Albrecht von Lucke: Strategie von der Entmachtung der Politik

Albrecht von Lucke | Foto: © Jörg Wagner

Was: Commrex-Opal-Interview über die Entpolitisierung von „stern“ und Co. und die „Springer“-Strategie von der Entmachtung der Politik
Wer:
* Albrecht von Lucke, Jurist, Politologe, Publizist, Redakteur „Blätter für deutsche und internationale Politik“
* Jörg Wagner, Freier Medienjournalist
* Daniel Bouhs, Freier Medienjournalist
Wann: Live am 06.03.2021, 18:36 Uhr im radioeins-Medienmagazin (rbb) und in einer 4:56-Fassung im rbb Inforadio am 07.03.2021, 10:44/17:44 Uhr


(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

[00:00:00]
Jörg Wagner: Wer vielleicht von der politischen Schwäche, sagen wir mal, profitiert, von der publizistischen Schwäche des „stern“, ist der Publizist, Jurist und Politologe, Redakteur Albrecht von Lucke, von den kleinen, aber feinen „Blättern“, den „Blättern für deutsche und internationale Politik“. Herr von Lucke, Sie haben eben unseren Kollegen gehört und auch davor Ulrike Winkelmann, Chefredakteurin der taz. Welche Vermutung haben Sie persönlich zum Umbau bei Gruner + Jahr? Profitieren Sie mit den „Blättern“ von der Schwäche der anderen? Bei den …

[00:00:29]
Albrecht von Lucke: Nein, das, das kann ich direkt sagen. Ich glaube, wir sind gerade, was Gruner + Jahr und den „stern“ anbelangt, gar keine Schnittfläche. Das ist bedauerlich, würde ich sagen. Aber ich glaube, ich sage es mal zugespitzt: Der „stern“ ist in gewisser Weise schon lange raus aus dem, – man kann das wirklich so sagen – was früher mal die liberale oder sagen wir sozialliberale Troika war. Das waren die drei Blätter in Hamburg unter Nannen, die große Zeit, Nannen, Bucerius, Augstein, die alle sich letztlich für eine sozialliberale Republik stark gemacht haben. Spätestens, so würde ich es begreifen, mit den Hitler-Tagebüchern war der „stern“ ja raus. Und man muss auch dazusagen, auch diese Doppellösung, immer wieder eine Doppelspitze, die Profilierung des „sterns“. Und Sie haben ja zu Recht auch gesagt, dass eigentlich dann nur noch eine Stimme bekannt war, nämlich Jörges, den man den letzten Jahren als politische Stimme wahr nahm. Aber eigentlich glaube ich, ist die „stern“-Leserschaft ein Stück weit für ein linkes, ökologisches Spektrum, ein Stück weit irrelevant geworden. Und ich kann vielleicht sogar noch eins zufügen: Der „stern“ hat ja gerade im letzten Jahr nochmal sehr versucht, an dieses ökologische Spektrum anzudocken. Erinnern wir uns, er hat eine Zeitschrift gemacht ganz bewusst zu „Fridays for Future“ mit Frau Neubauer. Also will sagen, der Versuch ist dann wohl offensichtlich auch schiefgegangen. Und ich nehme das eher als ein großes Signal, dass diese klare Profilierung dreier Zeitschriften „stern“, „Zeit“ und dann auch „Spiegel“, die übrigens beide auch – „Zeit“ und „Spiegel“ – ja auch schon lange nicht mehr so klar profiliert sind, dass diese klassische Anordnung: Da gab es die sozialliberale, eher progressive Seite und daneben gab es die rechte Seite, nämlich „Springer“, rechts-konservative oder jedenfalls konservativ, dass das – jedenfalls, was das Sozialliberale der Geschichte auch gehört. Und meine Gegenthese ist ja, „Springer“ hingegen hat sich, was klare, eher rechte Politik hat, eher aufgemantel und hat neue Muskeln angelegt.

[00:02:18]
Jörg Wagner: Also dann profitieren Sie ja doch, wenn die anderen sich entpolitisieren!

[00:02:22]
Albrecht von Lucke: Das ist wahr. Das würde ich unbedingt … danke. Das ist richtig. Das würde ich aber gerade am wenigsten auf den „stern“ beziehen. Ganz sicherlich, ganz sicherlich. Das kriege ich oft zu hören. Ich könnte jetzt auch angeben, ein nicht ganz unbekannter „Zeit“- und übrigens auch „Spiegel“- Journalist hat vor geraumer Zeit auf „uebermedien“ geschrieben, weil er uns da mal sich vornahm und sagte na ja, das, was in den „Blättern“ steht in einer Ausgabe als Monats-Heft, das ersetzt drei Ausgaben „Zeit“. Und ich glaube, er sprach sogar frecherweise vom „Freitag“. Er hätte eigentlich im „Spiegel“, denn der war ja lange, hätte er auch erwähnen können. Also ich glaube schon, dass, wer vertiefte Analyse sucht, vertiefte auch ökologische, aber auch mit einem klaren linken Anspruch geschriebene Analyse, der findet bei uns sehr viel, was er manchmal in den anderen Medien in der Hinsicht vermisst.

[00:03:06]
Daniel Bouhs: In der letzten Ausgabe Ihrer – ich nenne sie mal „Blätter“ – haben Sie sich mit „Bild LIVE“ beschäftigt, der Video-Offensive der „Bild“-Zeitung und zitieren auch – freut uns natürlich – das Medienmagazin in der Ausgabe vom 6. Februar 2021, ein Interview, das wir geführt haben mit dem Chefredakteur der „Bild“, Julian Reichelt, aus dem wir wiederum mal diesen Ausschnitt ausgewählt haben:

[00:03:27]
Julian Reichelt: „Ich spüre keine neue Macht, aber ich spüre einen neuen Zugang, der sicher auch in der Faszination Fernsehen begründet liegt. Mein Eindruck ist, dass Politiker das Fernsehen anziehender finden als das gedruckte Interview. Ich habe aber vor allem das Gefühl, dass die neue Logik von „LIVE“, unser Produkt dann am Ende auch auf Papier stärker macht. Denn das LIVE-Interview erspart … schafft authentische Momente und spart die Autorisierung.“

[00:03:57]
Daniel Bouhs: Ist „Bild LIVE“ für Sie mehr, als nur eine andere publizistische Ebene, die „Bild“-Print stärken soll, und den Auflagenschwund vielleicht kompensieren kann?

[00:04:05]
Albrecht von Lucke: Ja, es ist meines Erachtens unbedingt mehr. Und das hab‘ ich ja versucht, auch auszuschreiben. Ich glaube, es ist so was, ich nenne es das Missing Link in einer gesamten „Springer“-Strategie, die weit über „Bild LIVE“ hinausgeht. Also man kann ja … und Sie haben das ja dankenswerterweise auch gemacht, der Kollege Lückerath auf „DWDL“ hat das auch in einem … Anfrage … und man kann so weit gehen, die Frage aufzuwerfen: Ist das nicht das Missing Link, das Murdock immer auch brauchte, wenn er sagte: Ich brauche in der Konstellation, um wirklich Politik zu beeinflussen, Boulevard. Ich brauche ein seriöses Blatt. Also Boulevard übersetzt: die „Bild“-Zeitung. Ich brauche ein seriöses Blatt. Das wäre dann die „Welt“, als das – kann man sagen – Intelligenz-Blatt durchaus, mit aber klarer – wir kommen ja vielleicht noch drauf – ideologischer Schlagseite. Und als drittes: Ich brauche aber zur Massen-Beeinflussung, ich brauche immer auch Fernsehen. Und bisher hatte der Springer-Konzern natürlich mit „Welt TV“, früher „N24“, einen ganz klassischen Nachrichtensender. Seriös, sehr … absolut im Mainstream und im seriösen … ja Nachrichtengewerbe angesiedelt, nahe in der Konkurrenz mit n-tv. Also will sagen, das war vorhanden. Was „Bild LIVE“ jetzt völlig neu macht – und das ist schon ein erstaunlicher Sprung – das ist der Versuch – und da ist Corona, die Corona-Krise ein Geschenk des Himmels – das ist der Versuch, indem man unter anderem erstens Menschen aus der Bevölkerung quasi im „Bild“-Modus immer in die Sendung holt. Sich auch als wirklich, als die Stimme des Volkes aufmantelt. Ich habe das ja sehr kritisiert. Ich habe gesagt, das ist eine Suggestion von „Stimme des Volkes“. Lustigerweise bin ich dann gleich in der „Bild“-Zeitung zitiert worden. Sie können es gern mal ansprechen vielleicht.

[00:05:42]
Daniel Bouhs: Reden wir gleich drüber. Ja.

[00:05:43]
Albrecht von Lucke: Es war ironisch. Aber will sagen, diese Insinuation: Wir sprechen als die „Stimme des Volkes“, wir bringen Bevölkerung zum Sprechen, klagen damit die Politiker an auf der anderen Seite, holen sie aber gleichermaßen auch ins Studio und machen da so etwas wie die Inszenierung von Verhör-Situation. Das heißt, das ist wirklich zum Teil auch so untertitelt worden und die Leute, die Politiker haben „Bild LIVE“ tatsächlich das Studio eingerannt, will sagen: Diese Situation, wir holen die Politiker rein, wir gehen sie an als im wahrsten Sinne populistische Stimme des Volkes, hier das gute Volk, dort die Eliten der Politik und üben so massiven Druck aus auf die Politik. Das ist das neue Prinzip. Und es wird dann – und das macht es nur ironisch – es wird dann gleichsam übersetzt in die „Bild“-Zeitung, weil natürlich das große Glück von „Bild“ und „Bild LIVE“ ist im Zusammenspiel, wenn abends Veranstaltungen sind, also die direkten Talks, die übrigens interessanterweise meistens auch parallel zu den Öffentlich-Rechtlichen angesiedelt sind, dann ist die Autorisierung dieser Stücke nicht mehr möglich. Sie können also in einer unwahrscheinlichen Beschleunigung bereits wenige Stunden später in der „Bild“-Zeitung stehen und sind damit umso mehr Stichwortgeber am nächsten Morgen für dann auch wieder Öffentlich-Rechtliche, die ja schon lange – wir wissen das – „Bild“ wird immer am meisten zitiert, aber jetzt ist das noch beschleunigt und das ist schon ein enormer Schritt.

[00:06:57]
Daniel Bouhs: Ist das etwas, „Bild LIVE“, was Sie insgesamt fasziniert oder eher abstößt?

[00:07:01]
Albrecht von Lucke: Ich finde es zunächst mal eine Leistung. Das muss man ganz, ohne es kritisch einordnen zu müssen, erst einmal feststellen. Es ist bemerkenswert. Sie sprachen ja davor. Ich bin ja auch ab und zu bei Tilo Jung und habe das Vergnügen, das finde ich auch eine Errungenschaft, in der Tat. Aber Sie sprachen von neuen Formaten. Das Interessante ist, dass natürlich mit „Bild LIVE“ etwas erreicht wurde und übrigens auch nur, das muss man deutlich sagen, von einem solchen Tanker und im Zusammenspiel mit „Bild“, der „Bild“-Zeitung mit dem Nimbus „Bild“, dann auch mit dem Nimbus „Springer“, mit der Macht, die der „Springer“-Konzern hat, das so aufzuziehen und gerade in der Corona-Krise eine Strategie – das nennt ja Reichelt ganz bewusst als … ich glaube, er hat es … vielleicht hat er es sogar bei Ihnen sogar … Double-O-Strategie oder „Double-O“ nennt er es. Das ist „on going“, also eine ewig vorangehende und betriebene Story, die erzählt wird und „opinion“, „on going“ und „opinion“, also die ständige harte Konfrontation. Und das wird übrigens seit einem Jahr von „Bild“ und „Bild LIVE“ bespielt: Es ist das große Versagen der Politik und das wird mit einer Meinung beschossen. Das ist schon ein Format, was in anderer Weise funktioniert als das normale Fernsehen. Auch – und das ist das Ironische – auch wenn die Zahlen bisher noch gar nicht toll sind. Das muss man klar sagen. Die „Bild LIVE“- Zahlen sind noch nicht überragend, aber …

[00:08:17]
Jörg Wagner: Aber Sie sind jetzt – wir wollen noch gern diesem Punkt ansprechen, Herr von Lucke – Sie sind jetzt quasi zum „Bild“-Opfer geworden. Ihr Artikel, den wir gleich auch nochmal per Twitter auf den Second Screen schicken, unter blaetter.de, ist, wenn man es neutral formuliert, von „Bild“ missverstanden worden. Wie interpretieren Sie denn, dass Sie nun als Kronzeugen zitiert werden für „Bild LIVE“?

[00:08:35]
Albrecht von Lucke: Na ja, Sie sind lustig. Ich … also richtig, Sie sagen „missverstanden“. Sie haben es völlig zu Recht sehr harmlos … das ist natürlich eine … eine ungeheure Ironie der Geschichte. Sie können es sich vorstellen, ich schlage … ich habe den Text geschrieben. Der kam raus am Donnerstag. Ich schlag‘ am Samstag die „Bild“-Zeitung auf und lese aufgemacht Seite 2, das ist schon bemerkenswert, großer Aufmacher „Politikexperte Albrecht von Lucke ‚Bild LIVE ist die Stimme des Volkes.‘

[00:08:59]
Daniel Bouhs: Sie sind quasi ein Testimonial.

[00:09:01]
Albrecht von Lucke: Ich bin das Testimonial. Und das war natürlich … ich konnte es … ich hätte ja mit manchem gerechnet. Ich hätte auch immer gerechnet, du vielleicht kriegst du … vielleicht geht’s richtig zur Sache. Vielleicht wirst du, wirst du attackiert, was auch immer. Es wurde genau umgedreht. Julian Reichelt hat also nicht das, was ich gesagt habe, quasi zitiert, denn ich habe gesagt: „Bild LIVE“ … und ich hab’s jetzt vor mir. Ich kann es zitieren. „‘Bild LIVE‘ macht sich die Strategie zu eigen, mit aggressiver, fast schon inquisitorischer Geisteshaltung aufzutreten.“ Ja? Das ist die Stoßrichtung, die ich sage „aggressiv, fast schon inquisitorische Geisteshaltung, Politiker zum Verhör zu bitten.“ Man muss sich das mal vorstellen. Das ist ja eine Art, die natürlich unsäglich ist. Aber die Politiker kommen. Das ist das Bemerkenswerte. Sie kommen eben nur zu „Bild“. Sie gehen in den Verlag. Und dann sage ich dazu: Sie treten auf, sinngemäß, als ob sie die Stimme des Volkes wären gegen die Politikerkaste. Und was macht „Bild“ draus? Und das ist eben exemplarisch. Ohne jede Hemmung wird das zur Zitation gemacht. Also, es wird gewissermaßen absolut instrumentalisiert, regelrecht ins Gegenteil gekehrt. Und das ist natürlich ein weiterer Beleg dafür, wie hier „Journalismus“ gemacht wird, das ist natürlich Meinungsmache, die quasi das noch instrumentalisiert zum eigenen Zweck. Das ist sehr durchschaubar. Der Text ist in der Tat, übrigens ja nur im ersten Teil, eine Beschreibung dieses Phänomens „Bild LIVE“ und das ist sofort genutzt worden, um das eigene Anliegen zu stärken.

[00:10:17]
Jörg Wagner: Dieses Transkript mit Albrecht von Lucke eben kann man dann vielleicht einreichen beim Presserat. Vielen Dank, dass Sie das transparent gemacht haben. Ihre eigene Sicht auf die Dinge. Und dann auch nochmal das fassungslose, ja in Worte kleiden, was „Bild“ mit Ihnen gemacht hat. Vielen Dank dafür.

[00:10:34]
Daniel Bouhs: Danke für Ihre Zeit.

[00:10:35]
Jörg Wagner: Und wir …

[00:10:36]
Albrecht von Lucke: Darf ich noch einen Satz vielleicht dazu sagen, einen letzten, weil mir das eigentlich wichtig ist.

[00:10:38]
Jörg Wagner: Einen haben wir noch.

[00:10:39]
Albrecht von Lucke: Es geht mir bei dem Text ein … das müsst Ihr noch haben, weil das war das vielleicht Interessanteste. Ich wollte gar nicht bei „Bild LIVE“ und das wäre vielleicht wichtig zum Text zu sagen: Der Text ist der Versuch, insgesamt zu zeigen, wie eine Strategie – und das ist übrigens das Gegenbeispiel zu den Hamburgern, die entpolitisiert sind, ein Stück weit – der „Springer“-Verlag führt eine absolute Strategie der Entmachtung der Politik, indem permanent das Versagen der Politik an die Wand gemalt wird. Übrigens im Dreiklang von „Bild LIVE“, „Bild“ und der „Welt“ wird gewissermaßen eine Handlungsunmöglichkeit hergestellt. Es ist ständig vom Versagen die Rede ist. Es ist nicht nur vom Versagen, es ist von einer Willkürherrschaft, von einer quasi totalitären ewigen Dauer-Lockdown-Politik die Rede. Und der Zweck und das Ziel ist sehr durchschaubar. Es soll letztlich Sorge getragen werden, dass eine progressive, ökologische Politik, die Gestaltungsmöglichkeiten braucht, dass die auf Dauer verunmöglicht ist. Und das ist schon eine … eine weit über „Bild LIVE“ hinausgehende Strategie.

[00:11:29] Jörg Wagner: Mehr dazu unter „blaetter.de“: „Rechte APO mit medialer Macht.“ Albrecht von Lucke, vielen Dank.







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