Neujahrsgespräch 2016: Dagmar Reim

„Ich höre auf, weil ich denke, die Zeit dafür ist gekommen.“

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Wer: Dagmar Reim, Intendantin, Rundfunk Berlin-Brandenburg
Was: Neujahrsgespräch
Wann: veröffentlich am 02.01.2016, 18:12-18:25 Uhr im radioeins-Medienmagazin und in einer Vier-Minutenfassung im rbb Inforadio vom 03.01.2015, 10:44/15:24 Uhr
Wo: Berlin, Intendanz, Masurenallee

00:00
Jörg Wagner: Dagmar Reim, die obligate zweiteilige Neujahrsgesprächsfrage zu Beginn: worüber haben Sie sich im letzten Jahr, im Jahre 2015 gefreut und was meinen Sie, ist Ihnen oder dem Haus noch nicht so gelungen, dass es ein Jahr 2016 braucht?

00:17
Dagmar Reim: Es sind ja immer die kleinen Dinge, an die wir uns besonders intensiv erinnern. Bei mir sind es 2015 die Füchse gewesen. Es war mir schon klar, dass die Berlinerinnen und Brandenburger besondere Beziehungen zu Füchsen pflegen jenseits derer, die aus Reinickendorf kommen, aber es gab ein wunderbares Projekt, trimedial, online, im Radio, im Fernsehen: “Die Füchse in der Stadt”. Das hat mich begeistert. Viele Zuschauerinnen und Hörer auch, bis hin zu einem echt füchsisch, pfiffigen Fuchslogo. Das hat mir sehr gut gefallen 2015. Wir könnten jetzt zwei Stunden darüber reden, was nicht so gut gelungen ist, aber ich halte das eher für fruchtlos, denn, wenn man den Eindruck hat, es sei schon alles gelungen, sollte man dringend aufhören.

01:09
Jörg Wagner: Das machen Sie ja im Jahre 2016. Ist das eine Art der Zufriedenheit, die Sie damit dokumentieren?

01:15
Dagmar Reim: Nein, ich höre nicht auf, weil ich zufrieden bin. Ich höre auch nicht auf, weil ich unzufrieden bin. Ich höre auf, weil ich denke, die Zeit dafür ist gekommen. Jeder Mensch muss das sehen, hören, spüren, fühlen und bei mir ist es nun an der Zeit, denke ich.

01:36
Jörg Wagner: Das ist aber eine vorfristige Aufgabe des Amtes. Sie waren für länger gewählt, bis 2018. Nun beobachtet man gerade in der ARD in letzter Zeit, dass es vielleicht so eine Art Muster gibt: Frau Piel ist vorzeitig aus dem Amt gegangen, Helmut Reitze beim Hessischen Rundfunk hört vorzeitig auf. Praktisch Ihr Amtsvorgänger Günther von Lojewski am SFB damals hat auch eher aufgegeben. Ist das etwas, was man vielleicht mit dem Amt verbinden kann, dass das ein besonders kräftezehrendes Amt ist?

02:10
Dagmar Reim: Das halte ich für nicht zutreffend. Das Amt ist ebenso wenig kräftezehrend, wie viele andere. Und es macht große Freude, hier zu arbeiten. Wenn ich gehen werde, werde ich hier 13 Jahre verbracht haben und das, denke ich, ist länger als alle meine Vorgänger in diesem Amt.

02:32
Jörg Wagner: Sie haben private Gründe angegeben. Wieviel darf davon die Öffentlichkeit erfahren? Ist das eine sehr starke Doppelbelastung für Sie oder ist das tatsächlich etwas, was uns als Nutzer des rbb – ja man kann sagen – nichts angeht?

02:47
Dagmar Reim: Ich habe dazu alles gesagt, was es zu sagen gibt, wiederhole aber gern: es liegt in keiner Weise an der Arbeit, die mich nach wie vor so begeistert, wie am ersten Tag. Es ist mir nur ein- und aufgefallen, dass vielleicht nicht mehr für alles im Leben endlos Zeit sein wird. Dazu gehört in erster Linie die Familie.

03:10
Jörg Wagner: Sie haben SFB und ORB vereinigt. Ich will jetzt kein Bilanz-Interview machen, aber ist das, was Sie sich seinerzeit vorgenommen haben, für den, der Ihnen nachfolgt, eine Frau oder ein Mann, abgeschlossen? Würden Sie sagen, er übernimmt ein gut fusioniertes Haus?

03:28
Dagmar Reim: In einem Sender sind die Dinge immer im Fluss. Das liegt in der Natur der Sache. Aber ich denke, dass wir gemeinsam, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ich, in diesen 13 Jahren doch eine gute Grundlage gelegt haben für alles, was kommt. Der Sender ist finanziell konsolidiert. Wir nagen nicht am Hungertuch. Wir fordern von niemandem Finanzausgleich. Der Sender ist inhaltlich gut präpariert auf alles, was kommt, weil wir uns frühzeitig eingestellt haben auf eine multimediale Zukunft, früher als die meisten anderen.

04:05
Jörg Wagner: Mit Ihnen verbindet man auch, dass Sie es geschafft haben, ohne Frauenquote, weibliche Führungskräfte zu etablieren, in die Strukturen zu bringen oder dafür zu sorgen, dass das auch einen natürlichen Gang geht. Hat es möglicherweise sich dann gerächt, dass Sie es nicht irgendwie fixiert haben, wenn Sie gehen? Können Sie sich drauf verlassen, dass Ihre Nachfolger das ja nicht wieder aushebeln?

04:27
Dagmar Reim: Ich kann mich auf gar nichts verlassen. Und das ist auch gut. Ich kann nur das hinterlassen, was ich hier gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen veranstaltet habe. Ich brauchte keine Quotenvorgabe für Frauenförderung. Es ist mir selbstverständlich und absolut wichtig, dass Frauen, die die Mehrzahl unserer Bevölkerung stellen gleichermaßen in Führungspositionen arbeiten wie Männer. Dazu bedarf es meiner Meinung nach keinerlei Vorgabe, sondern eines kurzen intensiven Nachdenkens.

05:02
Jörg Wagner: Ich kann mir vorstellen, dass der Rundfunkrat darauf achtet, aber was würden Sie aus Ihrer persönlichen Erfahrungen sagen, was muss ein Intendant des rbb mitbringen, auch vielleicht um gleich Illusionen zu zerstören, die manch’ ein Bewerber haben könnte, wenn er sich an diesem Hause bewirbt?

05:19
Dagmar Reim: Ich bin keine Illusionskünstlerin und keine Illusionszerstörerin. Was für mich wichtige Eigenschaften sind, das ist: Humor, Abenteuerlust, Entdeckungsfreude, Neugier und die Fähigkeit, die Kreativität anderer Menschen zu erkennen.

05:36
Jörg Wagner: Hat es sich für Sie ausgezahlt, dass Sie Journalistin sind an der Spitze solch’ eines Hauses? Oder sagen Sie, ich würde dem nächsten empfehlen, es vielleicht dann anderen nach zu tun in der ARD: Jurist zu sein oder in der Verwaltung gut zu sein?

05:50
Dagmar Reim: Es gibt in unserem schönen Beruf keine exakte Berufsbeschreibung. Es gibt gute Journalisten-Intendanten und schlechte. Es gibt gute Verwaltungs-Menschen in diesem Amt und schlechte. Es gibt gute Juristen und schlechte. Das bedeutet: darin liegt auch eine Chance. Für mich selbst war es günstig, davon etwas zu verstehen, was meine Kolleginnen und Kollegen hier machten. Ich hätte also, wenn Not an der Frau gewesen wäre, jederzeit eine Sendung machen können. Das hat vielleicht bei manchen Kollegen das Gespräch erleichtert.

06:26
Jörg Wagner: Sie stehen einem Medienunternehmen vor, das auch ins Jahr 2016 mit Höhepunkten geht wahrscheinlich. Aber Sie sagen, es gibt möglicherweise wichtigere Dinge als der Medienkonsum oder ein Medium zu leiten. Nehmen wir manchmal das ganze Fernsehprogramm zum Beispiel nicht zu wichtig mit den Quoten und auch mit den Erfolgen, mit dem Inszenieren um uns selbst?

06:48
Dagmar Reim: Jeder Mensch, der etwas mit Leidenschaft betreibt, möchte gern, dass das, was er macht, gut ist. Das ist bei einem Briefträger nicht anders, als bei einer Chemikerin. Und deswegen erwarte ich von uns das, was eine Rundfunkrätin mal ganz am Anfang unseres fusionierten Senders als ‘Anstrengungsbereitschaft’ gekennzeichnet hat. Wir haben die Chance, Programme anzubieten. Und wir sollten das Beste machen, was wir können. Darum reißen sich sehr, sehr viele meiner Kolleginnen und Kollegen. Und das finde ich wichtig, dass nicht fehlt an Bereitschaft, das Bestes zu geben.

07:26
Jörg Wagner: Welchen Stellenwert hat für Sie der unabhängige Journalismus? Gerade flammt wieder so eine Diskussion auf beim Mitteldeutschen Rundfunk durch eine ja dann doch eher nicht verfassungsgemäße Zusammensetzung, wie stark der Staatseinfluss, der Parteieneinfluss sein kann. Sie sind eigentlich als damals Außenseiterin hier in den rbb gekommen, aufgrund der Tatsache, dass es Bewerber gab, die sich nicht unabhängig zeigten und hatten damit eine Chance, dem zu trotzen. Ist es aber nicht so, dass man dennoch die Vertreter des Staates von Parteien und auch von Kirchen mit einbeziehen muss?

08:02
Dagmar Reim: Die politische Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist das größte Gut, dass uns die Alliierten nach der Katastrophe des Dritten Reiches geschenkt haben. Wir sollten sie hüten. Wir sollten Sie bewahren. Wir sollten sie verteidigen. Das ist im rbb sehr gut gelungen. Ich trenne dies vollständig von der Thematik, dass in einem Rundfunkrat, der alle Schichten der Gesellschaft repräsentieren soll, meiner Meinung nach auch Vertreterinnen und Vertreter von Parteien, von Gewerkschaften, von Kirchen, von Elternverbänden sitzen sollen und können. Es geht ja um einen Querschnitt. Es geht nur darum – und da ist die kritische Grenze erreicht und deswegen war das ZDF-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes so wertvoll – es geht nur darum, dass Vertreterinnen und Vertreter politischer Interessengruppen niemals die Mehrheit in einem solchen Gremium haben oder durch Hinzuziehung ihnen geneigter freier, also ‘grauer’ Gruppen erringen können. Darum geht es. Das ist wichtig.

09:12
Jörg Wagner: Nun könnte man ja meinen, also die politische Kultur hätte sich auch ein Stück weit verbessert, gerade auch durch solche Rundfunkurteile. Jetzt mal Hand auf’s Herz: wieviel Politiker wollten mit Ihnen frühstücken und wieviel Bischöfe?

09:23
Dagmar Reim: Der eine oder die andere. Damit hab’ ich auch überhaupt kein Problem. Ob man mit jemandem frühstückt, mit jemandem spricht, mit jemandem streitet, mit jemandem diskutiert, das alles gehört zu meiner Aufgabenbeschreibung. Was nicht dazugehört, ist, Einflüsse anzunehmen. Aber da ist es wie immer im Leben: it takes two to tango. Einer muss es versuchen und einer muss es machen.

09:48
Jörg Wagner: Und einer wird es ab Mitte 2016 machen müssen. Aber zuvor können Sie, glaube ich, noch guten Gewissens sagen, was denn die ersten sechs Monate Ihre Lieblingsprojekte sind, auch eingedenk der Tatsache, was Sie jetzt gerade gesagt haben zur Unterhaltung und zum Journalismus.

10:04
Dagmar Reim: Ich freue mich auf allerhand. Ich freue mich selbstverständlich auf ‘Gutes Wedding, schlechtes Wedding’. Das ist eine Urberlinische – wie soll ich sagen – Theaterleistung, die wir jetzt ins Fernsehen bringen. Die hat sehr viel Sitcom-Charakter und ich bin sehr gespannt darauf, wie sie unser Publikum annimmt. Ich freue mich auf die Rainald-Grebe-Schau aus Brandenburg. Wie ich ihn kenne, wird er auf sehr Grebische Art wieder sehr, sehr beleidigend werden und darüber können wir dann von Herzen lachen. Auf der politischen Agenda steht viel. Das Thema Flüchtlinge ist ein Thema, bei dem sich die Qualitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie aller Qualitäts-Medien beweisen müssen. In Zeiten, in denen wir der ‘Lügenpresse’, des Vorwurfs ‘Lügenpresse’ ausgesetzt sind, kommt es genau darauf an, wie wir hier die Themen setzen, wie wir unsere Quellen nennen und wie wir jene zu Wort kommen lassen, die sich vielleicht schon nicht mehr durch uns repräsentiert und verstanden fühlen. Es ist wichtig, alle Seiten zu bedenken, gerade bei diesem Thema. Aber ich habe den Eindruck und das ist noch der Rückblick auf 2015, dass es uns hier sehr, sehr gut gelungen ist, Qualitätsstandards zu zeigen.

11:29
Jörg Wagner: Möchten Sie auch die Quantität steigern? Oder ist Ihnen das letzten Endes egal, weil Sie damit auch keine Werbung einfahren?

11:35
Dagmar Reim: Ja, selbstverständlich möchten wir die Quantität steigern. Immer. Je mehr Menschen unsere Programme sehen, hören und klicken, desto besser. Da möchte ich mal jemanden kennen lernen, der sagt, es macht mir nichts aus, wenn es nur meine drei Freunde und die Schwägerin sehen oder hören. Nein, wir sind daran interessiert, möglichst viel Publikum zu gewinnen.

Jörg Wagner: Dazu wünsche Ihnen viel Erfolg. Dankeschön.

(wörtliches Transkript)

(© Foto: rbb/Oliver Wia)


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