Prof. Dobusch zur Farbenlogik im ZDF-Fernsehrat

Leonhard Dobusch | Foto: © Jörg Wagner


Was: Interview über die Struktur und Freundeskreis-Logik des ZDF-Fernsehrates
Wer:
* Prof. Dr. Leonhard Dobusch, Uni Innsbruck, ZDF-Fernsehratsmitglied (roter Freundeskreis)
* Daniel Bouhs, Freier Medienjournalist
* Jörg Wagner, Freier Medienjournalist
Wo: Rheingoldhalle, Mainz
Wann: rec.: 02.07.2021, 08:20 Uhr; veröffentlicht in einer 8:37-Fassung am 03.07.2021, 18:10 Uhr im radioeins-Medienmagazin (rbb) und in einer Kurz-Fassung im rbb Inforadio am 04.07.2021, 10:43/17:43 Uhr


(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

Prof. Dr. Leonhard Dobusch [00:00:00] Mein Name ist Leonhard Dobusch. Ich bin Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Innsbruck und seit 2016 für das Internet Mitglied im ZDF-Fernsehrat.

Daniel Bouhs [00:00:10] Leonhard Dobusch, bekannt auch unter anderem als Fernsehrats-Transparent-Blogger bei netzpolitik.org und uns interessiert natürlich auch die Politisierung, die es immer rund um diese Wahlen bei Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt. Es teilt sich ja die Mitglieder des Fernsehrats – 60 Stück sind’s – teilen sich ja auf, auf einen roten und einen schwarzen Freundeskreis. Und Sie ordnen sich, wenn wir das richtig verstanden haben, dem roten Freundeskreis zu. Können Sie uns netterweise einmal erklären, warum der rote Freundeskreis und warum überhaupt diese Freundeskreise? Wie funktioniert die Logik?

Prof. Dr. Leonhard Dobusch [00:00:42] Prinzipiell ist es so: Wer neu in den Fernsehrat kommt, erhält eine Einladung zu zwei Vor-Beratungen. Die heißen nicht rot oder schwarz, sondern die sind benannt nach der Person, die diese Vorberatungen einlädt. Das ist der ehemalige Verteidigungsminister Jung auf der einen Seite CDU und auf der anderen Seite der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke, die jeweils einen Freundeskreis moderieren, sagen wir das so. Und diese Freundeskreise dienen der Vorberatung der Sitzungen. Und da werden die einzelnen Tagesordnungspunkte durchbesprochen und es wird dort diskutiert. Es werden Fragen gestellt. Das ist eigentlich ein bisschen ähnlich wie auch in einer Fraktion, in einem Parlament. Allerdings, und das möchte ich schon betonen, ist es nicht so stark parteipolitisch. Natürlich sind auch Rundfunkgremien politisch, weil Gesellschaftspolitik natürlich eine Rolle spielt. Wir repräsentieren gesellschaftliche Gruppen.

Daniel Bouhs [00:01:28] Es sitzen ja auch Politikerinnen und Politiker in diesen Freundeskreisen. Also Jung hatten wir schon, CDU. Es gibt die ehemalige Bildungsministerin z. B. im CDU-Kreis. Heike Raab, die Leiterin der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, also ganz klar rot, im roten Freundeskreis. Also Politikerinnen und Politiker teilen sich schon auf?

Prof. Dr. Leonhard Dobusch [00:01:47] Es ist aber auch so, dass z. B. der grüne Gesundheitsminister aus Hessen im Fernsehrat sitzt. Und der ist Teil des schwarzen Freundeskreises, weil er Teil einer schwarz-grünen Landesregierung ist. Also so eindeutig ist diese weltanschauliche Zuordnung im Fernsehrat nicht. Und auch es gibt in den Parlamenten viel mehr Parteien als nur zwei. Also man sieht schon, dass es da eher um eine grobe weltanschauliche Zuordnung geht, die dann im Einzelfall auch mehr oder weniger stark ausgeprägt ist.

Jörg Wagner [00:02:12] Nun gibt es in anderen Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch so etwas wie die Grauen. Warum haben die sich jetzt nicht vielleicht zu einem Extra-Freundeskreis formiert? Ist das sinnvoll aus Ihrer Erfahrung, da auch denen eine Chance zu geben, sich abzustimmen? Quasi.

Prof. Dr. Leonhard Dobusch [00:02:29] Ich habe sehr lange und sehr viel mit Kollegen z. B. vom WDR-Rundfunkrat mich auch genau darüber unterhalten, weil ich selbst sich als Vertreter einer gesellschaftlichen Gruppe ein Kandidat für so einen grauen Freundeskreis wäre. Allerdings war das auch nicht nur ermutigend, was man da hört. Also zum Beispiel gibt es in diesen grauen Freundeskreisen dann wieder rote Graue und schwarze Graue. Der Zusammenhalt ist da teilweise doch noch schlechter. Was dann wiederum nachteilig ist, wenn es darum geht, irgendwelche Abstimmungsverhalten abzustimmen. Aber ganz allgemein sage ich, wäre es, glaube ich, schon von Vorteil, wenn es nicht so klar nach parteipolitischer Zuordnung zuginge, sondern wenn man hier offen von Fraktionen und nicht von Freundeskreisen sprechen würde. Es dafür auch eine Geschäftsordnung gäbe und die sich dann eben anders schneidet als z. B. in den Parlamenten.

Jörg Wagner [00:03:13] Wäre nicht die goldene Lösung, wenn jeder sozusagen wie so ein Abgeordneter frei wäre in der Wahl und sich auch selbst mit Informationen versorgen müsste?

Prof. Dr. Leonhard Dobusch [00:03:21] Als jemand, der auch in seiner wissenschaftlichen Arbeit zu Transparenz und offenen Organisationsformen forscht, möchte ich davor warnen, zu glauben, dass man, indem man solche Abstimmungsrunden abschafft, mehr Transparenz schafft. Ich kann selbst auch berichten: Diese Freundeskreise wirken von außen vielleicht etwas heimlichtuerisch. Aber nach innen sind sie eigentlich ein Transparenzinstrument. Würde man die heute abschaffen, dann gäbe es noch undurchschaubare Absprachen, weil zu glauben, dass in einem 60-köpfigen quasi parlamentarischen Gremium keine Vorabsprachen stattfinden, das wäre wirklich naiv.

Jörg Wagner [00:03:52] Man hört es an Ihrem Dialekt, Sie kommen aus Österreich, sind als Ausländer sozusagen hier berechtigt …

Daniel Bouhs [00:03:59] Eingeflogen.

Jörg Wagner [00:04:00] … eingeflogen. Aber EU-Bürger natürlich, aber haben den super Vergleich zum ORF, wo jetzt auch der Stiftungsrat wahrscheinlich genauso nachdenkt darüber, wer Alexander Wrabetz folgen darf als ORF-Generaldirektor. Nennen Sie bitte drei Unterschiede zum ZDF und ORF!

Prof. Dr. Leonhard Dobusch [00:04:18] Bei der Wahl zwischen Generaldirektor und Intendant der erste und manchmal noch fast wichtigste Unterschied ist: Die Wahl des ZDF-Intendanten wird geheim stattfinden. Das heißt, jeder und jedes Mitglied des Fernsehrats hat wirklich eine Gewissensentscheidung zu treffen, die beste Person auszuwählen. Beim ORF ist es so: Die Wahl findet offen statt. Und obwohl dort keine Parteipolitiker im Stiftungsrat sind, macht das quasi eigentlich dann die Möglichkeit, parteipolitischen Druck auszuüben, noch viel stärker. Der zweite Unterschied ist, dass der Stiftungsrat nur halb so groß ist und dass die … ein viel größerer Anteil des Stiftungsrats unmittelbar von der Regierung bestimmt ist. Im ORF ist es echt so, dass nach einer Nationalratswahl, so also in Österreich das Parlament, wenn das neu gewählt wird, wenn sich dort die Mehrheiten ändern, ändert sich auch die Mehrheit im Stiftungsrat. Das ist im ZDF-Fernsehrat überhaupt nicht so. Bei der Bundestagswahl, egal wie die ausgeht, wird sich der Fernsehrat überhaupt nicht ändern. Und das finde ich auch sehr gut so. Der dritte Unterschied ist, dass es in Deutschland eben ein höchstrichterliches Urteil gegeben hat, 2014, das die Staatsferne der Aufsichtsgremien betont hat. Das ist der Grund, warum ich hier stehe, weil ein Vertreter z. B. für das Internet erst im Nachgang eingeführt wurde. Und ich würde sagen, in all diesen drei Punkten kann man sehen, dass ich der Meinung bin, dass die Staatsferne und damit auch die Glaubwürdigkeit der Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland eigentlich ein Stück besser abgesichert ist als in Österreich.

Daniel Bouhs [00:05:36] Jetzt stehen wir vor der Wahl, der Nachfolge von ZDF-Intendant Thomas Bellut. Zwei Kandidat:innen, sage ich jetzt auch mal, sind im Rennen. Das eine ist Norbert Himmler. Das ist der Programmdirektor des ZDF, also mit einem gewissen Heimvorteil, sicher. Und das andere ist Tina Hassel, die Leiterin des ARD- Hauptstadtstudios, selbst vom Westdeutschen Rundfunk kommend. Himmler ist der Kandidat, heißt es, der Schwarzen und Hassel die Kandidatin der Roten. Es gab ja gestern vorbereitende Sitzungen der beiden Freundeskreise, bei denen sich beide auch vorgestellt haben. Sind das tatsächlich Kandidatin und Kandidaten der jeweiligen Lager? Sage ich jetzt mal. Und wie haben die sich Ihnen präsentiert?

Prof. Dr. Leonhard Dobusch [00:06:20] Also das ist wirklich eigentlich mein Eindruck, dass es hier gar nicht so stark um die politische Verortung geht. Ich würde auch sagen, ich selbst könnte von außen jetzt betrachtet gar keinen so großen weltanschaulichen Unterschied zwischen den beiden Kandidatinnen und Kandidaten hier festmachen. Was allerdings sehr unterschiedlich ist, ist das Kompetenzprofil der beiden Kandidat:innen. Norbert Himmler, als Programmdirektor hier im ZDF verankert, hat bereits auch Erfahrung im Management einer großen Organisationseinheit im ZDF. Andererseits Tina Hassel als Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios ein ganz klar journalistisches Profil. Und genau diese Unterschiede haben sie auch in ihren Präsentationen versucht, herauszuarbeiten. Tina Hassel hat das journalistische, ihre journalistische Arbeit, ihren Hintergrund im Journalismus betont und auch das als Antwort auch auf die Herausforderungen öffentlich-rechtlicher Medien im digitalen Zeitalter betont.

Daniel Bouhs [00:07:10] Wie sieht ihre Antwort aus?

Prof. Dr. Leonhard Dobusch [00:07:12] Also die Antwort von Tina Hassel, die sie gegeben hat und die sie wahrscheinlich heute auch noch einmal präsentieren wird, war ganz noch verstärkt auf Qualitätsjournalismus zu setzen. Und die Rede war quasi die verschiedenen Lagerfeuer, die im Netz lodern, wo … vor denen sich Menschen versammeln, zusammenzubringen und hier Brücken zu bauen. Wie das dann im konkreten Einzelfall aussehen wird, das, glaube ich, weiß ich ja auch selbst noch nicht ganz genau.

Daniel Bouhs [00:07:39] Und Himmler war es nicht wichtig?

Prof. Dr. Leonhard Dobusch [00:07:41] Himmler hat genauso wie Tina Hassel sehr stark die Bedeutung, die die öffentlich-rechtlichen Medien für den Zusammenhalt haben, betont. Und hat aber stärker auch betont, welch‘ … wie das Gesamtprogramm, wie auch dieser Zusammenhalt, der gesellschaftliche Zusammenhalt auch im Bereich von Unterhaltung eben in seiner Domäne forciert werden kann. Das heißt natürlich nicht, dass er sich quasi die journalistischen Zielsetzungen von öffentlich-rechtlichen hier nicht zugeordnet hätte.

Jörg Wagner [00:08:05] Hat eine Rolle gespielt, dass das ZDF noch nie eine Intendant-in hatte?

Prof. Dr. Leonhard Dobusch [00:08:11] Die Frage des Geschlechts der Bewerber:innen hat in den Befragungen, in den Vorstellungen keine Rolle gespielt. Aber sie war natürlich jedem präsent.

Daniel Bouhs [00:08:20] Wie ist denn Ihre Prognose? Ist z. B. „Ihr“ in Anführungszeichen Freundeskreis, der Rote jetzt, steht geschlossen also hinter Tina Hassel, weil das ja die Kandidatin ist, die aus diesem Kreis auch nominiert wurde. Also wird das eine knappe Kiste werden? Oder ist Himmler als sozusagen der Nachfolger von Thomas Bellut etabliert im ZDF gesetzt?

Prof. Dr. Leonhard Dobusch [00:08:42] Also ich kann nur auch hier vor allem für mich sprechen. Ich wusste, wie ich hierher gefahren bin nach Mainz, noch nicht, wen ich wählen werde. Und ich habe auf jeden Fall gesagt, ich schaue mir an, wie sich die beiden Kandidat:innen hier präsentieren. Und ich weiß auch von anderen Kolleg:innen im Fernsehrat, die im gesellschaftlichen Gruppen zugeordnet sind, dass sie das nicht sicher wissen. Und da muss man einfach sagen, selbst wenn nur eine Minderheit von so 15, 20 Personen von den 60 Mitgliedern nicht weiß, wen sie wählen, reicht das bei weitem aus, um entweder für eine Entscheidung im ersten Wahlgang zu sorgen oder einen zweiten oder dritten Wahlgang herbeizuführen.

Daniel Bouhs [00:09:15] Wenn es heute eine Entscheidung gibt, wer macht das Rennen?

Prof. Dr. Leonhard Dobusch [00:09:19] Meine Prognose wäre, dass heute Norbert Himmler gewählt wird.








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