Dr. Wrabetz zum ORF unter der ÖVP/FPÖ-Regierung

Dr. Alexander Wrabetz | Foto: © Jörg Wagner
Dr. Alexander Wrabetz | Foto: © Jörg Wagner

Wer:
* Dr. Alexander Wrabetz, ORF-Generaldirektor ab 01.01.2007
* Daniel Bouhs, Freier Medienjournalist (u. a. ZAPP/NDR; rbb-Medienmagazin; TTB, WDR5)
* Jörg Wagner, Freier Medienjournalist (rbb-Medienmagazin)
O-Ton-Vorsetzer:
* Armin Wolf, Rede nach Entgegennahme des Robert-Hochner-Preises, 17.05.2006
* Telefon-Interview mit Dr. Alexander Wrabetz nach dessen Wahl, veröffentlicht am 19.08.2006 im radioeins-Medienmagazin, rbb
Wo: ORF-Zentrum, Würzburggasse 30, Wien
Wann: rec.: 10.05.2019, 14:30 Uhr, veröffentlicht in einer gekürzten Fassung im radioeins-Medienmagazin vom 11.05.2019, 18:50 Uhr und im rbb-Inforadio am 12.05.2019, 10:44/17:44 Uhr



(wörtliches Transkript, Auszug, Hörverständnisfehler vorbehalten)

[…]

[00:01:53] Daniel Bouhs: In den vergangenen drei Wochen wurde auch extrem breit in Deutschland wahrgenommen, registriert, wie die FPÖ offensichtlich hier versucht zumindest Druck auszuüben. Wir hatten jetzt gerade den Fall eben: ‘Armin Wolf’, dem man ein Sabbatical gewünscht hat, also er sollte mal eine Zeitlang von der Bildfläche verschwinden …

[00:02:11] Jörg Wagner: … gebührenfinanziert sogar.

[00:02:13] Daniel Bouhs: Genau. Sie hatten den Vertrag des Ungarn-Korrespondenten verlängert, der ja auch in der Kritik der FPÖ war. Ist das eine Sache die zunimmt? Also sozusagen: kommen die Schüsse … werden sie mehr? Kommen sie näher? Und die Frage ist natürlich: Wann trifft so etwas auch mal? Wann gibt es nicht nur verbale Attacken, sondern wann wird tatsächlich reinregiert hier in den ORF?

[00:02:38] Dr. Alexander Wrabetz: Na ja. Es ist ja so: Wir haben an sich im ORF – ähnlich wie bei den deutschen öffentlich-rechtlichen Anstalten – ja eine sehr, sehr starke Stellung des Generalintendanten oder halt des Generaldirektors, der sehr schwer absetzbar ist, also nur mit einer Zweidrittelmehrheit absetzbar ist, und eine – wenn man die Rolle so wahrnimmt und versteht – ein gutes Schutzschild ist. Und daher habe ich auch sozusagen als Reaktion auf den Wunsch nach Ablöse des Ungarn-Korrespondenten, weil Sie das angesprochen haben, dessen Vertrag gleich einmal drei Jahre verlängert, um zu zeigen, wir stehen sehr positiv gegenüber den starken Leistungen unserer Korrespondenten. Und natürlich denke ich auch nicht im Traum dann daran, irgendwelche Zurufe ernst zu nehmen, ich möge mich vom … als ORF vom Armin Wolf trennen oder ihn versetzen oder beurlauben oder so irgendetwas. Das heißt, solange wir diese Grundverfasstheit haben, ist das schon eine starke politische Diskussion, der wir ausgesetzt sind, aber nicht eine solche, dass es zu Veränderungen kommt.

[00:03:56] Ändern kann sich was, wenn das derzeit in Vorbereitung befindliche Gesetz kommt, wo ja eben einer der Ansatzpunkte der Regierung ist, dass diese starke Stellung des Alleingeschäftsführers aufgeweicht werden soll und sozusagen statt eines Generalintendanten oder Generaldirektors dann vier, also sehr unmittelbar von der Regierung besetzte Vorstände eingesetzt werden.

[00:04:24] Jörg Wagner: Aber das ist ja noch sozusagen in der Zukunft. Man kennt den Text nicht so richtig, nur Entwürfe. Es wird darüber geredet …

[00:04:29] Dr. Alexander Wrabetz: … nein …

[00:04:31] Jörg Wagner: Lassen Sie [uns] dennoch noch mal zur aktuellen Situation zurückkehren. Wenn ein ORF-Stiftungsratsvorsitzender etwas sagt, hat das dann hier nicht Gewicht? Es ist doch das Kontrollorgan des ORF. Und wenn der sagt, also er würde Ihnen empfehlen und Armin Wolf doch mal ein bisschen auszusetzen oder wenn er sagt, man kann Ihre Nachrichtensendung gar nicht sehen, sondern er guckt lieber ZDFneo stattdessen – das kann doch an Ihnen nicht so einfach spurlos vorbeigehen, oder? Müssen Sie nicht handeln, müssen Sie nicht irgendwas machen?!

[00:05:01] Dr. Alexander Wrabetz: Na ja. Ich glaube, dass es ja so ist: In der praktischen Arbeit des Stiftungsrates als Aufsichtsgremium findet ja das alles so nicht statt, wie es da jetzt in Interviews artikuliert wird, sondern da muss ich sagen, dass der Dr. Steger als Vorsitzender eine total sachliche Arbeit macht und wir in dem Gremium alle Beschlüsse weitestgehend einstimmig gefasst haben im letzten Jahr und eigentlich es gelungen ist, aus dem Gremium selbst die Parteipolitik sehr stark herauszuhalten. Das ist sozusagen, was die Realebene betrifft. Das ist natürlich teilweise schon – man soll nicht sein Aufsichtsgremium sozusagen qualifizieren, aber dass ich natürlich schon auch Gespräche führe, weil ich sage, das nutzt ja dem Unternehmen auch nichts, wenn man hier die Qualität unserer Sendungen infrage stellt …

[00:06:03] Jörg Wagner: … na, es wurde sogar ganz konkret gesagt im Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk, mit ZAPP, dass Herr Wolf hier Eitelkeiten vor der Kamera aufführen würde und das sei kritikwürdig.

[00:06:13] Dr. Alexander Wrabetz: Also, jetzt muss man auch wieder sagen: Ich glaube, das steht uns gut an, dass man uns auch kritisieren kann, ja? Und wir werden auch genügend kritisiert. Dann kann man darüber streiten, gehört so etwas ins Gremium zum Beispiel oder muss das öffentlich sein – darüber kann man natürlich auch diskutieren. Ich glaube, es gehört aber immer auch dazu, dass man sagt, es als das zu werten, was es ist: Das sind Kommentare, das sind Stellungnahmen, die aber keine Auswirkungen haben auf unsere Arbeit.

[00:06:47] Ich glaube, der Armin Wolf hat ein Selbstbewusstsein, das stark genug ist, auch mit Kritik umgehen zu können. Wir haben einen starken Redakteursrat, der auch nicht sich scheut, hier in die Debatte einzutreten. Und wir haben eine Geschäftsführung und Strukturen, die auch nach außen hin das Abschirmen. Das muss man sagen: Die reale Situation, die sehe ich jetzt nicht problematisch. Natürlich, wenn das so weitergeht, dann kann sehr wohl auch nur eine Diskussion oder Dikussionsbeiträge dann zu einer Veränderung des Klimas führen. Aber ich glaube, so weit sind wir noch nicht.

[00:07:31] Daniel Bouhs: Armin Wolf hat ja eine extrem intensive Berichterstattung bekommen – klar, hier in Österreich, aber auch überraschend groß kann man fast sagen in Deutschland bis hin nach Indien, wie er selbst getwittert hat. Ist das dann eine Sache, bei der Sie sich denken, na ja, kommt Leute, das ist jetzt alles ein bisschen übertrieben, wenn man sich anschaut, was real passiert jenseits von Drohungen – oder sagen Sie sich innerlich „Danke FPÖ für diese PR, die ja letztlich zeigt, wir sind der starke ORF, wir machen einfach so weiter und werden sogar von denen, die wir kritisch anfassen zurück kritisiert“…

[00:08:04] Jörg Wagner: …und laden ein paar Tage später dann eben den Bundeskanzler ein?

[00:08:07] Dr. Alexander Wrabetz: Ja, also ich glaube, dass man zwei Dinge dazu sagen muss. Das erste: Ich bin absolut nicht der Ansicht, dass Österreich jetzt in der Gefahr oder auch nur in der Nähe ist irgendwie in Richtung autoritäre Medienstrukturen zu gehen. Ja? Da muss man schon die Kirche im Dorf lassen bei uns, dass man sagt, ja, es gibt Auseinandersetzungen mit der Politik, es gibt manchmal Kommentare in der Politik, auch von Entscheidungsträgern in der Politik in den Gremien, die man sich so nicht wünschen würde, aber das gibt’s ehrlicherweise auch – wie ich von vielen Kollegen aus dem internationalen Bereich weiß – in anderen Ländern auch, vielleicht nicht so öffentlich. Und daher muss man sagen: Hier geht es um eine Auseinandersetzung über die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer Demokratie. Und da müssen wir schauen, dass wir Rahmenbedingungen aufrechterhalten oder schaffen, dass wir diese Rolle auch entsprechend wahrnehmen können. Und insofern ist es eine wichtige Diskussion. Und insofern ist es auch wichtig, dass auch unsere Politik sieht, dass das international wahrgenommen wird – jetzt weniger vielleicht bedeutsam, was in Indien kommentiert wird, aber wenn in Deutschland das so wahrgenommen wird, dann hilft uns das schon in den Diskussionen, die jetzt kommen.

[00:09:31] Daniel Bouhs: Also diese Aufmerksamkeit, die dadurch generiert wurde – bewusst oder unbewusst – auch als Schutz jetzt vor einem allzu, sagen wir mal, zerstörerischem neuen ORF-Gesetz?

[00:09:43] Dr. Alexander Wrabetz: Also, ich glaube, dass wir jetzt erst einmal die Debatte, dass man den ORF aus dem Budget finanziert statt mit einer Gebührenordnung, wie wir sie jetzt haben …

[00:09:54] Jörg Wagner: … muss mal kurz einschieben für die deutschen Hörer: Budget ist hier der Bundeshaushalt …

[00:09:57] Dr. Alexander Wrabetz: … der Bundeshaushalt, aus dem Bundeshaushalt, ja. Das heißt, dass man den ORF quasi verstaatlicht und direkt an die politische finanzielle Kandare nimmt, das ist jetzt erst einmal vom Tisch. Das hat finanzielle Gründe, wurde jetzt vom Bundeskanzler gesagt, das ist jetzt jedenfalls in den nächsten Jahren … steht’s nicht auf der Tagesordnung, obwohl es sehr stark von der FPÖ gefordert wird. Und da spielt einerseits eine Rolle, dass der Bund derzeit gar nicht das Geld hätte, uns das zu ersetzen – weil wir eine bestimmte Konsolidierungspolitik in der Republik fahren. Erstens. Aber zweitens hat schon die Rolle gespielt, dass das halt schon sehr – sage ich jetzt mal – nach Ungarn riecht, so eine Staatsfinanzierung…

[00:10:41] Jörg Wagner: … Stichwort „Orbánisierung“…

[00:10:43] Dr. Alexander Wrabetz: …Orbánisierung, ja. Und das ist, glaube ich schon, ganz klar beim Kanzler [Sebastian] Kurz, dass er in diese Richtung nicht – weder real noch optisch – gedrängt werden will. Und insofern hat diese Aufmerksamkeit unserer europäischen Kollegen schon auch dazu beigetragen, dass wir jetzt einmal hier jedenfalls einen – sage ich jetzt einmal – einen Waffenstillstand haben, ne?

[00:11:07] Daniel Bouhs: Wie schätzen Sie denn Ihren Kanzler da ein? Ist das sein innerer Antrieb, sozusagen sein Wertegefüge, das zu verhindern, oder geht’s ihm um sein Image in der Außendarstellung?

[00:11:17] Dr. Alexander Wrabetz: Es ist sicher natürlich auch eine Frage, wie erscheint man im Rahmen der europäischen Politik, aber ich glaube schon, dass das auch schon sein … verwurzelt ist in seinem Denken, ja? Also das ist, glaube ich, etwas, was man eindeutig sagen kann, dass er zu … auch Fragen wie Meinungs- und Pressefreiheit hier eine klar im Rahmen des europäischen Wertegefühls sich bewegt.

[00:11:47] Jörg Wagner: Wenn es also nicht, sagen wir mal, die Steuer ist, die droht – gibt es andere Gefahren? Zum Beispiel Sie deuteten an, dass hier ein Vier-Mann- oder ein Vier-Frau-Team im ORF möglicherweise dann nicht eine Entscheidung fällen kann, sondern sich gegenseitig blockiert und dadurch vielleicht leichter von der Politik zu vereinnahmen ist? Ist es möglicherweise – hier wurden auch 800 Menschen bisher eingespart in den letzten Jahren –, dass Sie überhaupt in den wirtschaftlichen Druck geraten angesichts der Tatsache, dass auch Intermediäre weltweit agieren und Aufmerksamkeit absaugen, Stichwort „Facebook“ oder andere Plattformen. Wo würden Sie für sich die Hauptgefahr sehen momentan?

[00:12:32] Dr. Alexander Wrabetz: Na ja, ich glaube es sind zwei Dinge. Wir brauchen dringend ein neues Gesetz, um unseren Handlungsspielraum in der digitalen Welt zu erweitern. Weil, wenn wir jetzt sozusagen im Korsett eines linearen Broadcasters in Fernsehen und Radio bleiben und uns nicht öffnen können der sozusagen Medienplattformwelt mit allem, was damit verbunden ist, dann kriegen wir in ein paar Jahren allergrößte Schwierigkeiten. Dafür bräuchten wir ein Gesetz.

[00:12:58] Wir bräuchten nicht zwingend ein Gesetz, wo man sagt, wir tun jetzt Gremien vergrößern oder aufblähen, wo dann noch dazu die Spielregeln nicht klar sind, nach denen das dann erfolgt und die Verantwortlichkeiten nicht klar sind. Und da sehe ich schon – also es gibt noch keinen Entwurf, Sie haben es gesagt, aber nur die Ansage, dass so etwas kommt und das kann auch sinnvoll sein. Ja? Es gibt Aktiengesellschaften, die von Vorständen geleitet werden, ohne dass deswegen die Demokratie in Gefahr ist, sondern das ist etwas normales. Aber es kann auch eben dazu führen, was Sie gesagt haben, dass man Lähmungsmechanmismen in das Unternehmen einbaut, schaut, dass dann Vorstände auch sich besonders eng mit jeweils unterschiedlichen Teilen des Aufsichtsgremiums abstimmen und damit dann schon die Führung des Unternehmens geschwächt wird – gerade in einer Zeit, wo sich so viel ändert und wo man doch auch Entscheidungen und Richtungsentscheidungen treffen muss. Und eine meiner Richtungsentscheidungen, die ich jetzt die letzten mehr als zehn Jahre getroffen habe war zum Beispiel ein Ausbau der Information, zum Beispiel ein Ausbau auch bei knappen Mitteln unseres Korrespondentennetzes und, und, und. Und wenn man da dann immer mit vier Kollegen sich abstimmen muss, die möglicherweise sehr eng auch sich mit anderen abstimmen, kann das schwieriger werden.

[…]


ORF-Zentrum, Würzburggasse 30, Wien | Foto: © Jörg Wagner
ORF-Zentrum, Würzburggasse 30, Wien | Foto: © Jörg Wagner








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