Niedersächsischer Landtag fordert einstimmig Ende von dab+

Stefan Birkner | Foto: © FDP-Fraktion Landtag Niedersachsen

Wer: Dr. Stefan Birkner, MdL, Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion Niedersachsen, medienpolitischer Sprecher
Was: Telefoninterview über die dab+Abstimmung des Niedersächsischen Landtags am 19.06.2019
Wo: Berlin < ---> Hannover
Wann: rec.: 21.06.2019, 11:00 Uhr, veröffentlicht in einer 8:08-Fassung im radioeins-Medienmagazin vom 22.06.2019, 18:10 Uhr und in einer stark eingekürzten Fassung im rbb-Inforadio am 23.06.2019, 10:44/17:44 Uhr



(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

[0:00] Stefan Birkner: Mein Name ist Stefan Birkner. Ich bin Fraktionsvorsitzender der Landtagsfraktion der Freien Demokraten in Niedersachsen und hier auch Vorsitzender der FDP Niedersachsen und bin medienpolitischer Sprecher im Niedersächsischen Landtag der FDP-Fraktion. Und über diese Funktion natürlich mit medienpolitischen Themen und damit auch mit dab+ … habe ich damit zu tun.

[0:23] Jörg Wagner: Aber dab+ ist doch schon eine never ending story. Ich weiß nicht, das erste Mal im Medienmagazin gleich mit Sendestart im August 1997 haben wir – und da war das schon nicht neu – darüber berichtet: “Jetzt geht’s los, jetzt geht’s los” mit dem Digitalradio. Aber Sie haben jetzt eine Initiative gestartet. Was genau haben Sie denn am Mittwoch eingebracht?

[0:45] Stefan Birkner: Also, am Mittwoch hat der Landtag unseren Antrag beschlossen, den wir etwas verändert im Oktober letzten Jahres bereits eingebracht haben. Und drei wesentliche Punkte sind jetzt vom Niedersächsischen Landtag einstimmig beschlossen worden aufgrund unserer Initiative. Das erste ist, dass wir eine gemeinsame Strategie von Bund, Ländern, privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern erwarten, wie der Übergang in eine digitale Radio-Zukunft gestaltet werden kann. Dass es da endlich ein einheitliches, abgestimmtes Konzept gibt. Das zweite ist, dass wir sagen, wir wollen kein UKW-Abschaltdatum haben, also UKW soll zumindest erst einmal unbefristet weiterlaufen. Und das dritte ist, dass wir uns für eine Beendigung der Finanzierung von dab+ über die Rundfunkbeiträge einsetzen und dass das eben innerhalb der Diskussion, die ja gerade geführt wird über Rundfunkauftrag und Rundfunkfinanzierung durch die Landesregierung mit eingebracht werden soll. Das sind die drei wesentlichen Punkte, die wir da beschlossen haben.

[1:37] Jörg Wagner: Ist das falsch zugespitzt, wenn ich sage, Sie wollen UKW und Internet und nicht mehr dab+?

[3:51] Stefan Birkner: Also ich kann jetzt nur für mich sprechen und für unsere Fraktion. Also ich bin jetzt nicht in der Rolle, dass ich für die anderen Kolleginnen, Kollegen spreche. Aber für uns als FDP-Fraktion Landtag kann ich das sagen: Ja, wir halten dab+ für eine Übergangstechnologie, die zumindest nicht aus öffentlichen Mitteln dann jetzt noch finanziert werden sollte und die nicht dann dazu führt, wenn sie dann mit einem UKW-Abschaltdatum ja verbunden ist, dass sich die anderen Sender, also die privaten Sender, die ja gar keine Refinanzierung über Beiträge oder sowas haben, dass die das dann mitgehen müssten. Und weil es eine Übergangstechnologie ist, meinen wir, dass man diesen nach zwanzig Jahren – hatten Sie ja eingangs auch gesagt – eben immer noch nicht etablierten Standard, dass dieser keine Zukunft hat. Und deshalb sagen wir, das ist als Übergangstechnologie mindestens nicht aus öffentlichen Mitteln weiter zu fördern.

[2:30] Jörg Wagner: Niedersachsen ist ja laut ‘Digitalisierungsbericht 2018’ das Bundesland mit der geringsten Haushaltsdurchdringung bei dab+Empfängern. Bayern ist Spitzenreiter. Was machen die Bayern nebst FDP dort anders?

[2:44] Stefan Birkner: Also, soweit ich das in der Anhörung verstanden habe, gibt es in Bayern andere Mechanismen, wie man das fördert oder in die Bevölkerung bringt. So ganz genau kann ich es Ihnen aber auch nicht sagen. Ich kann nur sagen, dass für Niedersachsen und das ist … und auch für das, was ich aus der Anhörung mitgenommen habe, für den gesamten NDR-Bereich, dass hier die Akzeptanz bei den Hörerinnen und Hörern eben nicht gegeben ist in dem Maß und dass das alles sehr schleppend ist und eben überholt wird durch neue Technologien. Was für uns der Anstoß war zu sagen, dann macht das auch keinen Sinn, diese Übergangstechnologie durch Beiträge, Beitragsmittel weiter zu finanzieren.

[3:21] Jörg Wagner: Ebenfalls im Digitalisierungsbericht steht, dass da sich am besten dab+ entwickelt, wo die Infrastruktur am besten ausgebaut ist logischerweise, also die Empfangbarkeit gewährleistet ist und wenn das Programmangebot hochgefahren wird. Vielleicht liegt es ja nur daran, dass die Akzeptanz in Niedersachsen so schlecht ist, weil es zu wenig Sendetürme gibt und zu wenig Programmangebote?

[3:44] Stefan Birkner: Ich würde es andersrum sehen. Ich würd’ sagen, wir haben eine weiterhin hohe Akzeptanz von UKW, weil darüber wir einen sehr … gerade in Niedersachsen … ja auch mit unserer Privatradio-Landschaft, ein sehr vielfältiges Programm haben. Und wir sehen eben gerade die … haben gerade die Sorge und das ist auch in der Anhörung deutlich geworden, dass diese Regionalisierung der Programme, die wir in Niedersachsen haben und die prägend ist, dass die über dab+ gar nicht abgebildet werden könnte, so dass ich eher die Befürchtung habe, dass die Radio-Landschaft, so wie sie Niedersachsen hat und wie sie nach meiner Einschätzung auf großen Zuspruch auch von Hörerinnen und Hörern stößt, dass die darunter leiden würde. Und das ist auch ein Punkt, weshalb wir sagen, dass wir eigentlich meinen, dass wir hier ganz gut unterwegs sind und da nicht jetzt durch eine Technologie, die das so nicht abbilden kann, was wir bisher haben, die dann auch ja als politisch entschiedene Technologie kommt und nicht durch den Markt getrieben wird, dass wir da nicht eingreifen wollen und eingreifen sollten.

[4:46] Jörg Wagner: Heißt das nun zukünftig, wenn man aus dem Sendegebiet des rbb zum Beispiel in Richtung Nordrhein-Westfalen durch Niedersachsen fährt – also über Braunschweig, Hannover in Richtung Köln zum Beispiel – fährt man dann durch ein großes dab+Funkloch bei Ihnen?

[5:00] Stefan Birkner: Nein. Es wird sich ja an der bestehenden Struktur, wenn ich das sehe, erst einmal nichts ändern. Uns geht es insbesondere darum, dass man nicht weiter ausbaut und da diesen … das weiter vorantreibt über Beitragsmittel. Wenn das anderweitig für die Sender interessant ist, müssen sie das anderweitig … für die Öffentlich-rechtlichen gibt’s in der Tat dann keinen anderen Weg … aber müsste dann anders finanziert werden. Aber an der bestehenden Struktur wird sich ja erst einmal nichts ändern. Das, was aufgebaut ist, wird man ja zumindest erstmal nicht zurückbauen.

[5:30] Jörg Wagner: Also Sie meinen, dass die MEDIA BROADCAST da selbst in Vorleistung geht und dann über die Miete das irgendwie …

[5:36] Stefan Birkner: … die werden natürlich auch eine Refinanzierung brauchen. Nur wir haben ja schon eine bestimmte dab+Abdeckung. Da ist es ja nicht zu erwarten, dass die von heute auf morgen abgeschaltet werden würde. Aber unser Fokus ist darauf gerichtet, dass wir sagen, wir wollen nicht jetzt mit weiterem Geld aus den Rundfunkbeiträgen eine Technologie ausbauen, die eine Übergangstechnologie nach unserer Einschätzung ist, sondern sollten uns darauf konzentrieren, gemeinsam eine Konzeption zu finden mit allen Beteiligten, die dann eine digitale Radio-Zukunft bei der Frage dann 4G/5G und Internet beschreibt, wie die dann aussehen kann.

[6:12] Jörg Wagner: Wann setzen Sie Radioempfang über 5G als realistisch flächendeckend an?

[6:17] Stefan Birkner: Also 5G ist natürlich … ist nicht notwendig. Auch das ist in der Anhörung klar geworden. Also 4G-Standard reicht aus und da sind ja die Mobilfunkbetreiber jetzt sogar, glaube Ende 2019/Ende 2020 war mein letzter Stand nach einem Gespräch mit Vertretern der Telekom etwa in Niedersachsen – dass da die Abdeckung dann in den hohen 90er-Bereichen ist, also da wird man dann annähernd von flächendeckender Abdeckung in Kürze sprechen können und dafür ist der 5G-Standard dann nicht nötig, um einen Radioempfang über Mobilfunk zu gewährleisten. Da reicht 4G aus und da ist die Abdeckung ja schon sehr weit, allerdings noch zu verbessern. Da gibt es noch weiße Flecken. Die sind identifiziert und daran wird gearbeitet.

[7:02] Jörg Wagner: Ist das Argument für Sie, dass man in der Zeit der Totalüberwachung oder der sich andeutenden Totalüberwachung, also jetzt nicht nur von Geheimdiensten, sondern auch von persönlichen Daten, die dann verkauft werden durch Intermediäre oder Veranstalter, die ganz genau wissen wollen, wie Hörerinnen und Hörer zum Beispiel ihr Kaufverhalten ausrichten, nicht etwas befreiendes, wenn Sie sagen, hier haben wir einen Standard mit einem terrestrischen Rundfunk, der diskriminierungsfrei und vor allen Dingen auch effizient funktioniert? Also es ist ja nicht so, dass je mehr das Radiogerät einschalten, um so stärker die Leistung schwächen.

[7:41] Stefan Birkner: Also zum einen haben wir auch ausdrücklich gesagt, wir wollen kein UKW-Abschaltdatum haben. Das heißt, ich habe weiter auch ‘ne terrestrische Sendung, die eben dann ja diskriminierungsfrei gegeben ist. Das zweite ist die Frage, wie geht man mit den Daten um und mit den Interessen, die dann von Anbietern da sind? Seien es die Intermediäre oder seien es die Rundfunksender selbst. Und da ist es wie, glaube ich, insgesamt bei bei der Frage Digitalisierung eben mit Licht und Schatten oder mit Chancen und Risiken. Das eine ist eben, dass die … ich sag’ mal … die Interaktion zwischen Hörern und Sender in beiderseitigem Interesse sein kann. Also, dass beide ja davon profitieren, dass dann zielgerichtet dort eben eine Kommunikation stattfinden kann. Das ist sicherlich auch für die werbende Industrie von Interesse und kann auch für den Hörer von Interesse sein. Der Missbrauch der Daten – und das ist dann ein Thema, was wir im gesamten digitalisierten Bereich ja haben, der muss eben ausgeschlossen sein. Und es muss gewährleistet sein, dass die Daten nur so verwendet werden können und verwendet werden dürfen, wie das der Inhaber der Daten, also die Privatperson eben tatsächlich gestattet. Das ist aber eine Diskussion, die, glaube ich, sehr viel weiter zu fassen ist, als jetzt nur in diesem Bereich zu sehen ist, aber dazu gehört. Das ist mit Sicherheit ein wichtiger Punkt, der sich aber, wie gesagt insgesamt bei dem Umgang mit Daten und bei der Frage von Anwendungen von Produkten oder der Nutzung von Anwendungen im Internet stellt.

[9:16] Jörg Wagner: Ein letztes Argument noch. dab+ ist in der Verbreitung – vorausgesetzt die Infrastruktur steht – preiswerter als UKW. Die Stromkosten sind geringer, die Sender sind effizienter. Ist das nicht ein Argument für Sie, zum Beispiel auch den Rundfunkbeitrag absenken helfen zu können?

[9:33] Stefan Birkner: Ja, auch da ist es so, dass das erstmal stimmt, wenn man – so hab ich’s verstanden – von den Strukturen ausgeht, die man bisher vorgesehen hat. Diese Strukturen ermöglichen aber … und das ist sozusagen dann … möglicherweise – da habe ich keinen bundesweiten Überblick – ein besonders niedersächsisches Thema … ermöglichen, aber eben nicht die Lokalisierung. Dass also Sender, wie hier private Sender das etwa in Niedersachsen machen, sehr gezielt in einzelnen Bereichen dann regionale Sendungen anbieten. Also jetzt für Oldenburg wäre das … für Niedersachsen gesehen … für Hannover, für Braunschweig und so weiter … eben unterschiedliche Sendungen. Und da ist in der Anhörung klar geworden, dass, wenn man das so auf dem bestehenden Modell von dab+ macht, wo die Kostensenkung, die Sie beschrieben haben, dann eintreten würde, dass diese Modelle nicht mehr realisierbar wären, weil dann eben beim Frequenzwechsel Lücken und Verluste entstehen, die der Hörer nicht akzeptieren wird. So dass es am Ende, wenn man diese Regionalität mit dab+ oder diese Lokalisierungsmöglichkeiten aufrecht erhalten wollte, man eben zu einem erheblichen Ausbau noch so genannter Multiplexe eben kommen muss, die dann, nach dem, was uns hier vorgetragen wurde, das 2,8fache der … zumindest der heutigen UKW-Verbreitung kosten würde. Und da sehen wir eben, dass der Kostenvorteil, den man sich durch dab+ erhofft, dann mindestens abschmilzt, wenn nicht gar ganz in Frage steht.

[11:04] Jörg Wagner: … meint Dr. Stefan Birkner, Mitglied des Landtags in Niedersachsen, Sprecher für Medienpolitik der FDP. Vielen Dank für Ihre Informationen.

[11:14] Stefan Birkner: Vielen Dank.









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