Keßler, Toralf

Hotel Ukraina, Kiew 2014 – Toralf Keßler (Mitte) | Foto: privat


Wer:
* Toralf Keßler, langjähriger Freier Journalist, Produzent, 2014 Freier Kriegsreporter in der Ukraine
* Daniel Bouhs, Freier Medienjournalist
* Jörg Wagner, Freier Medienjournalist
Was: muPRO-Schaltgespräch zum Ukraine-Krieg Russlands 2014/2022
Wann: 12.03.2022, 11:00 Uhr, veröffentlicht im radioeins-Medienmagazin am 12.03.2022 um 18:34 Uhr und in einer gekürzten Fassung im rbb Inforadio, 13.03.2022, 10:43 Uhr/19:43 Uhr

Micheil Saakaschwili, Ex-Regierungschef von Georgien – Toralf Keßler | Foto: privat


(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

Toralf Keßler [00:00:00] „In der Regel ist es so, dass man sehr professionell und auch vorsichtig vorgehen muss, da man in der Regel ja auch ein Team von Mitarbeitern hat, die man dort vor gefährlichen Situationen zu schützen gilt. Wir selber haben sowohl in Kiew als auch während des Referendums auf der Krim und im Osten der Ukraine sehr viel Zeit auch darauf verwendet, obwohl man einen Druck natürlich hat, wenn man auch im Aktuellen arbeitet, die Sicherheit zu prüfen. Es ist so, dass ein hohes Maß an Disziplin, Organisiertheit scheinbar bei den Besetzungen von administrativen Gebäuden in der Ukraine herrscht, an den Checkpoints dann allerdings die unzufriedenen Teile der Bevölkerung, sage ich mal, abgesetzt werden und man deren Handlungsweise nicht immer prognostizieren kann.“

Jörg Wagner [00:00:44] Das war ein Ausschnitt aus dem Medienmagazin vom 31. Mai 2014, als der freie Journalist Thoralf Keßler und in dem Fall Kriegsreporter unter anderem für Arte uns über seine Tätigkeit in der Ukraine berichtete. Er ist uns jetzt nach fast acht Jahren wieder zugeschaltet. Toralf, bevor wir hören, was du heute machst, wie nimmst du die Arbeit der heutigen Kriegsreporterinnen und -Reporter wahr unter dem sicherlich noch mal verstärkten Kriegsdruck einer russischen Invasion?

Toralf Keßler [00:01:12] Ja, das ist eine völlig – im Gegensatz zu 2014 – sicherlich eine völlig veränderte Situation. Dort war auf der einen Seite die Annexion der Halbinsel Krim, die, ich sage mal, mit sehr wenig militärischen Handlungen zu tun hatte, ja? Also wenn wir uns erinnern, die „grünen Männer“ kamen ohne Abzeichen, haben in Windeseile strategische Punkte besetzt und es gab dort im Prinzip nicht eine einzige richtige Kampfhandlung. Im Osten der Ukraine sah das anders aus. Es flackerte dort auf und wie wir wissen, ist dort seit acht Jahren de facto Krieg. Das war aber 2014 in den Anfängen in keinster Weise mit dem vergleichbar, was im Moment mit einer großen militärischen Operation, Intervention, Okkupation vergleichbar wäre. Insofern ist natürlich auch die Situation für die Journalisten sozusagen eine völlig andere, weil es im Prinzip in so einer Situation eigentlich den wirklich professionellen Kriegsreportern vorbehalten ist, dort zu sein und es sicherlich einige lokale Journalisten gibt, die dort versuchen zu arbeiten. Und wir haben auf der anderen Seite auch noch, ich sag mal, eine weitere Entwicklung in den letzten Jahren dahin gehabt, dass dieser Krieg in den sozialen Netzwerken, also gerade auf Twitter, auf Instagram, auf Telegram in einer Art und Weise dokumentiert wird, die es für Journalisten auch … wie soll ich sagen … auf der einen Seite möglich macht, Videomaterial, Fotomaterial zu bekommen, aber die Arbeit, dies zu verifizieren, natürlich ungleich größer ist.

Daniel Bouhs [00:02:45] Aber wenn wir noch mal auf das blicken, was Kolleginnen und Kollegen vor Ort machen, welche Risiken sie auch eingehen, da hat man ja den Eindruck, dass Privat-Medien von „CNN“ bis „Welt“ mehr riskieren als die Öffentlich-rechtlichen zum Beispiel, sich mehr dorthin begeben, wo es ja „knallt“. Wie hast du es vor acht Jahren selbst gehalten? Gewisse Risiken wird es ja vermutlich auch da gegeben haben. Und wie blickst du auf das, was heute Journalisten und Journalistinnen ja riskieren?

Toralf Keßler [00:03:13] Ja, ich finde, das ist für jeden Journalisten sicherlich dann vor Ort ein persönliches Abwägen. Und dass das im Moment so ist, da gebe ich dir völlig recht, dass man den Eindruck hat, Paul Ronzheimer ist überall und dort auch mit seiner sehr emotionalen Berichterstattung vor Ort. Der ist ja auch im Prinzip die ganzen Jahre dort gewesen. Das ist schon so, dass man den Eindruck gewinnen kann. Und ich glaube, dass …

Daniel Bouhs [00:03:35] … also der stellvertretende Chefredakteur der Bild-Zeitung.

Toralf Keßler [00:03:37] Genau. Das dem auch so ist und dass die Verantwortung der öffentlich-rechtlichen Medien auch für ihre Mitarbeiter dort in einer anderen Weise wahrgenommen wird. Das kann ich schwer einschätzen. Ich finde das auf der anderen Seite schwierig, wenn man wenig direkte Informationen von Journalisten, denen man vertraut, hat aus den Gebieten, wo es tatsächlich brennt und zur Sache geht, weil es nach wie vor ja darum geht, dass wir uns ein Bild machen, ein Bild machen von der Gesamtsituation, ein Bild machen von den Verhältnissen und den katastrophalen Verhältnissen, in denen die Menschen dort im Moment leben und überleben müssen.

Daniel Bouhs [00:04:14] Reden wir vielleicht über das Stichwort „Schutzausrüstung“ auch. Eine Kollegin, die unter anderem auch für die ARD arbeitet, hatte ja vor … naja gut anderthalb Wochen getwittert, als sie selbst noch in der Westukraine war, dass sie keine Schutzausrüstung hat. Wie war das damals eigentlich bei dir? Du warst doch für Arte dann unter anderem unterwegs, aber vermutlich ja als Freier. Muss man sich also alles selbst beschaffen und auch selbst sich … na ja, mindestens innerlich trainieren auf das, was man da vor sich hat?

Toralf Keßler [00:04:45] Ja, das ist de facto … ist das so als freier Journalist. Und es ist ja auch in so einer Situation schwierig, ich sag mal, schnell an das benötigte Material zu kommen. Also es ist ja nicht so, dass du in jedem kleinen Kaufhaus oder in jedem kleinen Laden über Land irgendwo eine vernünftige Schutzweste oder einen Helm bekommst, der was taugt. Das ist einfach so. Da muss man auch, wenn man in so einer Situation berichtet, glaube ich Vorsorge treffen. Es gibt Organisationen wie „Reporter ohne Grenzen“, die das jetzt auch in der Ukraine versuchen, professionell von Lemberg aus zu organisieren. Es ist jetzt aber so, dass wir seit über zwei Wochen im Krieg sind, wo also mit schwerem Geschütz und … also mit allen erdenklichen Mitteln, die wir gar nicht mehr für möglich gehalten haben sicherlich so in Europa, aber gekämpft wird. Und das ist für Journalisten ein Zustand, wo sie sich natürlich professionell schützen müssen und selber auch dafür sorgen müssen, a) mit der Situation umzugehen. In der Regel hat man ja auch Leute von vor Ort, die einem übersetzen, die einem die Interviews organisieren, die einen Transportmöglichkeiten organisieren. Und für die ist man dann auch verantwortlich und muss auch dafür sorgen, dass das die Personen geschützt sind.

Jörg Wagner [00:05:55] Nun ist ja die Ukraine seltsamerweise in den letzten Jahren nahezu vollständig aus dem Berichterstattungsfokus deutscher Medien verschwunden, obwohl es dort ja wie du sagtest weiter Kämpfe gab und Menschen starben, was den Begriff „Krieg“ rechtfertigen würde. Es mag vereinzelt Berichte über die Jahre gegeben haben, zum Beispiel auch durch die Recherchen über die Hintergründe des Abschusses eines Verkehrsflugzeugs mit der Flugnummer MH17 der Malaysia Airlines. Aber von Krieg sprach doch kaum jemand. Kann man hier von einem Medienversagen sprechen?

Toralf Keßler [00:06:25] Tja, Medienversagen ist ein weiter Begriff. Die Medien haben halt den Fokus dort zu sein, wo es am meisten brennt oder wo es scheinbar am meisten brennt. Also wir haben jetzt ein Phänomen, was für mich, ich will nicht sagen neu ist, aber bemerkenswert ist, weil ich hatte vor acht Jahren das Gefühl, dass auch da das Interesse so mäßig war und dass wir, egal ob … wir haben … im Jemen haben wir zum Beispiel zurzeit auch Krieg. Da hören wir im Moment auch gar nichts darüber, sondern wir fokussieren dort, wo im Moment nach der Meinung der Medien-Verantwortlichen das meiste von Relevanz oder von Interesse los ist. Und dort schauen wir ganz gezielt hin. Nun hat ja Russland, wie soll ich sagen, das professionalisiert so schwelende Konflikte. Und sicherlich kann man da auch über die Definition streiten. Aber Georgien … Georgien, Südossetien dort ist nach wie vor …. ist dort ein Belagerungszustand oder … ja ein Zustand militärischer Präsenz, wo auch im Prinzip fast wöchentlich die Grenze verschoben wird. Da schauen wir dann nicht mehr hin, weil es nicht so … wahrscheinlich, weil es nicht so doll kracht oder weil es uns nicht so sehr betrifft. Und insofern also … Medienversagen ist für mich ein sehr, sehr großer Begriff. Allerdings ist es tatsächlich so, dass wir dazu neigen, immer mehr stark zu fokussieren und dann die Unschärferelation halt eintritt und wir das, was drumherum passiert, vernachlässigen. Und die Diskussion haben wir ja auch … im Prinzip ist das schon eine lange Diskussion das: Was ist mit den Nachrichten, die wir nicht mitbekommen oder über die die Medien nicht berichten? Die es immer gegeben hat und die es halt gibt.

Daniel Bouhs [00:08:01] Nun bist du nicht mehr aktiv als Berichterstatter, hast quasi ja die Seiten gewechselt. Du organisierst derzeit Hilfstransporte, du bist Aktivist, Unterstützer. Weil das mehr hilft als zu berichten?

Toralf Keßler [00:08:13] Das würde ich jetzt in dieser Brisanz so nicht sagen, weil es mehr hilft, als zu berichten. Bei mir ist es so gewesen, dass ich vor einigen Jahren, also konkret vor zwei Jahren durch die Corona-Pandemie den Medien den Rücken kehren musste und es mittlerweile auch so ist, dass das so bleiben wird. Und ich nicht mehr als Berichterstatter oder als Produzent für Berichterstattung arbeite. Als Journalist weiß ich nicht, ob ich in der Lage dazu gewesen wäre, eine Seite zu unterstützen, auch wenn ich innerlich sozusagen davon überzeugt gewesen wäre, dass es hier einen Aggressor gibt und jemand, der angegriffen wird, weil dort für mich schon die, ich sag mal, die klare Sicht auf die Dinge das Wichtigste war. Und wenn man sich dann sehr engagiert, ist es meiner Meinung nach sehr schwierig, einen klaren Blick auf die Dinge zu werfen und die Sachen so objektiv wie möglich beim Namen zu nennen. Bei mir ist es jetzt so, dass ich nicht mehr im Journalismus oder in den Medien tätig bin und …. aber was ich vorhin kurz erläutert habe, dass man Leute um sich herum hat, die organisieren, die übersetzen, die die Interviewanfragen und Drehgenehmigungen besorgen, um sich hat. Und ich habe damals in der Ukraine knapp drei Monate mit einem Menschen zusammengearbeitet, dem ich dann sehr vertraut habe, den ich in dieser Zeit kennengelernt habe, dessen Familie ich kennengelernt habe. Und habe jetzt zu Beginn des Krieges mit vielen in der Ukraine Kontakt aufgenommen. Und unser ehemaliger Stringer, so nennen wir die Leute, die für uns dann vor Ort die Dinge organisieren und zum Laufen bringen, sagte, er ist in Kiew in einer militärischen Einheit und bereitet sich darauf vor, die Stadt zu verteidigen. Ich habe jetzt täglich mit ihm Kontakt und hoffe jeden Morgen, dass er sich … dass er antwortet und habe mich aus dem Grund, weil er mir dann auch mitteilte, an was es fehlt, wo sie denken, dass man unterstützen kann, mich dort entschlossen zu helfen. Und mit anderen Menschen, die ich kenne, dann versucht, dort etwas aufzubauen bzw. auch eine bestehende Hilfsinfrastruktur, die ein … auch ein guter Freund von mir in Berlin angefangen hatte, mit genutzt habe, um dort Hilfe nach Kiew zu organisieren.

Jörg Wagner [00:10:25] Toralf Keßler, er berichtete vor acht Jahren aus der Ukraine unter anderem für Arte und organisiert aktuell Hilfstransporte für die ukrainische Bevölkerung. Dafür wünschen wir Dir eine breite Unterstützung.

Toralf Keßler [00:10:35] Ich danke.






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