MainzerMedienDisput Berlin „Gefangen in der Mixed-Zone – Von der Sportberichterstattung zur Event-Inszenierung“


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Was: MedienDisput Berlin, „Gefangen in der Mixed-Zone – Von der Sportberichterstattung zur Event-Inszenierung“
Wo: Berlin, Ministergärten, Landesvertretung Rheinland-Pfalz
Wann: 05.05.2011, 19:07 Uhr
Wer: (von links nach rechts)
* Guido Tognioni, Ex-FIFA-Mitglied, Unternehmer, Zürich
* Gerd Graus, Leiter Strategische Kommunikation und CSR bei Hertha BSC, Mitglied im Organisationskomitee für die FIFA Frauenfußballweltmeisterschaft
* Steffen Simon, WDR-Sportchef, Leiter ARD-Sportschau
* Prof. Dr. Thomas Leif, SWR-Chefreporter, Vorsitzender netzwerk recherche e. V.
* Thomas Fuhrmann, Leiter ZDF-Morgenmagazin, zuvor Chef des Aktuellen Sportstudios, ZDF
* Prof. Dr. Helmut Digel, Institut für Sportwissenschaft Tübingen, bis 2001 Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, Mitglied des IAAF-Councils
* Hajo Seppelt, Sportjournalist, Dopingexperte der ARD

„Wer bietet mehr?“, lautet die alles entscheidende Frage im Wettstreit um Sponsoren, Medienpartner und TV-Uebertragungsrechte großer Sportereignisse. Wenn Sportwettkämpfe zu unsportlichen Bieter-Wettkämpfen der TV-Sender ausarten, zahlt am Ende meist der Zuschauer die Zeche. Die Millionen, die Sender in den Erwerb dieser Rechte investieren, fehlen zwangsläufig für Programm-Investitionen. Die Lizenz zum Gelddrucken besitzen dagegen die Profiverbände vermarktbarer Sportarten wie Profi-Fussball, Formel 1 und Boxen.

Sie diktieren den Sendern ihre Preise, die immer schwindelerregendere Höhen erreichen. 54 Millionen will die ARD in den nächsten drei Jahren fürs Boxen ausgeben, 90 Millionen investiert sie schon jetzt für die Rechte an Bundesligaspielen. Bieten demnächst auch Internetgiganten wie Google und Yahoo mit, könnten Mondpreise die Folge sein. Ins Abseits geraten dagegen die sogenannten Randsportarten.

Erstmals haben sich deren Funktionäre mit kritischen Rückfragen öffentlich zu Wort gemeldet. Eben so rar sind auch kritische Sportjournalisten, die korrupten Sportfunktionären, gedopten Sportlern und gierigen Rechte-Haendlern auf die Finger schauen. Sie sind offenbar als Fans Teil der Unterhaltungsmaschine Sport geworden, in der es heißt: immer höher, schneller, weiter und teurer. Gibt es einen journalistischen Ausweg aus der „Kommerz-Prominenz-Event-Spirale“? (netzwerk recherche)

Guido Tognioni (Foto), bei der Fußball-WM 1990 Pressechef der FIFA: „Ich hatte die Mixed-Zone geschaffen.“


Modorator Thomas Leif: „Es geht nicht mehr um Sport, es geht darum, die Sponsoren zufrieden zu machen?“

Prof. Helmut Digel (Foto): „In hohem Maße.“

Die Diskussionen beim Berliner Ableger des Mainzer Mediendisputs sind dafür bekannt, dass sie eine hohe Informationsdichte haben, gepaart mit großem Unterhaltungswert durch den von Moderator Thomas Leif provozierten Rhetorik-Wettbewerb um die überzeugendsten Argumente. Leif ist um Zuspitzung und Klartext bemüht. Wer diesen Vorgaben ausweicht, blamiert sich. Das wissen die Diskutanten. Unverständlich daher, wieso z. B. der um klare, faktenreiche Aussagen bemühte und in weiten Strecken der Diskussion überzeugende WDR-Sportchef Steffen Simon bei einigen Punkten (Boxen, Finanzen) den Ahnungslosen bzw. Nichtinformierten spielt und sein ZDF-Kollege Fuhrmann beim Geld ebenso in die Defensive gerät.

Unverständlich auch, warum der renommierte Sportfunktionär Prof. Helmut Digel in der Zuspitzung verfälschend vergröbert, warum Kommunikator Gerd Graus die rigiden Arbeitsbedingungen in der Mixed-Zone vor der Sponsorenwand als organisationsbedingt verteidigt. Unverständlich, warum Thomas Leif nicht nachfragt, wenn Insider Tognioni behauptet, dass der Boxsport kein Musterbeispiel für Anti-Doping sei, wohlwissend dass sich die ARD gerade aus Dopinggründen von der Tour de France getrennt hat und jetzt für den Samstagabend Boxen einkauft.

Unverständlich auch, warum Sportjournalist Hajo Seppelt eine Stunde nicht in die Diskussion eingebunden wurde, obwohl er substantielle Aussagen machen konnte. Somit bleibt leider die nicht unwichtige Frage unzureichend beantwortet, in welchem Spannungsverhältnis Journalismus steht, wenn er kritisch im eigenen System berichten will und gleichzeitig um den Einkauf von Sportevents feilschen muss.

Trotz dieser „Schönheitsfehler“ ist die Diskussion rund anderthalb Stunden anhörens- und empfehlenswert, weil sie mündiger macht beim Beurteilen von Abläufen hinter den Kulissen von Sportübertragungen. Sie sensibilisiert und schärft den Blick für Details der medialen Inszenierung und auch Manipulierung.

Vgl.:
Videomitschnitt: Quelle: netzwerk recherche

(Fotos: © Jörg Wagner)

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