Kabel Deutschland wehrt sich gegen Vertragskündigung durch ARD und ZDF

„must carry heißt must pay“


Download (verlinkte Audio-Quelle: rbb, radioeins)

Wer: Insa Calsow, Direktorin Unternehmenskommunikation Kabel Deutschland
Was: Telefoninterview
Wann: 04.08.2012 im radioeins-Medienmagazin, rbb

0:05
Jörg Wagner: radioeins-Medienmagazin. Im Juni hatten – wie hier berichtet – ARD und ZDF die Verträge gegenüber einigen Kabelnetzbetreibern zum Jahresende gekündigt. Die bisherige Praxis für die Verbreitung von ARD und ZDF zu zahlen, wird damit beendet. Begründet wurde der Schritt damit, dass “eine Alimentierung der Kabelgesellschaften aus den Gebührentöpfen der Rundfunkanstalten nicht mehr marktgerecht“ sei. “Die Zahlung so genannter Einspeiseentgelte an die Kabelnetzbetreiber sei historisch begründet gewesen und stamme aus der Zeit, als die ehemalige Bundespost die Kabelinfrastruktur mit Unterstützung der Programmveranstalter aufgebaut habe. Spätestens mit der Übernahme der Kabelnetze durch Finanzinvestoren und der Beendigung der analogen Rundfunkverbreitung in Deutschland hätten sich die Rahmenbedingungen entscheidend geändert.” Soweit die offizielle Begründung.

In dieser Woche hat sich nun ein davon betroffener Kabelnetzanbieter, die Kabel Deutschland zu Wort gemeldet. Die Direktorin für Unternehmenskommunikation, Insa Calsow ist mir jetzt telefonisch zugeschaltet. Hat Sie diese Kündigung eigentlich unvorbereitet getroffen?

01:08
Insa Calsow: Ja, erst einmal guten Tag, Herr Wagner. Vielen Dank, dass Sie uns die Möglichkeit geben, hier Ihre Fragen zu beantworten. Erlauben Sie mir zunächst, kurz auf Ihre Eingangsworte einzugehen. Es ist nämlich keinesfalls so, dass das Kabelnetz fertig ausgebaut ist, was als Argument für den Wunsch, Zahlungen einzustellen, herhalten soll. Wir – und ich spreche jetzt für Kabel Deutschland – investieren jedes Jahr erhebliche Summen in unsere Infrastruktur. Aktuell geben wir sogar jeden vierten Euro an Umsatz für den weiteren Ausbau unseres Kabelnetzes und für die Kundengewinnung aus. Mit diesen Investitionen wollen wir unseren Kunden natürlich weiterhin das beste TV-Erlebnis bieten, aber was auch gerne bei der Diskussion vergessen wird, wir investieren auch, um mit unserem Netz schnelles Internet nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land zu ermöglichen. Übrigens können mit diesem schnellen Internet-Angebot auch ARD und ZDF ihre vielfältigen Internetinhalte zum Kunden transportieren.

Das aber nur als ganz kurzes Eingangsstatement. Zurück zu Ihrer Frage, Herr Wagner. Die Absicht von ARD und ZDF ab dem Jahr 2013 den Kabelnetzbetreibern überhaupt keine Einspeiseentgelte mehr zu zahlen, wurde einseitig und vor allem ohne Rücksicht auf die langjährigen guten Geschäftsbeziehungen getroffen. Erst durch den KEF-Bericht, der Anfang diesen Jahres eine Null im Budget für Kabel ausweist, wurden uns diese Pläne bekannt gemacht. Es stimmt also nicht, dass ARD und ZDF dies schon im Jahr 2008 angekündigt hätten, aber selbst wenn sie es angekündigt hätten, legitimiert diese Vorgehensweise nicht den Zahlungsboykott. Ich kann mich ja auch nicht drei Jahre auf die Straße stellen und ankündigen nicht mehr für Benzin bezahlen zu wollen, trotzdem muss ich, wenn ich mein Auto benutzen will, muss ich dann tanken und dafür bezahlen.

02:47
Jörg Wagner: Aber, es gibt natürlich Kündigungsfristen und die wurden aber eingehalten?

Insa Calsow: Ja, wir prüfen jetzt natürlich erst einmal die Kündigung selber. Wenn wir davon ausgehen, dass ab 2013 dann nicht mehr gezahlt wird, kann ich nur darauf verweisen, dass wir versuchen im Verhandlungswege mit den öffentlich-rechtlichen die bisher gut gelebte Praxis und die guten Vertragsbeziehungen weiter fortzuführen.

03:11
Jörg Wagner: Es geht natürlich um viel Geld bei solch einer Kündigung. Ca. 60 Millionen Euro sparen ARD und ZDF künftig insgesamt ein. Wieviel Einnahmen haben Sie jetzt dadurch weniger?

Insa Calsow: Also, ob sie diese 60 Millionen Euro tatsächlich einsparen, ist ja gerade der strittige Punkt. Aber Sie haben natürlich recht. Einsparungen bei den öffentlich-rechtlichen scheinen durchaus geboten, wenn man sich die Entwicklung der GEZ-Gebühr in den vergangenen Jahren betrachtet.

Zurück zu Ihrer Frage, Herr Wagner, um welchen Betrag es in der aktuellen Diskussion eigentlich geht. Es handelt sich tatsächlich um 60 Millionen Euro, die bislang laut KEF-Bericht als Einspeiseentgelte an die Kabelnetzbetreiber gezahlt werden. Hier muss jedoch noch berücksichtigt werden, dass rund ein Viertel, also etwa 15 Millionen Euro dieser Einspeiseentgelte als so genannte Urheberrechtsentgelte zurück an die öffentlich-rechtlichen fließen. Netto geht es also bei der ganzen Auseinandersetzung um rund 45 Millionen Euro.

Lassen Sie mich dazu auch bitte noch einen Hinweis geben. Die Verbreitung über Kabel ist für die Sender bei weitem die preisgünstigste Verbreitungsform. Während ein Kabelhaushalt heute für etwa 2,30 Euro jährlich erreicht wird, kostet die gleiche Sendeverbreitung für den Satelliten knapp das Doppelte und die digitale Terrestrik sogar mehr als 37 Euro pro Jahr. Dass die öffentlich-rechtlichen ausgerechnet also bei der preisgünstigsten Verbreitungsform einsparen möchten, ist daher umso unverständlicher für uns.

04:36
Jörg Wagner: Erlauben Sie mir aber dennoch zu sagen, dass Sie natürlich von der Satelliten-Übertragung profitieren, weil das Signal dann besser zu Ihnen kommt. Aber ich will da gar nicht jetzt ins Detail gehen, sondern einen Umstand klären, der mich dann doch ja ein bisschen aufgeschreckt hat. Sie wollen die Vertragskündigung juristisch anfechten. Ich meine, bei der ARD und beim ZDF arbeiten auch Juristen. Mit welcher Begründung wollen Sie dagegen vorgehen?

Insa Calsow: Also, wie Sie sicherlich wissen, genießen die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ein so genanntes „must carry“-Privileg, das sicherstellt, dass das öffentlich-rechtliche Angebot bei den Kabelkunden ankommt. Schließlich werden ja immerhin mehr als die Hälfte der GEZ-Gebühren von insgesamt rund 7,5 Milliarden Euro aktuell von den Kabelkunden bezahlt. Das Privileg ist jedoch keine Einbahnstraße. Wie das so oft der Fall ist. Mit dem „must carry“-Privileg geht auch eine Verpflichtung einher. Und diese besteht aus dem Gebot zum Vertragsabschluss mit uns Kabelnetzbetreibern. Und dieser Vertragsabschluss muss zu angemessenen Bedingungen natürlich erfolgen, die übrigens auch durch den Rundfunkstaatsvertrag reguliert wird.

Einfach formuliert, lässt sich das sicherlich auch auf die einfache Formel zuspitzen: „must carry“ heißt „must pay“. Die Weigerung ab 2013 Einspeiseentgelte zu bezahlen, ist aus unserer Sicht eine missbräuchliche Ausnutzung der Marktmacht. Die kann man sich natürlich nur erlauben, wenn man einerseits gebührenfinanziert ist, noch einen hohen Marktanteil genießt und mit den regulatorischen Privilegien ausgestattet ist. Im übrigen ist zu diesem Ergebnis auch das jüngste Rechtsgutachten von Herrn Professor Trute von der Universität Hamburg gekommen, das seit letzter Woche vorliegt und unsere Position absolut bestätigt.

06:17
Jörg Wagner: Aber mit Blick auf andere internationale Gepflogenheiten, müssen Sie nicht eigentlich froh sein, dass das so lange gut ging? Und dass Sie die Programme ja künftig unentgeltlich verwenden dürfen, um die Attraktivität Ihres Angebotes zu erhalten? Also wenn man mal auch die USA nicht exakt vergleichen kann, weil dort Kabelfirmen an den Werbeeinnahmen beteiligt werden, aber es ist doch schon so, dass man dort in den USA Programme kauft als Kabelnetzbetreiber und nicht noch Geld dafür bekommt, wenn sie verbreitet werden.

Insa Calsow: Also, da haben sie einen ganz wichtigen Punkt angesprochen, Herr Wagner schon in Ihrer Frage. Der Vergleich mit den USA hinkt insofern, als dass sehr gerne bei diesem Beispiel vergessen wird, dass dort die Kabelnetzbetreiber nämlich an den Werbeerlösen der TV-Sender beteiligt werden. Es ist schon verwunderlich, dass man ausgerechnet auf die USA mit einer äußerst mageren Free-TV-Welt verweist, um Argumente für Deutschland zu finden. Wir in Deutschland haben eine weltweit einzigartige öffentlich-rechtliche Fernsehlandschaft. Die ist wirklich unvergleichlich mit anderen Märkten. Allein ARD und ZDF veranstalten über 20 Fernsehprogramme ohne Einrechnung von Landesfenstern und regionalen Versionen von dem “Ersten”. Dort, wo Pay-TV dominiert, im übrigen in fast allen anderen Ländern bis auf Deutschland, sehen Marktanteile und Finanzierungsmodelle natürlich völlig anders aus. Daher hinkt dieser Vergleich aus unserer Sicht.

07:39
Jörg Wagner: Aber ist es nicht doch vielleicht ein Widerspruch, dass Sie einerseits jetzt in den “Kampf” ziehen und andererseits noch im April angekündigt haben, die Verbreitung der HD-Programme vom Bayerischen Rundfunk, Norddeutschen Rundfunk, Phoenix, 3sat und Kika “ohne zusätzliche Kosten” , das ist ein Zitat , also „ohne zusätzliche Kosten“ einzuspeisen?

Insa Calsow: Nein, das ist keinesfalls ein Widerspruch. Unseren Kunden wollen wir diese Sender natürlich nicht in der HD-Qualität vorenthalten und wir können sie auf Basis des bestehenden Vertrages mit den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und auf Basis unseres Preismodells einspeisen.

08:11
Jörg Wagner: Aber diese Basis fällt jetzt weg. Was bedeutet das jetzt für den auch zahlreich in unserem Sendegebiet vertretenden Kabel-Deutschland-Kunden? Weniger Programm im Kabel oder planen Sie eine Gebührenerhöhung?

Insa Calsow: Also, Herr Wagner, ich hoffe auf Ihr Verständnis und das der Hörer, dass wir uns jetzt an irgendwelchen Drohszenarien oder an irgendwelchen möglichen Szenarien nach dem 1. Januar 2013 überhaupt nicht beteiligen möchten. Wir wollen vor allem diese Auseinandersetzung mit den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, die im übrigen von denjenigen auch angestoßen wurden, nicht auf dem Rücken unserer Kunden austragen.

Nochmal zur Veranschaulichung. Mehr als die Hälfte der GEZ-Gebühren werden in Deutschland von den Kabel-Kunden bezahlt. Das ist ganz einfach rechnerisch nachzuvollziehen, weil mehr als die Hälfte der deutschen Fernseh-Haushalte über das Kabel versorgt werden. Diese Kunden mit den öffentlich-rechtlichen Programmen zu versorgen, ist unser beiderseitige Verpflichtung, also die der öffentlich-rechtlichen auf der einen Seite, aber auch die der Kabelnetzbetreiber. Und dafür wollen wir kämpfen. Also, auch durchaus im Sinne unserer Kunden. Wir erwarten und sind bereit, jederzeit bereit mit unseren Geschäftspartnern endlich in konstruktive Gespräche einzutreten, um die langjährigen Geschäftsbeziehungen im Interesse aller weiter fortzuführen.

09:27
Jörg Wagner: … meint die Direktorin für Unternehmenskommunikation von Kabel Deutschland, Insa Calsow. Ich bedanke mich für die erschöpfende Auskunft.

Insa Calsow: Ganz herzlichen Dank, Herr Wagner. Auf Wiederhören!

Trailer: “radioeins. Im Berliner Kabel auf 99,95.”

(wörtliches Transkript)
+++

Vgl.:
* Reaktion des ZDF vom 31.07.2012

(Foto: © Kabel Deutschland )


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One thought on “Kabel Deutschland wehrt sich gegen Vertragskündigung durch ARD und ZDF

  1. Hallo, sehr geehrter Herr Wagner,
    erst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrer informativen und gut gestalteten Web Seite, die ich heute das erste mal entdeckte.
    Bei Ihnen habe ich zu diesem Thema detailierte Informationen zu diesem Thema gefunden, weil ich mutmaßlich das Medienmagazin dazu verpaßt habe.
    Hier in Magdeburg hat KDG neun Regionalprogramme im freien Digitalpaket gestrichen (z.B. rbb Brandenburg).
    Wie die mdr Intendantin richtig in dem Interview ausführt, hat sich KDG gegen die zahlende Kundschaft entschieden, wenn KDG Programme nicht mehr verbreitet.
    Aber es gibt Alternativen zum Empfang dieser TV-Programme, z.B. via Satellit, oder wenn die Datenmenge paßt, via IP.
    Ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute und viel Erfolg mit Ihrer anspruchsvollen Medienarbeit auf so vielen Verbreitungswegen.
    Freundliche Grüße
    Peter Kasten

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