Robert Bachem: Gegen Info-Häppchen – Dokus bei ZDFinfo

Robert Bachem | Foto: © ZDF/Carmen Sauerbrei
Robert Bachem | Foto: © ZDF/Carmen Sauerbrei


Download

Was: Telefoninterview zum Genre Dokumentation/Dokfilm und über Programmhighlights 2018 bei ZDFinfo
Wer: Robert Bachem, Leiter des Programmbereichs „ZDFinfo, Gesellschaft und Leben“
Wann: veröffentlicht am 10.02.2018, 18:48 Uhr im radioeins-Medienmagazin (rbb)

Vgl.:
* Skandal! Große Affären in Deutschland
* „Science-Checker“ | Flüssige Phänomene

Offenbarung: Der ZDF-Infokanal hat im Frühjahr 2008 eine Doku gesendet, an der ich als Autor beteiligt war.


[00:02] Jörg Wagner: Nächste Woche sind wir ja wieder das Berlinale-Radio. Und da werden wir hier sehr umfangreich natürlich über alles, was dort auf den Leinwänden flimmert, berichten. Auch die ARD stellt wieder ihre Dok-Filme vor mit „Top of the Docs“. Das wird dann hier im Medienmagazin reflektiert. Aber das Thema Dokfilm zieht sich ja eigentlich durch die 20jährige Geschichte des Medienmagazins, weil immer natürlich auch die Dokfilmer mehr verlangen von den Sendern, als die zu leisten im Stande sind. Im Dezember hatten wir Sie hier informiert über eine Veranstaltung – es waren sogar zwei Anfang Dezember – über die Forderung der Dokfilmer doch den langen Dokumentarfilm viel stärker im Programm auszustrahlen. Also lang heißt hier wenigstens so 75 bis 90 – und vielleicht sogar noch länger – Minuten. Und da gab es in der ARD den Hinweis: Wir haben ja so 12 bis 18 Filme im Jahr. Das ist den Dokfilmern zu wenig und im ZDF – war die Kritik – findet man überhaupt gar keinen regelmäßigen Langfilm. Und mit dieser These konfrontierte ich kürzlich den ZDF-Intendanten Thomas Bellut.

[01:14] Thomas Bellut: Also, ich find‘ den Neunziger schon interessant als Dokumentarfilm. Wir hatten zu Beate Zschäpe einen 90er im Programm, der auch gut funktioniert hat. Und ich kann mir vorstellen, bei Schwerpunktthemen, also die von großer Bedeutung sind, dass man auch mal den Dienstag für 90er öffnet. Das muss ich – ich hab‘ natürlich … ich les‘ natürlich alles, was so berichtet wird – noch mal mit den Direktoren da diskutieren. Aber ich bin selbst ein großer Anhänger von aufwendig gemachten Dokumentationen. Ich will aber auch sagen, es gibt keine prinzipiellen Widerstände. Wir haben als Sendeschema-Plätze, die 45er sind, wie Terra X super erfolgreich auch. Aber warum sollen wir uns da selbst beschränken? Es wäre eine interessante, neue Variante und das könnte eine der neuen Wege sein.

[02:02] Jörg Wagner: ZDF-Intendant Thomas Bellut kann sich Langformate, also klassische Dokumentationen über eine Stunde im ZDF-Programm vorstellen. Kann sich das auch der Leiter des Programmbereichs „ZDFinfo, Gesellschaft und Leben“, Robert Bachem? Ich begrüße ihn jetzt am Telefon. Bisher, so die Kritik der AG Dok, die die Interessen der Dokfilmer vertritt, gibt es das regelmäßige Langformat beim ZDF nicht. Kennen Sie die Gründe, Herr Bachem?

[02:27] Robert Bachem: Ja, fürs ZDF kann ich da ja wenig sprechen. Ich darf nur darauf verweisen, dass es natürlich im ZDF „Das kleine Fernsehspiel“ gibt und es an bestimmten Tagen durchaus auch Langformate gibt. Bei ZDFinfo kann ich sagen, dass wir Langformate natürlich auch kennen und auch den Dokumentarfilm, den ausländischen, wie den inländischen durchaus auch bei uns kennen in den unterschiedlichen Formen. Auch als Auftragsproduktion haben wir Dokumentationen und Dokumentarfilme in der längeren Form. Insofern, da wir ja auch das ZDF sind, kann ich mir das bei mir sehr gut vorstellen und wird ja auch sozusagen von uns auch schon betrieben.

[03:08] Jörg Wagner: Wie sieht denn das Programmjahr 2018 im Doku-Bereich bei ZDFinfo aus und spielt die Länge tatsächlich eine Rolle bei der Wissensvermittlung?

[03:18] Robert Bachem: Naja, also ich sag jetzt mal so: Wir sind ein sehr kleiner Sender. Das hat auch mit praktischen Erwägungen der Programmplanung zu tun, dass man bestimmte Slots bespielt und bestimmte, gleiche Längen braucht. Der Tag hat 24 Stunden. Den befüllen wir mit etwa 30 Dokumentationen, Nachrichten, Trailern. Da spielt natürlich die Länge eine Rolle. Aber wie ich schon sagte, das 90- sogar 120- Minuten-Format ist uns durchaus nicht fremd. Und wir kaufen politische Dokumentationen, die länger sind und teilweise auch dokumentarisch gemacht sind. Ich kann mich erinnern, dass wir eine IS-Dokumentation von unserem Partner PBS hatten, die sehr erfolgreich gelaufen ist und die länger als 90 Minuten war. Natürlich spielt das eine Rolle bei Programmplanungen immer und natürlich noch mehr im Hauptprogramm. Und Dokumentarfilme sind nicht immer, aber manchmal doch eher, sagen wir mal, für eine sehr spitze Zielgruppe. Und es ist doch relativ schwer, sie an den Mann zu bringen. Aber es gibt hier auch Ausnahmen von dieser Regel. Und bei ZDFinfo würden mir spontan ein paar einfallen, die vor allem eher aus diesem politischen Bereich kommen und diesem wissensvermittelnden Dokumentarfilm. Aber ich darf daran erinnern, dass auch 3sat, auch die ZDF-Redaktion Dokumentarfilme pflegen, also das, was das ZDF zuliefert. Und auch wir haben einen dokumentarischen Film zugeliefert über die Neue Rechte bei 3sat, der auch bei ZDFinfo läuft. Und wir freuen uns auf bewährte Fortsetzungen, die wir haben, mit der „Skandal!“-Reihe „Die großen Affären in Deutschland“ auch die „Panzer-Reihe“, die ja sehr ungewöhnlich ist. Denkt man immer, das wäre Militärgeschichte, ist es aber gar nicht. Da wird es noch zwei Teile geben. Wir haben die Serie „Crime and Justice“ mit Thorsten Eppert über das Justizsystem in den Vereinigten Staaten. Auch hier werden wir etwas fortsetzen. Dann werden wir eine neue Reihe einstarten: „Die Science-Checker“. Das sind schon mal zwei Folgen über Wissenschaftler, die sich im Alltag mit dem Alltäglichen beschäftigen und wissenschaftlich hinterfragen. Auch Altbewährtes wie „DDR mobil“, eine sehr erfolgreiche Reihe, wird fortgesetzt werden und kommende Woche starten wir ein „Von der Keule zur Rakete – Die Geschichte der Gewalt“. Auch hier starten wir mit vier Folgen. Da wird es insgesamt zehn Folgen geben in einer internationalen Koproduktion. Also, es gibt vieles, vieles Neues in 45 Minuten und 90 Minuten.

[05:52] Jörg Wagner: Ist das – ich höre ständig, dass Sie sagen: Reihe, Reihe, Reihe – ist das ein neuer Trend, dass der Dokumentarfilm serielle und Reihen-Strukturen hat, dass also praktisch der lange Dokumentarfilm zerstückelt und damit ja dann auch wieder sehr, sehr lang ist?

[06:06] Robert Bachem: Naja, also der Dokumentarfilm und die Dokumentation, die Unterscheidung, da kann man lange darüber streiten. Wir sprechen bei unseren Filmen von Dokumentationen. Es sei denn, es ist wirklich ein Dokumentarfilm. Dokumentarfilme sind länger und an einem Stück erzählt, sind dramaturgisch auch auf längeres ausgelegt. Aber es gibt auch kurze Dokumentarfilme. Auch das hatten wir. [Hans-] Dieter Grabe hat bei uns einen etwas kürzeren Dokumentarfilm jüngst zum besten gegeben. Der hatte 45 Minuten. Also, ich will nur sagen, das ist ein weites Feld. Bei uns hat sich das durchgesetzt, in Reihen zu programmieren und auch Reihen zu bestellen. Das heißt, man kann zum Beispiel eine Geschichte auch mal zu Ende erzählen. Und der Vorteil der Dokumentation ist ja gerade, dass man gegen diese Info-Häppchen eben mal eine dreiviertel Stunde setzt, aber dann auch mal in Reihe programmieren kann. Also, dass man dann sagen kann, wir senden einen „Franco“ dann eben mal durch und das sind dann vier Folgen à 43 Minuten. Und das ist halt dann auch eine lange Strecke, in der man sich über Franco informieren kann. Man kann aber dann auch – und das meine ich mit den Programmier-Schwierigkeiten, die man mit ganz langen Formaten hat – da kann man auch mal nur zwei senden, wenn’s in einem anderen Zusammenhang passt.

[07:23] Jörg Wagner: Eine Doku guckt man sich ja dann auch vielleicht mal zeitsouverän und vor allem eben thematisch motiviert an, also dass man sich mal so eine ganze Reihe in der Mediathek ansieht. Wie sieht denn das Verhältnis zwischen den linearen Guckern und den Mediatheken-Nutzern aus? Haben Sie da Zahlen?

[07:41] Robert Bachem: Also, was wissen wir über das Verhältnis? Also es ist so, dass die Dokumentationen sehr gut geschaut werden in der Mediathek. Wir haben dort an den Marktanteilen an unserer eigenen Mediathek … sind wir als Informationsformat weit vorne. Allerdings ist der Abstand zum Fernsehen noch vergleichsweise groß. Also, da muss man in der Mediathek schon sehr, sehr erfolgreich sein, um da weiterzukommen. Aber einzelne Dokumentationen können am Tag durchaus 30- bis 40tausend Abrufe evozieren und werden dann im Schnitt fast 23 Minuten geguckt. Das ist durchaus viel. Und solche Erfolge haben wir mehrfach die Woche. Allerdings ist das im Vergleich zum Fernsehen noch vergleichsweise gering. Aber das ist ein wachsender Markt, in dem das ZDF ja versucht, mit einer schönen Anordnung für die Zuschauer zu punkten. Und interessant ist auch da, dass die Reihen von den Zuschauern sehr geschätzt werden. Also, tatsächlich die Reihe über Franco, die ich gerade genannt habe oder auch „Die Affären“, die nicht nur im Fernsehen erfolgreich laufen, werden auch als Reihen in der Mediathek gesehen.

[08:54] Jörg Wagner: Als wir Sie vor rund anderthalb Jahren zum fünften Geburtstag von ZDFinfo interviewten, sagten Sie, dass man sich auch vorstellen könne, beziehungsweise anstreben wolle, international mitzumischen. Sie sagten wörtlich: „Wir wollen ein großer Dokumentationsanbieter auch eines Tages mal werden“. Sind Sie es inzwischen schon?

[09:16] Robert Bachem: Na, ein großer würde ich nicht sagen, aber wir machen da doch erhebliche Fortschritte. Nehmen wir beispielsweise diese Reihe „Von der Keule zur Rakete – Die Geschichte der Gewalt“ oder die Reihe „Panzer“, in der wir sozusagen die Panzer mal nicht als militärisches Machtmittel und mehr oder weniger der Waffenindustrie überlassen, die Geschichte zu erzählen, sondern wie tragisch eigentlich die Geschichte der Menschen war, die mit diesen Tötungsmaschinen zu tun hatten. Solche Dinge stellen wir jetzt international her. Das ist ein Trend, den man bei uns beobachten kann. Auch die Franco-Reihe, [da] war internationales Geld drin. Und bei vielen anderen Hervorbringungen von ZDFinfo arbeiten wir international zusammen. Mit PBS haben wir eine Partnerschaft, wo wir nicht nur gegenseitig Dokus übernehmen, sondern auch gemeinsam Dinge herstellen. Mit der französischen Produzenten-Szene versuchen wir, soweit es geht, gemeinsame Projekte zu finden. Und ich bin eigentlich zuversichtlich, dass wir da weiterkommen.

[10:32] Jörg Wagner: So der Leiter des Programmbereichs „ZDFinfo, Gesellschaft und Leben“, Robert Bachem in einem aufgezeichneten Interview. Der Hinweis von mir noch: „Von der Keule zur Rakete“ läuft am Mittwoch, 21. Februar, 20:15 Uhr. Und nächste Woche startet um 20:15 Uhr auf ZDFinfo die neue ZDFinfo-Serie „Die Science Checker“ mit „Flüssige Phänomene“.

(wörtliches Transkript)









Print Friendly, PDF & Email