens ab November klar, dass von der alten Führungsebene, die es früher gegeben hat, auf niemanden gesetzt wird, weil alle früheren regelmäßigen Veranstaltungen, jour-fix-Termine zwischen der Redaktionsleitung in der Chefredaktion, den Ressortleitern mit der Chefredaktion alle abgeschafft worden sind. Die hat es alle seit November nicht mehr gegeben. Und wenn ich auf irgendjemanden von denen gesetzt hätte, dann hätte ich ja weiter mit ihm reden können. Und wenn ich ihn nur einzeln einbezogen hätte … aber das hat komplett im November nicht mehr stattgefunden und deswegen war eigentlich jeden aus diesem Team klar, dass es für ihn keine Zukunft in dem Unternehmen geben wird.

02:15
Vera Linß: Kam das überraschend? Die Insolvenz? Was man von außen gesehen hat, da kam es ja ganz plötzlich. Wie hat sich das von innen dargestellt?

02:23
Timon Saatmann: Hat sich von innen genauso plötzlich dargestellt, wie es sich von außen dargestellt hat. Also, es gab innen … ich sag mal so auf einer gewissen Ebene gab es so ein paar Vorzeichen, dass es gerade ungemütlich wird. Der Laden hat ja zwei Investoren mit Löw und Vorderwülbecke. Vorderwülbecke war immer der, der sehr operativ in Berlin vor Ort war und Löw immer so die graue Eminenz im Hintergrund in München. Und es gab so drei, vier Wochen vor der Insolvenz immer wieder die Aussage, dass Löw sich jetzt mehr ins Operative einmischt. Und da sah man bei ganz vielen Menschen schon Sorgenfalten.

Und dann wurden so in den letzten zehn Tagen vor der Insolvenz sehr genau einzelne Bereiche auf Zahlen durchleuchtet. Und auf einmal kamen Menschen aus München, die noch nie in Berlin waren und setzten sich mit einzelnen Abteilungsleitern hin und haben mal auf Zahlen geguckt, haben sich mal Excel-Tabellen angeguckt und haben sich mal Bereiche erklären lassen, wie die funktionieren und warum die so funktionieren, warum die Geld verbrennen oder nicht verbrennen.

Und das waren alles jetzt angemessene Zeichen, weil bestimmte Bereiche einfach Geld verbrannt haben. Und sie haben alle darauf hingedeutet, dass irgendwas im Busch ist. Aber ich persönlich hab‘ eigentlich erwartet – ich hatte Vorwarnungen bekommen für diesen zweiten Oktober – und ich war eigentlich davon ausgegangen, dass man einen Cut macht und sagt, keine Ahnung, man schmeißt meinetwegen den Geschäftsführer raus oder strukturiert das an der und der Stelle um und ihr habt jetzt drei Monate Zeit für das Sparziel und sechs Monate Zeit für das Sparziel. Das hätte so ein normales Management gemacht. Und dass man sofort eiskalt, abrupt einfach den Stecker rauszieht und sagt: nee, keine Zeit mehr, ihr hattet genug Zeit, das war auch für uns und mich sehr überraschend.

(…)


(Foto: © Vera Linß)







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