Die Medienwächterin – Dr. Eva Flecken

MABB-Direktorin Dr. Eva Flecken während eines Abstandsinterviews auf der Terrasse der Medienanstalt Berlin-Brandenburg | Foto: © Jörg Wagner

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Wer:
* Dr. Eva Flecken, Direktorin der MABB, seit 15.03.2021
* Jörg Wagner, Freier Medienjournalist
Was: Abstandsinterview auf der Terrasse der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, MABB
Wann: rec.: 22.04.2021, ca. 13:15​ Uhr; veröffentlich in einer kürzeren Fassung im rbb Inforadio am 02.05.2021, 10:43/17:43 Uhr
und vollständig im Medienmagazin-PodCast
Wo: Berlin, Kleine Präsidentenstraße 1


(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

Jörg Wagner: [00:00:09] Wer sind Sie? Was machen Sie zurzeit? Und woher kommen Sie eigentlich?

Dr. Eva Flecken: [00:00:14] Also mein Name ist Eva Flecken. Und seit dem 15.03. bin ich Direktorin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Davor habe ich sieben Jahre bei Sky gearbeitet. Ich durfte dort zuletzt die Bereiche Regulierung, Politik und Jugendschutz verantworten. Und davor war ich bereits einmal in der MABB, wie die Medienanstalt Berlin-Brandenburg ja auch genannt wird und habe unter dem Direktor Hans Hege die Bereiche Medienpolitik, Netzpolitik und Digitale Projekte verantwortet. Und meine berufliche Laufbahn startete davor bei der gemeinsamen Geschäftsstelle der Landesmedienanstalten. Insofern freue ich mich sehr darüber, dass ich eben zurückkehren durfte auf die Seite der Regulierung, Mitte März, vor ungefähr sechs Wochen.

Jörg Wagner: [00:00:55] Sie sind eigentlich, ich weiß bloß nicht für wen, ein U-Boot. Sie waren bei der MABB. Sie waren bei Sky Deutschland und sind wieder zurückgekehrt. Für wen haben Sie spioniert?

Dr. Eva Flecken: [00:01:05] Für mich ganz persönlich und meine eigenen Interessen habe ich spioniert und mich vielleicht beruflich weiterentwickelt, nicht zurückentwickelt – das ist mir ganz wichtig – sondern habe Erfahrungen auf Seiten der Wirtschaft sammeln dürfen. Auch vielleicht mal die Zusammenhänge, wie eigentlich Medienprodukte wie TV-Produktionen funktionieren, auch wie ein internationaler Medienkonzern aufgebaut ist und habe dann festgestellt, dass es in der MABB eine Stellenausschreibung gibt, die mich ganz besonders interessiert und gedacht, ich glaube, das ist mal ein Versuch wert.

Jörg Wagner: [00:01:36] Ja, aber es gab z. B. wie bei Tobias Schmid, Dr. Tobias Schmid, der Chef der dortigen Landesmedienanstalt in NRW, das Problem – er kam von RTL, hat damals Medienpolitik gemacht als Jurist – und es gab da so gewisse Vorbehalte, dass jemand, der so intensiv für den Privatfunk lobbyiert hat, dann plötzlich Medienwächter sein kann. Ist Ihnen dieses Misstrauen auch entgegengeschlagen?

Dr. Eva Flecken: [00:02:03] Ach, gewisse Vorbehalte, oder ich würde es mal eher Nachfragen nennen, die gab es natürlich und offen gestanden, sind die auch völlig berechtigt, wenn man auf Seite der Medienwirtschaft eines Medienunternehmens für die politische Interessenvertretung verantwortlich ist, sei es in Deutschland oder vielleicht auch darüber hinaus, Deutschland und die EU, da gibt es gute Gründe nachzufragen, kann denn derjenige, kann diejenige, die jetzt an die Spitze einer Medien-Regulierungsbehörde tritt, tatsächlich objektiv regulatorisch arbeiten? Ich glaube, dass diese Frage – so sehr berechtigt sie ist – ganz einfach zu beantworten ist. Denn man darf ja auch die Resilienz dieser Institution – die MABB gibt es demnächst 30 Jahre, nicht in dieser Form, aber sozusagen als Anstalt – nicht unterschätzen. Und ich bin mir dessen sehr bewusst, dass die Armlänge Abstand eingehalten gehört. Ich glaube, mit der entsprechenden Sensibilität von einem selbst, aber im Übrigen auch von den Kollegen – Stichwort Resilienz der Institutionen – ist das alles machbar. Man muss einfach sensibel für das Thema sein.

Jörg Wagner: [00:03:01] Noch eine interessante Duplizität der Ereignisse. Sie sind ebenfalls mit einem Dissertationsgrad ausgestattet wie Ihre Vorgängerin und auch wie Ihr Vorgänger, der damalige Chef des Kabelrats, der ja die MABB sozusagen mitgegründet hat, Dr. Hans Hege. Ist das eine Voraussetzung, um hier Chefin sein zu können? Wissenschaftliches Arbeiten wird ja damit dokumentiert.

Dr. Eva Flecken: [00:03:26] Nicht, dass ich wüsste. Wir haben ja auch unterschiedliche Promotionsvorhaben absolviert. Wie Sie wissen, ich bin keine Juristin. Ich bin promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und nicht Dr. jur., sondern Dr. phil. Und daher bin ich mir sehr sicher, dass das keine Voraussetzung ist. Es steht auch nicht im Staatsvertrag, dass man promoviert haben muss. Das scheint dann eher ein Zufall der Bewerbungslage und ein Zufall der Auswahl gewesen zu sein.

Jörg Wagner: [00:03:47] Aber es weckt die Neugier des Journalisten, der gerne wissen möchte, was Sie konkret erforscht haben. Es geht um Kommunikation und um Frauen, habe ich so ganz spontan und schnell aus dem Augenwinkel wahrgenommen. Aber Dissertationsüberschriften sind ja in der Regel immer sehr kompliziert verfasst. Vielleicht sagen Sie uns die wichtigste These Ihrer Dissertation.

Dr. Eva Flecken: [00:04:07] Die wichtigste These meiner Dissertation bezieht sich gar nicht so sehr auf Frauen, sondern ich würde sagen auf das Geschlecht im Allgemeinen. Ich habe eine kommunikationstheoretische Kritik an der feministischen Theorie geschrieben. Dahinter verbirgt sich, dass die feministische Theorie sagt: Geschlecht ist ein soziales Konstrukt und entsteht aus Kommunikation. Ich als Kommunikationswissenschaftlerin habe dann festgestellt: Aber was versteht denn die feministische Theorie eigentlich unter Kommunikation? Wenn etwas so Weitreichendes wie Geschlecht rauskommt, müssen wir uns doch diesen Kommunikationsteil genauer anschauen. Und diese theoretische Lücke habe ich versucht zu schließen mit meiner Dissertation.

Jörg Wagner: [00:04:42] Bleibt noch die wichtigste These.

Dr. Eva Flecken: [00:04:44] … ,dass Geschlecht ein soziales Konstrukt ist, das aus Kommunikation entsteht.

Jörg Wagner: [00:04:48] Aber Sie haben jetzt nicht gesagt, Frauen verstehen besser als Männer oder Sie folgen auch nicht der These von Loriot: Männer und Frauen passen nicht zusammen?

Dr. Eva Flecken: [00:04:58] Es ist meine … Fragen Sie mich jetzt als Eva Flecken, als Promovierende damals, als Direktorin der MABB? Nein, also meine Dissertation, ganz im Ernst, hat sich nicht mit dem Thema Feminismus, sondern mit der feministischen Theorie auseinandergesetzt. Und das ist dann der vielleicht etwas langweiligere, wissenschaftlichere, akademischere Teil dieser durchaus spannenden Diskussion darum, ob Männer und Frauen eigentlich zusammenpassen, gleich sind oder nicht. Aber darüber bräuchten wir jetzt wahrscheinlich ein Bier, um darüber länger zu reden.

Jörg Wagner: [00:05:26] Ja. Da erwischen Sie mich bei einem „Männergetränk“. Sehr schön. Also was den Männern gerne zugeschrieben wird. Aber wir sind im Dienst. Und ich will Sie weiter hartnäckig fragen, weil natürlich spielt Kommunikation in den Medien eine Rolle, wenn es um Geschlechter geht, weil Sender sich divers aufstellen, Frauen anders bedienen als Männer, sogar einen Frauensender gründen wie tm3 seinerzeit. Also da gibt es ja sicherlich auch genügend Forschungsgegenstand. Aber Sie sind jetzt Medienwächterin und waren in der MABB, ich glaube, auch sehr stark beim digitalen Rundfunk involviert, an Online-Video-Plattform-Analysen. Wie entwickelt sich dieser Markt? Was nützt Ihnen das, wenn Sie, ich sag mal, als zahnloser Papiertiger oder -tigerin gelten? Wenn sich immer mehr Plattformen gründen, immer mehr user generated content in Bagatellrundfunk abgleitet? Und Sie haben die alten Werkzeuge, nämlich, ich sag mal, so ein bisschen Beobachtung und ein bisschen Abmahnung. Wie steht’s da um die Stärke der MABB in den Zeiten der Plattform-Entwicklung?

Dr. Eva Flecken: [00:06:35] Herr Wagner, es wird Sie nicht überraschen, dass ich Ihnen vehement widersprechen muss.

Jörg Wagner: [00:06:39] Gern.

Dr. Eva Flecken: [00:06:40] Natürlich sind wir kein zahnloser Tiger. Und es erstaunt mich, dass wir als solche wahrgenommen werden, von wem auch immer, das mögen Sie mir dann vielleicht gleich noch verraten. Wir haben vielmehr den Eindruck, dass selbst in den eher vielleicht neueren Mediengattungen, wobei neu jetzt auch einen schon sehr weiter Begriff ist, zeitlich, wir durchaus erkennen können, dass wenn wir tätig werden, wenn wir vielleicht auch erst einmal nur mit einem Hinweisschreiben agieren, wenn wir informieren, wenn wir Influencern beispielsweise sagen, wie sie die Werbung zu kennzeichnen haben und vor allen Dingen auch erklären, warum wir so regulieren, wie wir regulieren, nämlich damit der Nutzer, die Nutzerin, der Zuschauer, die Zuschauerin usw. in die Lage versetzt werden, dass sie verstehen, was sie eigentlich rezipieren. Schaue ich mir Werbung an, schaue ich mir ein Meinungsstück an, schaue ich mir ein Informationsstück an? Dann ist die Reaktion seitens der Medienschaffenden völlig gleich, wovon wir jetzt hier eigentlich reden, ja, durchaus eine sehr offene. Es ist ja keinesfalls ein ständiger kontroverser Austausch der Medienanbietenden und der Regulierer, sondern was wir erkennen und der Bereich Werbeaufsicht im Influencer-Bereich ist so ein ganz gutes Beispiel. Am Anfang eine Riesenaufregung. Sie erinnern sich vielleicht noch besser als ich. Vor fünf, sechs, sieben Jahren. Jetzt sollen sich die Medienanstalten ernsthaft um die Influencer auf Instagram kümmern? Ja, genau das. Und es zeigt sich, dass eine gewisse Sensibilität entsteht, dass auch Agenturen, die ja beispielsweise häufig hinter den großen Influencern auch agieren und tätig sind, durchaus sich ja so verhalten wollen, wie es das Gesetz vorsieht. So, Sie sagten gerade: Wir haben ja die alten Instrumente. Das ist ja nicht ganz wahr. Der Gesetzgeber ist ja klug und reagiert. Der Gesetzgeber novelliert ja auch seinen Medienstaatsvertrag. Das dauert schon mal länger, wenn man 16 Landesvertreter an einen Tisch bringen und vor allen Dingen dann eine Meinung auf Papier bringen muss. Nichtsdestotrotz beispielsweise journalistische Sorgfaltspflichten, jetzt eine Aufgabe der Landesmedienanstalten im Online-Bereich. Das sind schon Reaktionen des Gesetzgebers auf die mediale Situation, wie wir sie jetzt im Moment im Jahr 2021 vorfinden.

Jörg Wagner: [00:08:45] Gut, bleiben wir beim Thema Influencer. Was können Sie denn machen gegen die Influencer, die in Dubai Werbung machen und nicht zu knapp, diesen Staat von der besten Seite präsentieren, sodass man eigentlich Dauerwerbesendung drüberschreiben müsste? Machen sie aber nicht, die Influencer, sondern es passiert einfach still und heimlich. Es wird gelegentlich mal in Medien-Beiträgen zitiert. Aber was haben Sie für Handhabe dagegen?

Dr. Eva Flecken: [00:09:10] Also, wenn diese Influencer tatsächlich in Berlin-Brandenburg sitzen würden, dann würden wir sie darauf aufmerksam machen, dass politische Werbung beispielsweise als solche gekennzeichnet werden muss. Politische Werbung ansonsten in klassischen Medien ist ja unzulässig. Im Bereich des Online geht das. Das heißt, wir würden auf die zugehen. Und dann haben wir alle Maßnahmen und alle Möglichkeiten und Instrumente gesetzlicher Natur, die Sie auch schon angesprochen haben, die uns das Gesetz gibt, bis hin Beanstandungen, Untersagen und so weiter und so fort. Und diese Normen oder auch Instrumentklaviatur, die könnten wir dann spielen. Aber natürlich, wenn es sich um Anbieter handelt, die gar nicht ihren Sitz in Deutschland haben. Genau das Beispiel, das Sie gerade brachten. Dann werden wir als MABB an diesem Punkt nicht viel tun können.

Jörg Wagner: [00:09:51] Es sind aber deutsche Influencer, die in Deutschland wahrgenommen werden, wahrscheinlich auch in Berlin und Brandenburg. Und damit entgeht Ihnen ja ein wichtiger Teil der Medienkontrolle, wenn man sagt, wir warten jetzt darauf, wie Dubai handelt. Das kann ja nicht das Ziel sein.

Dr. Eva Flecken: [00:10:04] Ja, und wir müssen vor allen Dingen ja auch schon einmal innerhalb der Europäischen Union uns eigentlich verständigen, wie wir mit solchen Phänomenen, aber auch mit anderen Phänomenen, wie wir mit der Verantwortung von Plattformen beispielsweise, eigentlich umgehen wollen. Das eine sind ja diejenigen, die Influencer, sozusagen der Einzelne, dahinter stehen ja aber auch große Online-Plattformen, sehr umsatzträchtig, auch gewinnträchtig bisweilen, dass wir also innerhalb der Europäischen Union auch hier ein gemeinsames Vorgehen und einen gemeinsamen Umgang mit diesen Plattformen anstreben. Das ist gerade, wie Sie wissen, mit dem Digital Services Act auf dem Weg, wie es immer so ist bei Gesetzgebungsverfahren, die dauern und bei der EU geht es nicht unbedingt schneller als vielleicht, wenn man ein Bundesgesetz nur hätte. Aber ich bin ganz guter Dinge, dass die Landesmedienanstalten bei uns dann ja auch in Person von Dr. Tobias Schmid, den sprachen Sie gerade schon an als zuständigen für Europa-Beauftragten, sehr deutlich machen, was eigentlich die Rolle und die Funktion einer Medienaufsicht sein kann. Und da hilft es natürlich auch, dass Herr Dr. Schmid zudem auch noch Vorsitzender der ERGA ist. Also das geht dann ganz gut, Hand in Hand. Und ich sehe unsere Interessen bei ihnm ganz gut aufgehoben und vertreten.

Jörg Wagner: [00:11:13] Dann bleiben wir doch bei den nationalen Herausforderungen. Es gibt vier Rechtsgüter, die Sie zu beaufsichtigen haben. Das ist zum einen die Menschenwürde, dann Dinge des Verbraucherschutzes müssen Sie im Fokus haben. Dann ist auch die Vielfalt der Medien zu sichern.

Dr. Eva Flecken: [00:11:28] Kinder und Jugendschutz

Jörg Wagner: [00:11:29] … und Kinder und Jugendschutz nicht zu vergessen. Welcher Bereich ist der, der Ihnen am meisten Sorgen zurzeit macht?

Dr. Eva Flecken: [00:11:35] Also wir sind natürlich nicht zuständig für den klassischen Verbraucherschutz. Das nicht. Aber es hilft ungemein, sich in die Position eines Rezipienten oder einer Rezipientin zu versetzen. Und das gilt dann sowohl für den Bereich Gewerbeaufsicht. Wir sprachen gerade schon drüber, aber auch beim Jugendschutz. Und da geht es darum, immer dem Nutzenden die Möglichkeit zu geben, zu verstehen, was er sich gerade eigentlich anschaut, was er hört und was er rezipiert. Und wenn dies nicht der Fall ist, das heißt, wenn die Medienanbieter beispielsweise Werbung nicht als solches kennzeichnen, was es eigentlich ist, dann ist das ein Problem.

Jörg Wagner: [00:12:09] Z. B. tv.berlin mit dem Vorwurf, dass Aserbaidschan dort praktisch Themen-Platzierungen gekauft hat. Da bleiben wir doch gleich nochmal bei den … bei den Möglichkeiten, die Sie haben. Sie können fragen. Sie können sich Programm angucken. Aber können Sie jetzt sagen: tv.berlin, zahl mal bitte 15.000 Euro Strafe, weil hier etwas platziert wurde, was sich gegen den Medienstaatsvertrag richtet?

Dr. Eva Flecken: [00:12:35] Wir können unsere Maßnahmen, die wir ergreifen können, immer auch mit einem Bußgeld, mit einem Zwangsgeld sozusagen in Verbindung bringen. In dem gerade von Ihnen angesprochenen Beispiel ist es so, dass wir – neue Vorwürfe haben wir natürlich wahrgenommen und aufgegriffen – wir haben den Anbieter um Stellungnahme gebeten und diese erwarten wir zum Ende des Monats. Es gab nochmal eine Fristverlängerung. Das ist überhaupt nichts Unübliches. Wir haben zudem darum gebeten, dass uns die Programm-Mitschnitte gezeigt werden, sodass wir uns natürlich auch selbst ein Bild machen können und selbst uns das Programm anschauen können und nicht nur darauf angewiesen sind, was in einer Stellungnahme des Anbieters steht, sondern selbstverständlich prüfen wir jetzt so und gehen dieser Beschwerde, gehen diesen Vorwürfen nach.

Jörg Wagner: [00:13:18] 2015 gab es schon mal eine Antwort. Das stimme alles nicht und damit war die Sache vom Tisch. Gibt es nicht die Möglichkeit, auch die Staatsanwaltschaft einzusetzen, um an die Wahrheit zu kommen?

Dr. Eva Flecken: [00:13:29] Eine Strafverfolgung ist tatsächlich dann ja eine Frage der Staatsanwaltschaft. Im Moment prüfen wir – und das alleine ist auch unsere Aufgabe – ja eben die medienrechtlichen Vorgaben. Der Vorwurf steht im Raum, so wie Sie es genannt haben, dass dort unter Umständen Themen platziert, käuflich erworben, also sozusagen Sendezeit voll käuflich erworben wurde. Und das prüfen wir, das ist unser Fokus. Und dann werden wir sehen, wie sich der Anbieter dazu verhält und er muss sich dazu verhalten.

Jörg Wagner: [00:13:56] Nun entwickelt sich – das haben Sie schon vor Jahren festgestellt – das Mediennutzungsverhalten weg vom linearen Fernsehen, Rundfunk, also klassisch Hörfunk. Es gibt immer mehr on-demand-Angebote, Podcasts, Audios. Auch die Bundesregierung mischt da mit. Bräuchten Sie mehr Personal, um das alles kontrollieren zu können? Weil das ist ja eine Atomisierung der Medienaufsicht quasi. Früher hat es gereicht, irgendwie, ich sag mal fünf Kassettenrekorder laufen zu lassen in Dauerschleife und dann die Programme mitzuschneiden.

Dr. Eva Flecken: [00:14:25] Sie haben schon recht, das, was wir uns anschauen und was bei uns in den regulatorischen Fokus gerät, das wird nicht weniger, sondern das wird mehr. Und hinzu kommen zusätzliche gesetzliche Aufgaben. Sie haben gerade das Thema „Journalistische Sorgfalt“ schon angesprochen. Das heißt, wir müssen uns mehr anschauen und das, was wir uns anschauen, müssen wir uns auch unter verschiedenen Parametern anschauen. Das ist mit gleichbleibendem Personal schlechterdings kaum möglich. Das ist wahr. Die Ausstattung der Landesmedienanstalten steht ja derzeit jetzt nicht ganz oben auf der politischen Agenda. Mein Eindruck ist schon, dass der Gesetzgeber sieht, dass wir mehr zu tun haben. Und wir haben eben nicht nur neue Aufgaben, sondern was wir auch in der MABB sehen, ist, dass wir auch ein höheres Beschwerdeaufkommen beispielsweise haben. Also mehr Bürgerinnen und Bürger wenden sich an uns und sagen: Oh, ich hab‘ da was gesehen. Ist das eigentlich in Ordnung? Schaut euch das doch mal bitte an. Und da ist es klar, dass es natürlich eine Verschiebung gibt von den fünf Kassetten, den VHS-Kassetten, die Sie gerade angesprochen haben hin zu immer mehr Online-Verbreitung, weil natürlich auch die Online-Nutzung eine relevante ist.

Jörg Wagner: [00:15:29] Die Frage ist, ob all die Theoretiker recht haben, dass das Nutzungsverhalten tatsächlich ins Netz abdriftet. Es gibt ja unterschiedliche Auffassungen, z. B. wenn man eine Familie gründet, wie man dann Medien nutzt. Da lehnt man sich gerne zurück, lässt sich berieseln, während man das Kind stillt oder andere häusliche Tätigkeiten ausführt. Der rbb hat jetzt mehr Flexibilität im rbb-Staatsvertrag gefordert. Mit der Hochrechnung, dass das irgendwann mal kippen kann und dass man dann flexibel sein will. Aber es gibt ja auch die Gegenbewegung. Private, kommerzielle Unternehmen steuern jetzt massiv dagegen, dass die Streaming-Anbieter ihnen sozusagen die Kundschaft wegschnappen, indem sie mehr Live-Fernsehen machen, indem sie mehr Event-Fernsehen kreieren, indem sie auch politische Themen setzen. Ich erinnere nur an ProSieben und die Leute wieder zurückholen vielleicht an den Fernseher. Vielleicht ist ja auch die Schuld der Rundfunkanbieter generell, dass das Interesse am Linearen so abgenommen hat. Wenn Sie jetzt als Spezialistin, als jemand, der auch, ich sag mal, vom Themengebiet her Interesse hat an der Digitalisierung. Wie ist denn Ihre Prognose für die Zukunft? Wohin sonst ist eine Prognose gerichtet? Ist das tatsächlich so, dass das erodiert und dass wir irgendwann mal DVB-T2 abschalten können, z. B.?

Dr. Eva Flecken: [00:16:45] Die Entwicklung im linearen Bereich bei der Nutzung, Sie haben es gerade schon angesprochen, die ist in Summe leicht rückläufig. Das stimmt. Und sie ist vor allen Dingen wahnsinnig abhängig von der Alterskohorte, die ich mir anschaue. Damit erzähle ich Ihnen nichts Neues. In den jüngeren Nutzungsgruppen ist es tatsächlich so, dass man mit dem linearen Fernsehen oder auch mit dem linearen Hörfunk beispielsweise nicht mehr ganz so viel zu tun hat wie die älteren Alterskohorten …

Jörg Wagner: [00:17:09] Aber bleibt es bei denjenigen, die sozusagen als junger Mensch sich gewöhnt haben, aufs Handy zu gucken? Bleibt es dann bis zum Tod?

Dr. Eva Flecken: [00:17:15] Ich befürchte, das werden wir erst in 20 Jahren tatsächlich valide feststellen können, ob es sozusagen eine Linearität des Alters gibt. Das heißt, je älter man wird, desto linearer schaut man wieder. Oder aber ob es so ist, das wäre ja meine Vermutung, dass die jungen Menschen, die von Beginn an gar nicht mehr wirklich linear rezipiert haben, egal ob Hörfunk oder egal ob TV, sondern immer eher die on-demand-Dienste sich angeschaut haben, seien es die Video-on-Demand-Dienste oder auch Podcasts gehört haben, dass die dann zurückgehen zu einer linearen Fernsehnutzung – oder was heißt zurückgehen – ja diese müssten sie dann erstmals eigentlich erlernen und kennen. Das halte ich eher für unwahrscheinlich. Aber das wird die Zeit zeigen und das wird noch mehr als fünf Jahre dauern, bis wir das wirklich valide sagen können, sondern vermutlich Herr Wagner, müssen wir uns dann in 20 Jahren nochmal treffen?

Jörg Wagner: [00:18:01] Das weiß ich nicht, ob ich das noch darf, weil ich dann ja wahrscheinlich eine Altersgrenze erreicht habe, die für Sie noch so weit weg ist. Aber in fünf Jahren, das kann ich mir nochmal vorstellen. Also auf Wiedervorlage. Spätestens dann ein Interview mit Ihnen. Damit wir wissen in welchem Zeitschlitz Sie dieses Interview gemacht haben. Was ist der Anschluss Termin? Können Sie da was verraten?

Dr. Eva Flecken: [00:18:19] Mein Anschlusstermin besteht in einem Telefonat mit dem Vorsitzenden des Medienrats.

Jörg Wagner: [00:18:24] Dann viel Erfolg dafür und möglichst wenig Stress mit der Kontrolle. Eher mit der Förderung, die wir heute gar nicht besprochen haben, was zum Beispiel Corona mit den Privatfunk-Anbietern macht. Vielen Dank.

Dr. Eva Flecken: [00:18:36] Sehr gerne.








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