M100 Media Award 2018 – Dankesrede Deniz Yücel

Deniz Yücel während seiner Dankesrede | Foto: © Jörg Wagner
Deniz Yücel während seiner Dankesrede | Foto: © Jörg Wagner


Wer: Deniz Yücel, Journalist, Die WELT
Was: Dankesrede M100-Media-Award 2018
Wo: Potsdam Museum, Alter Markt 9, 14467 Potsdam
Wann: 18.09.2018, 18:46 Uhr

(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

[00:00:00] Ich kann das auch … Nee, ich glaub‘, das stört dann den Blick, oder? Nee, das ist auch ein bisschen zu viel. So. Nein, so vor mir wäre das ein bisschen zu viel. Sonst bin ich natürlich sehr glücklich. Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren, ich bin ein wenig aus der Übung.

[00:00:27] Also, wenn ich jetzt zu schnell oder zu langsam spreche, dann bitte ich um Nachsicht. Und ich möchte mit einem Dank beginnen. Ich danke der Jury für den M100-Media-Award und ich danke Ihnen allen, die sich heute Abend hier in Potsdam zu diesem Anlass versammelt haben. Ich danke meiner früheren Chefredakteurin Ines Pohl für ihre sehr bewegenden und auch sehr wahren Worte. Und ich danke Herrn Lindner für seine sehr kluge Rede und für seine Würdigung, die sehr schöne Würdigung unseres Berufsstandes. Anlässlich einer Preisverleihung im vorigen Jahr kritzelte ich in einer Anwaltskabine des Hochsicherheitsgefängnisses Silivri Nummer 9 – Sie müssen sich das so vorstellen, das waren so Kabinen rund um Glas, auf beiden Seiten Wärter und mehrere Kabinen nebeneinander zwei mal zwei Quadratmeter etwa, da fanden die Gespräche, die Treffen mit den Anwälten statt – und dann an solchem Treffen, in einem Gespräch mit dem Anwalt kritzelte ich also eines Tages eilig eine Grußbotschaft auf den Block meines Anwalts.

[00:01:34] Darin schrieb ich ungefähr, dass ich mich freue, den ehrwürdigen Theodor-Wolff-Preis durch bloßes dumm Rumsitzen im Knast zu erhalten. Und heute mehr als ein Jahr später kann ich mich abermals durch bloßes dumm Rumsitzen im Knast nun in einer Reihe mit Natalja Sindejewa, mit Roberto Saviano oder Charlie Hebdo wähnen.

[00:01:58] Danke dafür. (Beifall)

[00:02:07] Herr Oberbürgermeister, … der Herr Oberbürgermeister war ja so freundlich, mir im Zusammenhang mit der Preisverleihung besonders viel Mut zu attestieren: Selbst aus der Haft heraus, sagte Herr Jakobs eben auch nochmal, hätte ich mich für einen kritischen und unabhängigen Journalismus eingesetzt. Ich will ja nicht so unhöflich sein Herrn Jakobs, quasi dem Gastgeber des heutigen Abends öffentlich zu widersprechen, aber ich selber würde nicht reklamieren, besonderen Mut an den Tag gelegt zu haben. Ja, ich habe, Ines hat in ihrer Laudatio bereits darauf hingewiesen, das Jahr meiner Inhaftierung, genauer das Jahr meiner Geiselnahme vor allem mit einer Tätigkeit verbracht.

[00:02:50] Ich habe gekämpft. Ich habe Wege gefunden, die strenge Briefzensur des Gefängnisses zu überlisten. Als Papier und Stift verboten waren, wie in den ersten zwei Wochen im Polizeigewahrsam, habe ich versucht, die rote Soße der Essenskonserve als Ersatztinte zu verwenden. Die Sache mit dem Charlie-Hebdo-Buch kam erst später, nachdem ich mir einen Kugelschreiber geklaut habe. Und natürlich erschien der Text in der Welt am Sonntag noch, als ich im Polizeigewahrsam mich befand. Das Rauchen war da übrigens auch nicht erlaubt. Also, hab’ ich Nikotinpflaster rein geschmuggelt. Es gibt immer einen Weg. Später im Hochsicherheitsgefängnis, wo alles Lebendige, das ein bisschen Freude gestiftet hätte, verboten war. Es war alles … es war eine Sinfonie aus Beton, Stahl und Stacheldraht … dort also habe ich im Joghurtbecher Minze aus dem Knastladen großgezogen, im Joghurtbecher mit einer Mischung aus Teesatz und zerbröselten Eierschalen als Ersatzerde. Als Präsident Erdoğan verkündete, dass ich niemals ausgeliefert werden würde, solange er im Amt sei, habe ich erklärt, dass ich eine Auslieferung im übrigen ablehne.

[00:04:01] Und als die Frage von Rüstungsgeschäften im Austausch gegen meine Freiheit im Raum stand, habe ich deutlich gemacht, wie ich diese Idee finde: nicht so gut. Für manche Schikane und manches Problem habe ich eine Lösung gefunden, für andere nicht. Aber ich habe mich mit der Situation niemals einfach abgefunden. Nur war das weniger ein Akt von Mut, glaube ich, als ein Akt von Selbstbehauptung. Wenn sie mich zum Schweigen bringen wollten, dann durfte ich nicht verstummen. Wenn sie mich fertigmachen wollten, durfte ihnen das nicht gelingen. Es ging also darum, auch unter diesen sehr schwierigen Umständen so viel Autonomie wie möglich zu erkämpfen und zu wahren. Und genau aus diesem Grund habe ich mich nach meiner Freilassung und nach einigen wenigen öffentlichen Auftritten vorläufig zurückgezogen. So wie ich im Knast kein Opfer der Umstände sein wollte, wollte ich mich auch hinterher, also nach meiner Freilassung, nicht von den Umständen treiben lassen, auch wenn diese Umstände natürlich jetzt ganz andere waren. Helden brauchen vielleicht keine Pause, ich schon. Und darum bin ich meinem Arbeitgeber der Welt und dem Axel-Springer-Verlag sehr dankbar, dass sie mir dies ermöglichen. Der heutige Abend ist für mich also nur eine Pause von der Pause. Und darum auch keine Interviews.

[00:05:22] Sorry. Ja, das war jetzt sehr viel ICH. Dabei ist das nur die halbe Geschichte. Denn ohne die vielen Menschen, die mir zur Seite standen, hätte ich diesen Kampf um Selbstbehauptung und Autonomie nicht führen können, hätte dafür nicht die nötige Kraft gefunden. Darum kann und will ich nicht über meine Zeit im Gefängnis sprechen, ohne sie jedes Mal zu erwähnen: meine wunderbaren Anwälte Veysel Ok, Ferat Çağıl und Refik Türkoğlu, Doris Akrap, Imran Ayata, Tilman Clauß und alle anderen aus den Freundeskreisen #FreeDeniz in Berlin und Hamburg. Mein Freund und Kollegen Daniel-Dylan Böhmer von der Welt, mein Chefredakteur Ulf Poschardt, den Springer-Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner und alle anderen Kolleginnen und Kollegen aus der Welt und dem Springer-Verlag. Meine Schwester Ilka Yücel und Michael Antenbrink, den Bürgermeister meiner Geburtsstadt Flörsheim am Main. Die Kolleginnen und Kollegen meiner früheren Zeitung, der taz und aus anderen deutschen, türkischen … deutschen und türkischen Redaktionen Bülent Mumay zum Beispiel, die mich nie vergessen haben, also auch die Kolleginnen und Kollegen anderen Redaktionen, Generalkonsul Georg Birgelen und seine Kollegen aus den deutschen Auslandsvertretungen in Istanbul und Ankara. Sigmar Gabriel, Angela Merkel und viele andere Politikerinnen und Politiker aus der Bundesregierung, aus der Opposition.

[00:06:41] Herr Lindner, natürlich, Cem Özdemir, Sevim Dağdelen und viele andere, natürlich auch Politikerinnen und Politiker aus der türkischen Opposition, die mich regelmäßig im Knast besuchen kamen, Künstlerinnen und Künstler, die immer wieder an verschiedenen Orten in Deutschland aus meinen Texten gelesen haben und natürlich den vielen Menschen, die sich für mich eingesetzt, sich an Protestaktionen beteiligt oder mir ins Gefängnis geschrieben haben. Ihnen allen bin ich unendlich dankbar und ich muss jedesmal noch immer mit den Tränen kämpfen, wenn ich Bilder sehe, wie die Bilder von … von eben. Das war wirklich … ganz toll. Doch noch viel mehr, noch vor allen anderen bin ich meiner geliebten Dilek dankbar. (Beifall)

[00:07:44] Dilek hatte in dieser Zeit wirklich alles getan, was gerade notwendig war. Kaffee mit der Bundeskanzlerin trinken, Verhandlungen mit dem türkischen Justizministerium führen z. B. über so Fragen wie die Erlaubnis, unsere Katze in den Knast zu schmuggeln oder ein Kopfkissen aus … in Wassermelonen-Form mir geben zu können, frische Socken in den Knast bringen usw. Und ich glaube, die Kollegen aus dem Spiegel haben sinngemäß nach meiner Freilassung … haben sie … schrieben sie auf die Frage hin, was denn jetzt nun zu meiner Freilassung geführt habe, schrieben sie, das mag verschiedene Gründe gehabt haben, aber sicherlich mag auch die Sturheit des Journalisten Deniz Yücel dazu beigetragen haben. Das mag sein. Ich würde nur hinzufügen, dass die Sturheit von Dilek Mayatürk Yücel … das Ihrige dazu beigetragen hat. Dafür danke Dilek. (Beifall)

[00:08:49] Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei ist auch nach meiner Freilassung nicht aus der öffentlichen Diskussion verschwunden.

[00:08:55] Der letzte Protagonist dieser Debatte, ein deutsch-türkischer Fußballer. Der war nämlich schuld daran, dass Deutschland erstmals in der WM-Historie in der Vorrunde ausgeschieden ist (Lacher). Die Ideenlosigkeit der Trainer, die miese Form der Spieler, die Selbstgefälligkeit, die das ganze Team umwehte, dieser bescheuerte Slogan, an alledem, so analysierten die Verantwortlichen des Deutschen Fußballbundes und eine Schar von Ex-Nationalspielern hinterher, an alledem war ganz allein der Özil schuld oder genauer: schuld war der Erdoğan, mit dem sich der Özil und sein Mannschaftskamerad İlkay Gündoğan kurz vor der WM hatten ablichten lassen.

[00:09:38] Angesichts solcher Analysen kann man die Fans des türkischen Diktators schon irgendwie verstehen. Wenn von einem einzigen Schnappschuss ein solcher Voodoo ausgehen kann, dann muss etwas dran sein an dem Attribut „Weltenlenker“. (Beifall)

[00:10:02] Mesut Özil aber hatte gegen unsere Werte verstoßen, unsere Werte, welche die Nationalmannschaft sonst bei dieser Veranstaltung im superwertekonformen Russland bestimmt ganz prima vertreten hätte. Und darum wird Özil unsere Werte bei der nächsten Gelegenheit, nämlich bei der WM im Werte-Emirat Katar auch nicht mehr vertreten können. (Lacher)

[00:10:29] Am Umgang mit Özil zeigte sich, wofür die Kritik am Erdoğan-Regime, natürlich alle berechtigte Kritik, inzwischen taugt: zu einer Chiffre für Rassismus. Die Forderung „Türken raus aus der Nationalmannschaft“ würde, außer ein paar veritable Neonazis, niemand formulieren. Ein Satz wie „Wer dem türkischen Diktator huldigt, soll zurück nach Anatolien“ geht da schon viel flotter über die Lippen und klingt dazu noch so schön demokratisch, fast möchte man sagen, so wertorientiert. So liegt es in der Logik der Sache, dass genau diejenigen, die Erdoğan für meine Verhaftung gefeiert hatten, ein … bald darauf am lautesten Özils Rausschmiss forderten, nämlich die Klemm-Nazis im Deutschen Bundestag und deren Anhang. Die Özil-Diskussion steht aber auch in einem merkwürdigen Missverhältnis zur jüngsten Wende der deutschen Türkei-Politik.

[00:11:27] Als kürzlich Bundesaußenminister Heiko Maas bei einem Besuch in der Türkei fröhlich Selfies mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu schoss, war das wertemäßig dann irgendwie schon in Ordnung. Und wenn demnächst der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Herr Lindner kam auf das Thema ja schon zu sprechen, wenn also der Bundespräsident demnächst einen Verbrecher zum Staatsempfang empfangen wird, einen Verbrecher, der sich neben vielem anderen, in meinem und in vielen weiteren Fällen des Menschenraubes schuldig gemacht hat, dann müssen unsere Werte da halt durch. So scheint es, als würde sich die Bundesregierung anschicken, ein weiteres Mal all jene Menschen in der Türkei zu verraten, die sich nach einer freiheitlichen, demokratischen und säkularen Gesellschaft sehnen. (Beifall)

[00:12:18] Das sage ich, obwohl ich der Bundesregierung, ich habe es ja vorhin schon erwähnt, sehr dankbar bin für ihre Bemühungen um meine Freilassung. Und ich sage dies guten Gewissens, weil ich schon vor meiner Verhaftung dieselbe Kritik immer wieder formuliert habe. Nun dies wäre also der dritte Verrat dieser Art. Der erste erfolgte etwa in den Jahren 2006/2007. Damals waren in der Türkei noch jene demokratischen Reformen in Gange, die von der Vorgängerregierung eingeleitet worden waren und die Erdoğan mit weiterem Schwung vorantrieb. Europa war damals Hoffnung und Ziel zugleich. Das letzte Ziel, auf die sich … auf das sich der weitaus größte Teil der türkischen Gesellschaft, wenngleich aus sehr unterschiedlichen, teils sogar gegensätzlichen Überlegungen einigen konnte. Aber ein Ziel, das das Land hin zu einem besseren entwickeln ließ. Damals machte die Merkel-Regierung im Verbund mit Nicolas Sarkozy den Türken klar: Egal was ihr macht, Ihr kommt hier nicht rein. Auch wenn sich die Türkei zu einem vorbildlichen Rechtsstaat entwickelt und eine florierende Wirtschaft hervorbringt, auch wenn all die schwerwiegenden Mängel behoben werden, die die türkische Republik bereits seit ihrer Gründung begleiten und sogar wenn der Konflikt mit den Kurden friedlich gelöst wird, Ihr kommt hier einfach nicht rein. Ein wichtiger, womöglich der wichtigste Grund hierfür war die Angst vor Freizügigkeit. 80 Millionen Türkinnen und Türken sollten nicht einfach ohne Visum Paris oder Berlin besuchen können, so wie jeder deutsche oder französische Urlauber ganz selbstverständlich ohne Visum nach Istanbul oder Antalya fliegen kann.

[00:13:56] Der zweite Verrat folgte rund zehn Jahre später. Und diesmal war die Visa-Frage plötzlich gar kein Problem mehr. Damals im Herbst 2015 hatte Erdoğan gerade zum ersten Mal eine Parlamentswahl verloren und wollte sie deshalb in Kürze wiederholen. Da machte ihm Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Aufwartung und ließ sich im osmanischen Barock des Yıldız-Palastes vorführen. Zudem sorgte die Bundesregierung dafür, dass der Fortschrittsbericht der EU, in dem der Türkei angesichts der erneuten Eskalation des Kurdenkonflikts deutliche Rückschritte attestiert wurden, erst nach dem Wahltermin veröffentlicht wurde. Das alles nur, weil man in Europa – und zwar sehr bald nach einem zwar unkoordinierten, aber großen, humanitären Akt – dass man sehr bald danach also begann, Menschen, die vor Krieg und Elend flohen als Bedrohung wahrzunehmen. Und dafür war man bereit, Appeasement gegenüber einem diktatorischen Regime zu betreiben. Aus Angst wurde man erpressbar und die Werte, naja sie verkümmerten zu „Sorgen“. Vieles, was der türkische Staatspräsident den ganzen Tag lang von sich gibt, ist Hass-Sprech, anderes schlichter Blödsinn.

[00:15:08] Doch der Vorwurf der Scheinheiligkeit an die Adresse Europas ist so ganz falsch nicht. Und ganz so, als wollte die Bundesregierung den Beweis für diesen Vorwurf antreten, möchte sie nun nach einer Krisen-Phase ein neues Kapitel aufschlagen. Sei es aus Furcht vor weiteren Flüchtlingen aus Syrien, aus Furcht vor den Folgen eines wirtschaftlichen Kollaps der Türkei, wegen der Geschäftsinteressen von Siemens, Rheinmetall und Co. oder ganz allgemein im Sinne der viel bemühten strategischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Pragmatismus nennt man das. Ein Euphemismus, mit dem sich noch beinahe jede Skrupellosigkeit verbrämen lässt. Mit solchem Pragmatismus aber lassen sich kurzfristige Gewinne erzielen, auch kurzfristige Ziele erreichen. Langfristig aber hat es sich bislang noch immer gerächt. Der Nahe Osten ist nicht deshalb in Aufruhr geraten, weil die Regimes der Mubaraks, Gaddafis und Assads gestürzt wurden, beziehungsweise an den Rand des Sturzes kamen, sondern weil diese Mörder und Diebescliquen viel zu lange von West und Ost unterstützt wurden und man kann davon ausgehen, dass jede Befriedigung mit diktatorischen Mitteln früher oder später zu einer neuen Explosion mit einer noch größeren Wucht führen wird. Ohne Frieden, Freiheit und soziale Teilhabe wird es sich nicht verhindern lassen, dass Menschen anderswo ein besseres Leben suchen. Und genau darum ist es keine gute Idee, einen Serienkiller wie Abdel Fattah al-Sisi in Ägypten zu hofieren. Und genau darum ist es auch keine gute Idee, sich mit dem Erdoğan-Regime zu arrangieren.

[00:16:49] Das heißt nicht, dass ich jede wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit der Türkei ablehnen würde. Außer beim Thema Waffen natürlich. Panzer sollte man vielleicht besser erst gar nicht bauen. Und wenn, sollte man sie zumindest nicht in Länder liefern, in denen sie gegen die eigene Zivilbevölkerung oder jene der Nachbarländer eingesetzt werden. Doch ein Gespräch zwischen Deutschland und der Türkei und auch Zusammenarbeit benötigt es natürlich. Aber dieser Zusammenarbeit sollten Bedingungen folgen. Und zu solchen … unter solchen Bedingungen würde ich es nicht verstehen, dass vielleicht noch ein paar weitere, namentlich bekannte Gefangene wie Ahmet Altan, Osman Kavala, Enis Berberoğlu, Selahattin Demirtaş freikommen. Es müsste viel mehr passieren. Zum Beispiel die gängige Praxis türkischer Gerichte, für die meistens schon ein Facebook-Eintrag genügen kann. Die Praxis, die lautet: Erst verhaften, dann Beweise suchen, dann schmoren lassen und dann … naja, dann ist’s irgendwie auch egal. Diese Praxis muss also aufhören. Und das wäre eine Forderung, an die die Bundesregierung zum Beispiel die Frage nach Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau verknüpfen könnte. So wie sich Erdoğan bestens darin versteht, andere Leute zu erpressen, hat er selber einen wunden Punkt: die Wirtschaftslage. Und mit Gangstern muss man die Sprache sprechen, die sie verstehen. Doch natürlich könnte eine solche Politik im besten Fall bloß die gröbsten Auswüchse der Diktatur eingrenzen. Mehr nicht. Eine freiheitliche und rechtsstaatliche Ordnung wird es in der Türkei nicht geben, solange nicht ein größerer Teil der Gesellschaft einen Regimewechsel will, als es gegenwärtig der Fall ist. Wir erwarten nicht, dass Deutschland uns rettet, sagte jüngst der Rechtsprofessor, Oppositionspolitiker und Habermas-Übersetzer Mithat Sancar. Aber wir sind dagegen, dass Deutschland sich in die Rolle des Erdoğan-Retters aufschwingt. Dem kann ich mich nur anschließen. (Beifall)

[00:19:00] Allerdings taugt die Türkei – und damit komme ich zum letzten Teil – allerdings taugt die Türkei nicht bloß als Resonanzboden für wohlfeile Werte-Debatten, ist das Erdoğan-Regime nicht bloß ein Versuch, die unter Kemal Atatürk eingeleitete Modernisierung rückgängig zu machen, ist das Regime, das Erdoğan-Regime trotz aller Verklärung des Osmanentums nicht bloß eine reaktionäre Kuriosität am Rande Europas. Die Erdoğans, Orbans und Trumps, die Putins, Salvinis, Maduros und wie sie alle heißen verbindet, dass sie zwar nicht durch Gewalt an die Macht gekommen sind, sondern durch mehr oder weniger freie und faire Wahlen. Für ihre Legitimation brauchen sie die Bestätigung durch den Wähler und verachten dabei doch alles, was über die reine Akklamation der bestehenden Herrschaft hinaus eine Demokratie auszeichnet: Die pluralistische Gesellschaft, die Vielfalt der Lebensentwürfe, die materiellen Grundlagen der Freiheit, die Teilhabe der Opposition und natürlich die Existenz einer freien und kritischen Presse. Aber gerade weil sie den Anschein der Demokratie so dringend brauchen, sind sie auch mit demokratischen Mitteln am besten zu bekämpfen, nicht zuletzt mit dem Journalismus, den sie so sehr hassen. Genau darum nahm ich das Angebot sehr gerne an, als mich die Welt Anfang 2015 fragte, ob ich als Korrespondent in die Türkei gehen wollte, nicht aus Abenteuerlust und auch nicht bloß deshalb, weil meine Eltern ursprünglich aus diesem Land stammten und weil ich die Sprache konnte. Sondern, weil ich davon überzeugt bin, dass Journalismus – ich sage nicht kritischer Journalismus, weil unkritischer Journalismus keiner ist (Beifall) – also ich sage, dass … Journalismus … Ich bin davon überzeugt, dass Journalismus überall dort gebraucht wird, wo Macht ausgeübt wird, im kleinen, wie im Großen, im Lokalen, wie im ganzen, am meisten aber dort, wo er in Gefahr schwebt und mit ihm die Freiheit aller und natürlich auch, weil man aus dem Internet allein keine fundierte Berichterstattung abliefern kann. Man muss dorthin gehen, wo es wehtut, selbst, wenn es einem selber weh tun kann. Das ist unsere Aufgabe und das ist auch der Grund, weshalb die Pressefreiheit ein besonderes Gut ist. Dass diese Arbeit gewisse Nachteile nach sich ziehen könnte, war mir also klar. Aber das gehört dazu. So wie alle bisherigen Freiheiten nie geschenkt, sondern stets erkämpft wurden. Auch in Potsdam, in Brandenburg, in Ostdeutschland ist auch unsere Freiheit nicht für lau zu verteidigen und nicht für lau auszubauen.

[00:21:41] Ich möchte aber meine Geiselnahme, die Einzelhaft, die öffentlichen Anschuldigungen und so weiter, ich möchte all das, was mir widerfahren ist, nicht kleinreden. Aber ich möchte es auch nicht größer machen, als es war. Im Vergleich zum Schicksal von Daphne Caruana Galizia, Ján Kuciak oder James Foley, im Vergleich zum Schicksal unzähliger türkischer Kollegen von Uğur Mumcu über Metin Göktepe, Musa Anter zu Hrant Dink fällt so ein Jahr im Knast auch nicht weiter ins Gewicht.

[00:22:09] Und es ist ja auch nicht alles schlecht an dieser Geschichte gewesen. Dilek und ich kannten uns zum Beispiel erst ein halb … sechs Monate, als ich verhaftet wurde. Wir haben eigentlich … den Großteil unserer Beziehung haben wir hinter einer Trennscheibe verbracht und ja, das war nicht so ganz einfach, aber es war eine Zeit, in der unsere Liebe gewachsen ist, in dem sie erblühte hinter dieser Trennscheibe, hinter der wir uns versuchten zu berühren.

[00:22:36] Das war nicht schlecht an diesem Jahr im Gefängnis und in dem Jahr im Gefängnis habe ich auch die Ehre zu verdanken, dass ich heute Abend zu Ihnen sprechen durfte. Ich danke noch einmal für den M100-Media-Award. (Beifall)

[00:23:08] Ich danke nochmals all meinen Unterstützerinnen und Unterstützern und ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit. Danke. (Beifall)








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