Der M100 Media Award 2023 geht an …

Sabine Sasse im radioeins-Studio | Foto: © Jörg Wagner


Wer:
* Sabine Sasse, Head of Programme, Potsdam Media International e.V., M100 Sanssouci Colloquium
* Jörg Wagner, Freier Medienjournalist
Was: Studiogespräch zum M100-Programm 2023 am 14.09.2023
Wann: 05.08.2023, 18:10 Uhr im radioeins-Medienmagazin
Wo: radioeins, rbb, Medienstadt Potsdam-Babelsberg


(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

Jörg Wagner [00:00:15] … Sabine Sasse ist gerade ins Studio gekommen, und wenn Sabine Sasse kommt, dann ist immer etwas mit M100. Das ist … wir haben sozusagen ein Abonnement, Sabine. Es …

Sabine Sasse [00:00:27] So ist es.

Jörg Wagner [00:00:28] Und der eigentliche Anlass ist natürlich nicht, weil M100 wie jedes Jahr ist, sondern ihr habt gestern bekannt gegeben, wer den M100 Media Award bekommt. Da wird ja immer sehr viel auch Geheimniskrämerei drum gemacht, logischerweise, weil man will ja so einen kleinen Aha-Effekt haben, dass man sagt: Ah, wer wird denn dieses Jahr und wer wird es?

Sabine Sasse [00:00:51] Es wird in diesem Jahr die iranische „Women, Life, Freedom“-Bewegung, also „Frauen, Leben, Freiheit“, die seit einem Jahr fast genau, nämlich seit dem 16. September 2022, iranische Frauen und auch Männer dazu bringt, unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren gegen die immer stärker und schlimmer werdenden Repressionen des Mullah-Regimes. Ausgelöst wurde das damals durch den gewaltsamen Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die in Polizeigewahrsam starb. Und wir haben uns natürlich auch überlegt, der Beirat von M100 – Verzeihung – wer soll den Preis entgegennehmen? Und es wurde entschieden für Shima Babaei. Das ist eine junge Aktivistin, die 2017 noch Innenarchitektur studiert hat in Teheran, mit auf die Straßen gegangen ist, zu einem Gesicht der iranischen Frauenbewegung geworden ist und 2018 dann mit ihrem Mann fliehen musste, nachdem sie zweimal im Gefängnis war und ihr eine sehr lange Freiheitsstrafe drohte. Seit 2020 lebt sie jetzt in Brüssel. Ihr Vater hat es leider nicht geschafft, ein Tierarzt, der auch für Menschenrechte sich engagiert hat. Er ist inhaftiert worden und ist verschollen. Und natürlich möchte sie auch für ihn die Freiheit irgendwie erwirken.

Jörg Wagner [00:02:18] Ich gönne Dir mal einen kleinen Schluck aus Deiner Mineralwasser-Flasche und stell Dich erst mal überhaupt richtig vor. Du bist Head of Programme Potsdam Media International e.V., M100 Sanssouci Colloquium. Also weder in der Jury, noch irgendwie, sage ich mal, jemand, der dort dann anschließend mitdiskutiert, sondern Du organisierst das ganze programmlich, hast sozusagen den Programmdirektoren-Titel, wenn man das mal übersetzt, weil Head of Programme ist so … gut es ist international. Potsdam ist international. Alles gut. Und wir hören uns mal einen ganz kurzen Ausschnitt aus zwei Reportagen oder Berichten an aus … zum Thema Iran der letzten zwei Monate.

Katharina Williger, ARD [00:02:57] Straßenproteste, die sehen wir nicht mehr, wie wir sie letztes Jahr erlebt haben. Das liegt allerdings nicht daran, wie man jetzt vielleicht sich fragen könnte, dass der Widerstand bei den Iranern gebrochen wurde oder weniger ist. Es liegt vielmehr daran, dass das Regime mit einer unglaublichen Härte gegen jeden, der das System kritisiert, vorgegangen ist. Wir erinnern uns, es gab ja allein im Zuge der Proteste mehr als 500 Tote, erschossen durch Sicherheitskräfte. Das dokumentieren jedenfalls diverse Menschenrechtsorganisationen, auch die UN. Und es laufen immer noch sehr viele Prozesse gegen kritische Journalisten, beispielsweise. Aber auch Menschenrechtsaktivisten oder Studierende.

Anna Feist, ZDF [00:03:39] Im Iran setzen sie uns massiv unter Druck, insbesondere die Sittenpolizei. Sie zwingen uns, uns komplett zu bedecken. Hier machen sie Ferien in der Freiheit. Ferien von einem Land, das in diesen Tagen ein Gesetz vorbereitet, das Frauen noch härter bestrafen will, wenn sie sich nicht an die islamische Kleiderordnung halten.

Jörg Wagner [00:03:57] Ja, das waren zwei Beiträge, einmal aus dem Juli und einmal aus dem August. ARD und ZDF. Es ist allerdings … das habe ich bei der Recherche zu diesen O-Tönen gemerkt, relativ ruhig geworden in der Berichterstattung. Und insofern ist das, glaube ich, auch ganz gut und vielleicht sogar beabsichtigt, dass ihr wieder die iranische Freiheitsbewegung in den Fokus nehmt. Ist das auch ein Nebeneffekt dieses Preises, dass man den Scheinwerfer wieder auf Brennpunkte richtet? Letztes Jahr, muss man dazu sagen, war die Ukraine als Volk ausgezeichnet worden und Vitali Klitschko … nein Wladimir Klitschko war da und hat den Preis entgegengenommen.

Sabine Sasse [00:04:35] Ja, ganz genau. Also, wir wollen natürlich den Fokus auf diese Bewegung wieder richten und es wird halt immer schwieriger, die Medien ermüden natürlich auch, darüber zu berichten. Und deswegen freuen wir uns sehr, dass Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, zugesagt hat, nach Potsdam zu kommen und die Laudatio zu halten, was ja ein wahnsinnig wichtiges Zeichen ist. Die EU hat zwar Sanktionen gegen das Regime des Irans ausgesprochen, aber dann noch mal in Person der Präsidentin der EU-Kommission, sich auf die Bühne zu stellen neben einer der Betroffenen, die eben auch das Gesicht dafür ist und ganz klar dort etwas zu sagen, also als Laudatorin kann man sich ja nur vorstellen, dass sie dafür spricht. Das ist natürlich wahnsinnig wichtig. Das war unser großer Wunsch. Und ich muss auch sagen, dass Ursula von der Leyen an dem Tag nicht gerade frei hat. Also sie quetscht das in ihren wirklich sehr dichten Terminplan rein, weil es ihr so wichtig ist, dort auch Flagge zu zeigen.

Jörg Wagner [00:05:39] Aber M100 ist nicht nur Flagge zeigen, sondern ursprünglich mal erfunden worden, auch um unter den wichtigsten Medienschaffenden zu diskutieren, über gesellschaftliche Probleme mal länger und intensiver nachzudenken, als das im normalen Alltag vielleicht, wenn man so vernetzt, sich per Online-Schalte oder mal auf’m Treffen irgendwie austauscht. Hier hat man auch in einer sehr malerischen Kulisse Gelegenheit, in Sanssouci tatsächlich zu brainstormen. Was ist denn diesmal so das Generalthema? Oder ist das eher so wie bei Konferenzen, wo man sich das Thema erst sucht diesmal? Oder wie läuft das?

Sabine Sasse [00:06:17] Na ja, das Thema, das bestimmen wir schon immer Monate vorher, Anfang des Jahres. Und das heißt in diesem Jahr, ich übersetze es mal auf Deutsch: „Zwischen Ambition und Verzweiflung – die Zukunft der Demokratie“. Wir diskutieren natürlich alle auf Englisch oder die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die kommen wieder aus vielen Ländern Europas zusammen: führende Medienmacher, Meinungsmacher, Vertreter von NGOs und politischen Think Tanks, um sich eben in verschiedenen, auch kleineren Arbeitsgruppen über diese Themen zu unterhalten. Es geht im Prinzip eigentlich um die Frage: Wie sieht es denn eigentlich mit unserer Demokratie aus? Wieso geht# s ihr eigentlich immer schlechter? Wieso sind eigentlich rechte Parteien und Populismus so im Aufwind? Man braucht ja nur nach USA zu gucken und reibt sich die Augen, wieso Donald Trump schon wieder kurz davor steht, Präsident womöglich zu werden. Auf jeden Fall Kandidat …

Jörg Wagner [00:07:11] Aber das ist vielleicht auch ein Teil der Demokratie. Wird das auch diskutiert, dass möglicherweise der Rechtsextremismus auch ein Teil der Demokratie sein kann bis zum gewissen Punkt?

Sabine Sasse [00:07:21] Auf jeden Fall wird das natürlich auch … und natürlich auch die Rolle der Medien, welche Aufmerksamkeit eigentlich Medien dem Thema widmen sollen und auf welche Art und Weise, wo zum Beispiel der Chefredakteur vom Stern, Gregor Peter Schmitz, was zu sagen wird, die ja letztens gerade erst Alice Weidel auf dem Titel hatten und dafür viel Lob, aber auch natürlich viel Kritik eingesteckt haben. Und so weiter. Und noch ein wichtiges Thema: Wir werden den Blick vom Westen in den globalen, aus dem globalen Süden auf den Westen richten und haben extra Menschen eingeladen, wie zum Beispiel den Eröffnungsredner u.a. Pankaj Mishra. Das ist ein indischer Schriftsteller und Essayist, der die, ich sage mal, die Überheblichkeit des Westens und seiner Vorstellung von der Demokratie mal ein bisschen geraderücken wird. Aus der Sicht des globalen Südens, wo ja Indien auch zugehört. Und da stellt sich dann nämlich heraus, dass der Westen und Europa ja gar nicht mehr so wichtig sind, wenn man mal schaut: der Aufstieg Chinas und Indiens, die Bedeutung Afrikas, die auch jetzt angesichts des russischen Krieges in der Ukraine, Mittelamerika, Afrika usw. Also ich denke, der wird uns da ordentlich den Kopf waschen uns Westlern, die immer glauben, wir haben die Demokratie erfunden. Das sieht nämlich doch ein bisschen anders aus.

Jörg Wagner [00:08:43] Dann weiß ich auch, immer ist der Nachwuchs bei euch. Also tatsächlich das, was man noch Nachwuchs nennen kann. Also junge Menschen und nicht ältere Menschen, die noch keine Chance hatten zum Arbeiten. Was, was plant ihr mit denen?

Sabine Sasse [00:08:54] Die Nachwuchsjournalisten, das sind 20 junge Journalisten. Manche studieren auch noch aus 15 europäischen Ländern. Es geht um Klima-Berichterstattung. Auch ein ganz wichtiger Punkt eben für die Demokratie. Also wie berichtet man am besten eigentlich über den Klimawandel und welche Tools gibt es da? Und welche Bedeutung hat eigentlich die Berichterstattung über den Klimawandel in unterschiedlichen europäischen Ländern? Wir sagen ja immer EU, Europa alles eins, ist ja nicht so, also in Ukraine hat ja zum Beispiel der Klimawandel nicht so ein großes Gewicht oder auch in Georgien nicht. Aber es kommen lauter Leute, eben junge Journalisten aus diesen Ländern. Und in Spanien, Italien ist natürlich die Bedeutung viel größer und die diskutieren eben eine Woche lang mit Experten darüber und lernen natürlich auch eine Menge und nehmen dann am 14. September auch am M100- Sanssouci Colloquium teil.

Jörg Wagner [00:09:49] 14. September, haben wir noch mal gesagt. Wer jetzt nun nicht eingeladen ist, nicht dabei sein kann, das wird ja dokumentiert. Aber vieles ist auch hinter verschlossenen Türen, oder?

Sabine Sasse [00:09:58] Also verschlossene Türen würde ich nicht sagen. Die Orangerie Sanssouci hat einfach eine begrenzte Platz-Zahl, da passen eben nicht 1000 Leute rein. Was aber auch das Schöne ist, es ist halt eine intime Diskussionsatmosphäre und auch sehr schön. Und die Teilnehmer diskutieren unter Chatham House Rules, was bedeutet … wir schreiben ja einen Bericht darüber, es wird alles aufgezeichnet, aber es wird nicht unbedingt gesagt, der und der hat das und das gesagt, sondern es gibt dann so eine allgemeine Stimmungslage aus den Diskussionen.

Jörg Wagner [00:10:29] … meint Sabine Sasse, Head of Programme vom M100 Sanssouci Colloquium. Sie hat uns verraten, wer den Preis in diesem Jahr bekommt und was das Programm ist in Potsdam, in der internationalen Stadt Potsdam. Vielen Dank.

Sabine Sasse [00:10:41] Danke für die Einladung.








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