Deppendorf: Die Intendanten müssen entscheiden, was sie in Zukunft wollen!

Ulrich Deppendorf | Foto: © Jörg Wagner
Ulrich Deppendorf | Foto: © Jörg Wagner

Wer:
* Ulrich Deppendorf, 1993-1999 Erster Chefredakteur ARD Aktuell, 1999-2002 Leiter ARD-Hauptstadtstudio, 2002-2007 WDR-Programmdirektor Fernsehen, 2007-2015 Leiter ARD-Hauptstadtstudio
* Jörg Wagner, Freier Medienjournalist
Was: Interview zur aktuellen Berichterstattung der ARD am Abend des 15.04.2019 über den Brand der Kathedrale Notre-Dame de Paris
Wann: rec.: 16.04.2019, 15:30 Uhr



(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

[00:00:00] Jörg Wagner: Ulrich Deppendorf, Sie waren jahrelang Chefredakteur von ARD Aktuell, der Nachrichten-Zentrale der ARD in Hamburg und leiteten auch das ARD-Hauptstadtstudio. Sie kennen also die Nachrichten-Ressourcen und das Regelwerk für die ARD. Sie haben über Twitter mit Ihrem Insiderwissen geschrieben, Sie können nicht „nachvollziehen“, warum es dieses Sonder-Format “Brennpunkt” um 20 Uhr 15 nicht gegeben habe. Was haben Sie am Brandabend in Paris nach der Tagesschau um 20 Uhr vermisst?

[00:00:27] Ulrich Deppendorf: Ich habe weitere Informationen vermisst. Das war ein … und ist ein solches Ereignis, wenn ein solches Kulturgut wie Notre-Dame nicht nur Frankreichs, sondern Europas, wenn eine Kirche, in der Millionen von Zuschauern schon mal gewesen sind, wenn diese brennt, dann will ich sozusagen auch dranbleiben, will Informationen haben. Ich bin dann, muss ich sagen, auf CNN gegangen und BBC und bekam da schon doch einiges mit: einmal über die Geschichte dieser Kathedrale, über Fragen, wie das zu löschen ist. Sie hatten Experten. Das hatten doch deutsche Nachrichtensender. Das muss man sagen. Das habe ich vermisst. Ich spreche nicht davon, den ganzen Abend darüber zu berichten, aber eine Viertelstunde lang die Berichterstattung der Tagesschau zu ergänzen, das war für mich immer und ist auch heute noch eigentlich Pflichtprogramm.

[00:01:23] Jörg Wagner: Gibt es in der ARD eine Regel, wie ein „Brennpunkt“ zu Stande kommt, also wann er ausgelöst wird?

[00:01:29] Ulrich Deppendorf: Es gibt da keine Regel dafür, [es] entscheiden letzten Endes der ARD-Aktuell-Chefredakteur und der ARD-Chefredakteur. Aber immer in Zusammenarbeit mit den einzelnen Sendern. Das ist ein zum Teil etwas komplizierter Abstimmungsprozess. Hinzu kommt … man muss wissen, wie ist das Studio bestückt? Wie sind die Ressourcen? Das ist sicherlich alles abzuwägen. Aber an solchen Abenden muss man, meiner Meinung nach, drauf gehen. Bildmaterial gab es. Und man hätte, glaube ich, auch Telefoninterviews machen können. Das machen mittlerweile alle internationalen Sender. Und ich muss sagen, ich war schon … ja, sehr enttäuscht, dass ich überall hin schalten konnte, aber von der ARD an dem Abend um 20 Uhr 15 erst mal allein gelassen wurde.

[00:02:22] Jörg Wagner: Inwieweit ist denn eine Gefahrenlage für die deutsche Öffentlichkeit ein Kriterium oder wenn sie nicht vorhanden ist vielleicht ein Ausschlusskriterium? Dass man sagt, das ist in Paris, da brennt eine Kirche, zugegebenermaßen ein kultur-kunsthistorisches Denkmal, aber das reicht dann, wenn wir es nach dem Tierfilm zusammenfassen?

[00:02:40] Ulrich Deppendorf: Nein, das ist kein Kriterium. Wenn es danach ginge, dann könnte man doch keinen „Brennpunkt“ machen, wenn es in Bayern schneit und in Nordrhein-Westfalen regnet. Also, das ist kein Kriterium …

[00:02:51] Jörg Wagner: Aber ein trockener Sommer mit Milliardenschäden in der Landwirtschaft und bei Ausfällen der Trinkwasserversorgung …

[00:02:57] Ulrich Deppendorf: Es war sicherlich ein extremer Sommer, so wie wir ihn hier fast noch nie hatten und dass man dann auch einen „Brennpunkt“ dazu macht mit Hintergrundinformationen, vielleicht auch sogar zwei, weil es eine … das finde ich vollkommen richtig. Nur, wenn ein solches Kulturgut in einem Nachbarland so brennt, dann glaube ich – und das zeigen ja die Millionen Tweets, die Millionen Reaktionen auf der ganzen Welt, auch von Staatschefs – dann muss man in einer Redaktion – und ich meine und ich bin mir ziemlich sicher, dass das auch gestern so angedacht worden ist, aber es ist nicht ausgeführt worden und da, muss ich sagen, habe ich kein Verständnis für.

[00:03:37] Jörg Wagner: Die ARD betreibt ja zusammen mit dem ZDF “Phoenix” als Dokumentations- und Ereignis-Kanal, zugegeben ein brennendes französisches Kulturdenkmal ist ein Ereignis. Und auch “Tagesschau 24” suggeriert im Namen „24“ Aktualität. Aber ist eine Live-Berichterstattung von den Löscharbeiten der französischen Feuerwehr durch die deutschen Rundfunkstaatsverträge gedeckt? Darf man den kommerziellen Nachrichtenkanälen Konkurrenz machen, wenn keine Bedrohungslage für Deutschland gegeben ist?

[00:04:03] Ulrich Deppendorf: Das ist für mich überhaupt gar nicht die Frage. Das ist auch nicht eine Frage des Rundfunkstaatsvertrages. Das ist eine Frage: Wie sieht die ARD ihren Auftrag der Information an? Und wenn ein solches Ereignis passiert, dann ist es die Aufgabe der ARD umfassend und vielleicht sogar auch … und sogar mit einer Sonder-Anstrengung zu berichten und zwar direkt nach der Tagesschau. So. Wir haben diese Kanäle. Wir haben „Phoenix“. Wir haben “Tagesschau 24”. Wir haben auch „ZDFInfo“. Die senden alle mehr oder weniger vor sich hin. „Phoenix“ ist sicherlich erfolgreich. „Tagesschau 24“ ist ein Kanal, den kennt kaum einer. Da müssen sich die Intendanten jetzt mal entscheiden, was sie eigentlich wollen. Kann man diesen “Tagesschau 24” zu einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal machen? Und da würde ich mich überhaupt nicht stören, ob da irgendwelche Proteste kommen von kommerziellen Anbietern. Das sieht mittlerweile die Politik auch ganz anders. Die hat uns damals … wir waren ja schon mal kurz davor, einen solchen Kanal zu installieren, da hat sie das mehr oder weniger sehr kritisch gesehen. Heute, glaube ich, sieht man das anders.

[00:05:11] Jörg Wagner: Nun reicht es ja nicht, wenn man als “Tagesschau 24” die 24 Stunden nur im Namen trägt und keine medienpolitische Beauftragung für einen 24-Stunden-NACHRICHTEN-Kanal hat. Weder ist also diese vorhanden, noch sind die Ressourcen für einen 24-Stunden-Regelbetrieb ausgerichtet …

[00:05:26] Ulrich Deppendorf: Also, ich sage ja, dann müssen die Intendanten entscheiden, was sie in Zukunft wollen. Ich sage, die „Information“ ist eine Überlebensfrage auch der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Und da muss man dann möglicherweise doch nochmal etwas mehr investieren oder sich auch mal überlegen, was kann man vielleicht gemeinsam machen, vielleicht auch mal Eifersüchteleien zwischen einzelnen Sendern hinten anstellen. Nur wir können nicht auf Dauer immer wieder sagen: Naja, wir haben da keine Ressourcen gehabt oder wir hatten noch kein Material … während alle anderen rund um Europa über dieses Ereignis live und kontinuierlich berichten. Ich habe nicht gesagt, den ganzen Abend in der ARD. Aber andere Sender haben es vorgemacht und ich muss sagen, viele sind ja wohl auch gewechselt.

[00:06:15] Jörg Wagner: … meint Ulrich Deppendorf. Er war jahrelang Chefredakteur von ARD Aktuell in Hamburg und Leiter des ARD-Hauptstadtstudios. Vielen Dank.

Ulrich Deppendorf: Bitteschön.








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2 thoughts on “Deppendorf: Die Intendanten müssen entscheiden, was sie in Zukunft wollen!

  1. @Guido Meyer Ich habe versucht, mich in die Logik der gestrigen Entscheider hinein zu versetzen. Es muss ja einen Schwellwert geben, ab wann ein „Brennpunkt“ ausgelöst wird. Neben der technischen Möglichkeit. 9/11 ist klar. Anschlag in Paris auf Charlie Hebdo auch. Trockner Sommer … kann man auch rechtfertigen. Nun hat ja der ARD-Chefredakteur Rainald Becker gestern getwittert: „Das Erste ist kein 24h Nachrichtenkanal und Gaffer TV machen wir auch nicht.“ Mir ging es also darum, heraus zu finden, was letztlich der Punkt ist, was Notre-Dame für UIlrich Deppendorf einsortiert in ein Muss für den „Brennpunkt“. Man könnte ja auch zur Auffassung kommen, die tagesschau um 20:00 Uhr hat es drin gehabt, die tagethemen/nachtmagazin haben das Update geliefert. Man hat in der Zwischenzeit nicht wirklich etwas verpasst. Da brennt ein Bauwerk. Da wird gelöscht. Das muss man ja nicht in Echtzeit übertragen bzw. ein „Brennpunkt“ 20:15 Uhr kann zu diesem Thema auch nicht viel mehr beitragen, als 10 Minuten zuvor in der tagesschau, weil es brennt, niemand die Ursache kennt und gerade gelöscht wird. Was hätte also eine zusätzliche Viertelstunde Neues gebracht? Was ist die Fallhöhe für einen Brennpunkt? Bzw. für ein Live-TV? Wann wird aus dem Ersten ein Nachrichtenkanal mit Nachrichten-Loops? Da muss es doch eine Regel geben. – Das Interview ist nicht aktuell gelaufen. Ich habe es für das nächste Medienmagazin vorsorglich aufgenommen, da Ulrich Deppendorf nur heute noch erreichbar war.

  2. weiß nicht, warum Du Dich so auf die „Gefahrenlage für Deutschland“ eingeschossen hast, gleich in zwei Fragen; dieses Kriterium habe ich überhaupt noch nie gehört (und es sollte auch keins sein), ansonsten aber ein super Interview mit sehr ehrlichen Antworten! Ist das heute auch auf Radioeins oder im Inforadio gelaufen??

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