taz.am wochenende – Versuch und Irrtum

Erste taz.am wochenende| Foto: © Jörg Wagner
Erste taz.am wochenende| Foto: © Jörg Wagner

„Am Wochenende sind wir eine Wochenzeitung.“


Download (verlinkte Audio-Quelle: rbb, radioeins)

Wer: Reiner Metzger, stellvertretender taz-Chefredakteur
Was: Interview zur taz.am wochenende, die am 20.04.2013 startete
Wann: rec.: 20.04.2013, veröffentlicht im radioeins-Medienmagzin, rbb vom 20.04.2013
Wo: Berlin, Haus der Kulturen der Welt

Reiner Metzger
Reiner Metzger an der Wasserseite vom HdKdW
Haus der Kulturen der Welt
Haus der Kulturen der Welt

(wörtliches Transkript)

(…)

1:18

Reiner Metzger: Ein bisschen ist da was dran. Wenn Sie schnelle, aktuelle Neuigkeiten meinen, die brauchen Sie nicht mehr auf Papier einen Tag später drucken. Aber, wenn Sie Neuigkeiten meinen, die auch mal eine Woche, zwei, drei halten und die so ’ne Wendepunkte markieren, das wollen die Leute dann doch einfach bequem auf Zeitung lesen. Das ist ein anderes Lesen. Dann eben nur einmal die Woche, am Wochenende und nicht täglich, aber doch noch Papier. Also, das ist durchaus noch ein großes Publikum dafür.

1:43

Jörg Wagner: Sie haben gerad‘ die neueste Ausgabe von heute, Samstag 20. April, in der Hand. Die heißt jetzt “taz am Wochenende”. Wodurch unterscheidet sich jetzt vom Layout erst einmal diese Zeitung am Wochenende von der normalen, tagesaktuellen? Außer, dass der Titel nun länger ist?

2:01

Reiner Metzger: Naja, Sie haben einen großen Freisteller im Titel. Einen, der auch für die Kioskkäufer noch mal was zeigt, was man im Blatt noch hat. Sie machen kurze Anreißer und ein dickes fettes Thema und sonst ist die Seite eigentlich ziemlich leer. Sie konzentrieren sich mehr.

2:15

Jörg Wagner: Das ist heute: “Müssen wir die Liebe neu erfinden?” Wie sind Sie darauf gekommen?

2:20

Reiner Metzger: Na, es gibt so einen Trend, der sich so ein bisschen auch in der Piratenpartei manifestiert. Zweierbeziehung ist out. Weil man will ja alles gleichzeitig haben, nämlich Fremde als Partner, wie auch Leute, die einen spiegeln, also hat man mehrere Partner. Man nennt das heutzutage dann mit einem Fremdwort natürlich: Polyamorie. Und da haben wir mehrere Leute, die da sich sozusagen äußern, wie das funktioniert und auch Sachverständige, Philosophen, wie das heutzutage mit der Liebe noch gehen kann, weil es ja offensichtlich da einige Probleme gibt.

2:50

Jörg Wagner: Das ist also ein Thema, was immer geht, was wahrscheinlich vor 1000 Jahren auch diskutiert wurde, heute offen in der taz. Das kann man auch nächste Woche lesen, übernächste Woche usw. Ist das das Konzept, dass man allgemeingültige Themen fürs Wochenende findet?

3:03

Reiner Metzger: Sie brauchen länger haltbare Themen, ja. Ich meine, das ist jetzt extrem. Da haben Sie recht. Das ist ein klassisches Frühlingsthema, ja. Kaum ist die Sonne heraus, kommt die Diskussion über die Liebe. Aber Sie müssen das schon dann spezifisch für ihre Zeitung aufbereiten. Also, wir würden das ganz anders machen, als die Brigitte das macht zum Beispiel, ja. Also, da kommt dann die kreative Arbeit rein. Das Thema als solches, ist ja bei fast allen Themen da, ja. Aber wie machen Sie das, wie ist das gerade jetzt aktuell? Darauf kommt’s dann an.

3:31

Jörg Wagner: Muss der geneigte taz-Leser auf die dann doch news, die dann vielleicht schon mit Redaktionsschluss 17.00 Uhr vom Vortag her abgedruckt sind, verzichten?

3:40

Reiner Metzger: Wir haben das reduziert auf zwei Seiten. Das sind die Schaufenster mit den wichtigsten Sachen. Also jetzt derzeit gerade “Terroristen-Jagd in Boston” oder dieses Akkreditierungsverfahren bei dem NSU-Prozess in München, so ’ne Sachen, ja …

3:52

Jörg Wagner: … aber da muss man jetzt schon sagen, da gab es selbst in der Nacht einige Hin-und-hers und letzten Endes ist derjenige, der dann noch gesucht wurde, der hier in der taz noch gesucht wurde, inzwischen ja wohl verhaftet.

4:03

Reiner Metzger: Ja, das ist ja mit ein Grund, weshalb wir diese Tageszeitung teilweise aufgeben. Weil selbst, wenn wir zu Boston jetzt drei Seiten gemacht hätten, tageszeitungmäßig, so hätte man das früher gemacht, es wäre alles veraltet gewesen. Und Sie müssen sich halt dann kunstvoll solche Themen suchen, die zwar aktuell sind in der Woche, in der Zeit, aber die eben auch noch gültig sind ein, zwei, drei Tage nachdem Sie die geschrieben haben.

4:27

Jörg Wagner: Das heißt, die taz wird eigentlich eine Wochenzeitung? Also die Tageszeitung?

4:31

Reiner Metzger: Ja, an diesem Tag, am Wochenende sind wir eine Wochenzeitung. Jawohl. Genau, weil die Leute haben nicht mehr das Interesse und die Zeit, die ganzen kleinen Wendungen in der Politik, in der Wirtschaft, auch in der Gesellschaft zu verfolgen. Die wollen nur noch die wichtigen Sachen sehen und da reicht das schon einmal die Woche. So viel wichtiges passiert nicht für jeden Tag.

4:50

Jörg Wagner: Kann das sein, dass wir heute hier feststellen, dass ist ein Paradigmenwechsel und die taz wird in der Woche, werktags nur noch digital erscheinen, perspektivisch und die Papierausgabe dann als Wochenzeitung dann eben am Wochenende?

5:02

Reiner Metzger: Also, da müssen Sie schon auf eine ganz lange Perspektive gehen. Weil derzeit gibt es ja für die digitalen Ausgaben, gibt’s ja noch kein richtiges Bezahlmodell. Das könnte man sich dann wohl nicht leisten, also …

5:12

Jörg Wagner: … na es gibt ja bei der taz diese Schranke. Also dieses … da wird plötzlich die Seite schwarz und dann kann man bezahlen.

5:17

Reiner Metzger: Dann kann man bezahlen. Wir versuchen das gerade einzuführen. Das ist auch gar nicht schlecht. Wir haben ja da jetzt so … 20.000 € ungefähr im Monat kommen da an Reingewinn rum. Aber es müsste sich noch verdoppeln, verfünffachen, damit Sie davon unter der Woche, sagen wir mal 30, 40 Journalisten ernähren können, ja. Aber das ist natürlich jetzt der Anfang. Wir gucken alle jetzt derzeit bei den Medien und vor allem bei den Nachrichtenmedien, wie kommen wir durch diese neue Wendezeit hindurch, ja.

5:42

Jörg Wagner: Ist das tatsächlich, was man immer so befürchtet: ein Versuch und Irrtum und weniger eine Strategie, dass jemand weiß, wie es geht?

5:49

Reiner Metzger: Also, immer in der Geschichte, wenn sich irgendetwas geändert hat, wusste praktisch niemand, wie es geht. Das müssen Sie immer mit Versuch und Irrtum machen, ja. Alle die Leute, die jetzt behaupten, sie wüssten, wie es geht, da kann ich nur lachen, ja. Das war … vor fünf Jahren wussten auch ganz viele, wie es geht. Die meisten davon sind jetzt bankrott. Also, Sie müssen einfach schauen, was macht der Leser, dann machen Sie den nächsten Schritt. Das wollen sie. Ja, o.k. Dann machen wir da mehr. Und was der nicht mehr so will, dann machen Sie weniger. So muss man jetzt eben vorgehen.








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