Pleitgen, Fritz

Fritz Pleitgen | © WDR/Herby Sachs


Wer:
* Fritz Pleitgen, langjähriger ARD-Journalist, Phoenix-Erfinder, WDR-Intendant
* Daniel Bouhs, Freier Medienjournalist
* Jörg Wagner, Freier Medienjournalist
Was: Telefoninterview zur Berichterstattung von tagesschau24, Phoenix, CNN
Wann: 26.02.2022, 11:00 Uhr, veröffentlicht im radioeins-Medienmagazin am 26.02.2022 um 18:28 Uhr und in einer gekürzten Fassung im rbb Inforadio, 27.02.2022, 10:43 Uhr/19:43 Uhr



(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

Fritz Pleitgen [00:00:00] Ich sehe gerade, dass mein Sohn Frederik da bei CNN auftaucht, near Belgorod.

Jörg Wagner [00:00:06] Ja, wir sehen es.

Frederik Pleitgen | Screenshot: CNN

CNN [00:00:07]
Anchor: CNN has correspondents covering the war across continents. Frederik Pleitgen is in Belgorod, Russia. (…)
Frederik Pleitgen: What we can say from our vantage point right here and this is sort of one of the main areas where the Russian military is staging on their eastern front line near Kharkiv is that there is a lot of military movement by the Russian Army. We just saw a massive convoy that involved dozens of trucks, but also heavy howitzers at least 10 to 12 as those of those and infantry fighting vehicles as well. So what we can see here on the ground and again, we’re at the last checkpoint that the Russians have before you would move into Ukrainian territory on the Harkat front line is that the Russians certainly still seem to have the capacity to drastically escalate their military campaign in Ukraine. They have a lot of forces that are at the ready here on Russian territory, ready to go into Ukraine, ready to go to their forces with the Russian military.

Daniel Bouhs [00:01:01] Herr Pleitgen, wir haben gerade Ihren Sohn bei CNN gesehen, gewissermaßen auch an der Front. Wie wohl fühlt sich da der Vater Fritz Pleitgen? Und wie der Journalist?

Fritz Pleitgen [00:01:09] Ja, ich muss sagen, er macht seine Sache sehr gut. Er ist ein sehr guter Live-Reporter, wesentlich besser als ich es war. Dafür war ich der bessere Stücke-Macher. So haben wir das unter uns intern aufgeteilt. Also was ich bis jetzt gesehen habe, war sehr gut, sehr informativ. Hat das Publikum ins Bild gesetzt. Also er hat da seine Aufgabe erfüllt.

Daniel Bouhs [00:01:37] Aber in Sorge sind Sie nicht?

Fritz Pleitgen [00:01:38] Ja, er ist ja routiniert und ich kann ja sagen: Pass auf dich auf und so weiter. Das hilft ja auch nicht. Der weiß schon, was er zu machen hat. Und natürlich, meine Frau ist da immer in Sorge. Die ist in Sorge, ob er sich auch richtig warm angezogen hat. Er hatte jetzt gerade dieser Tage da eine Lebensmittelvergiftung. Ich meine, die Verhältnisse sind ja nicht gerade zivilisiert, wo er sich befindet. Aber wir sind in ständigem Kontakt mit ihm.

Jörg Wagner [00:02:11] Nun haben wir Frederik Pleitgen schon öfter bei CNN wahrnehmen können. Warum ist er nicht bei tagesschau24 im ARD-Pool?

Fritz Pleitgen [00:02:18] Na dann müssen Sie die Tagesschau fragen. Also ich kann ja nicht meine Familie vermitteln an die ARD. Das müssen die schon selber wissen, ob sie so einen gebrauchen können oder nicht. Bis jetzt haben die keine Regungen spüren lassen, dass sie einen solchen Reporter haben wollen.

Jörg Wagner [00:02:40] Dann wechseln wir in den Phoenix-Modus.

Trailer [00:02:43] Premiere im Fernsehen: Phoenix – Der neue Kanal. Und – Drei – Wir legen los – Zwo – Eins. Ab. Start. Der Phoenix setzt zum Flug an. Phoenix. So ungewöhnlich wie der Name, so ungewöhnlich ist das Programm. 16 Stunden pro Tag, 16 Stunden Information pur. Ohne Shows, ohne Werbung, ohne Sport. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft alles aus erster Hand.

Jörg Wagner [00:03:16] Selten ist ein Fernsehstart so mit Aufmerksamkeit der Politiker bedacht worden. Selten gab es auch so starke Ablehnung.

Werner Lange [00:03:22] Monatelang haben ARD und ZDF damit kämpfen müssen, Hindernisse für den Ereignis- und Dokumentationskanal Phoenix aus dem Weg zu räumen. Immer wieder hatten Politiker und die Privatfunk-Lobby versucht, das Programm zu verhindern. Seit Montag ist Phoenix auf Sendung, aber in den meisten Bundesländern noch nicht über Kabel zu empfangen.

Jörg Wagner [00:03:39] Soweit ein Ausschnitt aus dem Medienmagazin vom 11. April 1997, damals noch bei Radio Brandenburg. Und wir begrüßen jetzt noch mal offiziell am Telefon den Erfinder oder besser geistigen Vater des Dokumentations- und Ereigniskanals Phoenix, Fritz Pleitgen. Natürlich gleich mit einer Gewissensfrage. Sehen Sie zurzeit mehr Phoenix oder tagesschau24 oder doch dann CNN?

Fritz Pleitgen [00:04:03] Och, ich wechsel je nach Bedarf. Ich gucke gerne Phoenix. Die machen das sehr gut. Solange mich die jeweiligen Sender gut versorgen, bleibe ich denen auch treu. Und ich finde, die machen einen guten Job. Allesamt. Bei CNN bin ich natürlich häufig wegen unseres Sohns. Dann, wenn ich ihn dann sehe, dann weiß ich, ob es ihm gut geht oder nicht gut geht. Also es sind auch familiäre Gründe, warum ich da rein schalte. Und er ist ja häufig dort live zu erleben. Ja und dann bin ich eben bei CNN. Zusammenfassungen sehe ich meist bei Phoenix. Ist doch schön, dass wir jede Menge Möglichkeiten haben, uns zu informieren.

Jörg Wagner [00:04:55] Aber vielleicht sollten wir noch mal für diejenigen erklären, die quasi in Phoenix hineingeboren wurden oder die das Medienmagazin in den Anfängen noch nicht verfolgt haben. Phoenix feiert ja in diesem Jahr immerhin den 25. Geburtstag. Wie kam es denn zur Idee?

Fritz Pleitgen [00:05:11] Ja, also ich habe damals als Intendant meinen Kollegen gesagt: Was wir brauchen, ist wie in Amerika, C-SPAN, also so einen Ereignis- und Dokumentationskandal. Die Idee habe ich als Korrespondent der ARD in Washington mitgebracht, als ich dann Chefredakteur beim WDR-Fernsehen wurde. Und dann habe ich gesagt, so etwas wie die Amerikaner haben, brauchten wir eigentlich auch. Und die Kollegen waren klug genug zu sagen: Okay, dann probieren wir das. Und so ist Phoenix entstanden.

Daniel Bouhs [00:05:55] Sie haben schon C-SPAN als gewissermaßen auch Vorbild mit angedeutet. Damit ist ja auch klar, dass Phoenix nicht als Nachrichtenkanal konzipiert wurde, hat ja dennoch aber in den letzten Jahren punktuell diese Funktion übernommen, weil Das Erste der ARD und das ZDF-Hauptprogramm nicht so schnell, so zumindest der Eindruck, bei sogenannten Breaking-News-Lagen aus dem Programmschema ausbrechen wollten oder konnten. tagesschau24 aus dem Vorgänger-Kanal EinsExtra hervorgegangen, sendete mit angezogener Handbremse aus diversen Gründen. Wie haben Sie, Herr Pleitgen, in den vergangenen Jahren die Entwicklung der beiden Sender Phoenix und tagesschau24 beobachtet?

Fritz Pleitgen [00:06:33] Ja, ich hab‘ die nun auch nicht täglich im Visier gehabt. Ich wusste, dass es diese Sender-Angebote gab. Und wenn Bedarf war, dann habe ich mich darüber informiert. Und ich muss …

Jörg Wagner [00:06:50] Aber auch schon mal geärgert?

Fritz Pleitgen [00:06:51] Warum sollte ich mich ärgern? Solange die mich nicht falsch informieren, bin ich mit denen zufrieden.

Jörg Wagner [00:06:57] Ich dachte eher vielleicht zu langsam oder nicht intensiv genug.

Fritz Pleitgen [00:07:00] Auch nee, was ich so erlebt habe, da haben die ihre Aufgabe gut erfüllt.

Daniel Bouhs [00:07:04] Jedenfalls soll ja jetzt tagesschau24 zu einem – so hat es die gegenwärtige ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger bezeichnet – Nachrichtenkanal werden, „der den Namen verdient“. Es ist sogar von der ARD mal mutig der Vergleich: Da könnte so was ähnliches wie CNN entstehen. Vielleicht nicht in dieser Lautstärke. Also der Kanal soll sich entwickeln zu einem, sagen wir mal echten Nachrichtenkanal. Wir sehen aber auch Übernahmen von Phoenix, auch mit Logo von Phoenix. Bei Phoenix sieht man wiederum Material aus dem Ersten und vom ZDF. Ist das aus Ihrer Sicht klug sortiert, wie das Programm jetzt parallel sendet?

Fritz Pleitgen [00:07:43] Wenn das verlässliche Nachrichten sind und die Quellen bekannt sind, dann finde ich das vernünftig. Ich will mich da auch jetzt nicht in die Programmpolitik von ARD und ZDF da einmischen. Die werden schon wissen, was sie zu tun haben.

Jörg Wagner [00:08:01] Ja, aber man könnte ja als geistiger Vater von Phoenix da vielleicht seine Erfahrungen mit einbringen oder nicht?

Fritz Pleitgen [00:08:07] Nee, also ich will mich da nicht aufdrängen. Ich weiß, das kommt nicht gut an. Und wenn die Fragen haben, bin ich gerne bereit, da meine Erfahrungen einzubringen, aber dass ich von mir aus jetzt aktiv werde und sagen: Ihr müsst das so und so machen … das fände ich nun wirklich übertrieben.

Daniel Bouhs [00:08:29] Andersherum gefragt: Vielleicht braucht es so einen Kanal wie Phoenix denn noch, wenn tagesschau24 deutlich ausgebaut wird.

Fritz Pleitgen [00:08:35] Ja, ich würde Phoenix nicht abbauen. Also ich bin zufrieden, dass es den Sender gibt und man sollte den pflegen und ausbauen.

Jörg Wagner [00:08:46] Mal über dieses Feintuning hinaus, welche Programmelemente die jeweils komplementären Programme dann übernehmen oder sich abgrenzen, mal als ehemaliger Moskau-, Washington- und Ost-Berlin-Korrespondent gefragt und vielleicht auch als Zuschauer: Sind Sie denn wirklich zufrieden, wie über den Krieg in der Ukraine informiert wird? Also werden wir zurzeit ausreichend genug sachlich in die Denkweise der russischen Regierung eingeführt und über eine mögliche Mitschuld der US- und NATO-Politik aufgeklärt? Also ohne die Invasion der russischen Armee hier relativieren oder gar legitimieren zu wollen?

Fritz Pleitgen [00:09:22] Ja, also ich habe bis jetzt da an der Berichterstattung nichts auszusetzen. Ich kann nicht sagen, dass ich da eine gefährliche Schlagseite entdeckt habe und bis jetzt finde ich das okay. Also wir sprechen vom jetzigen Zeitpunkt. Wir sind ja in einem Prozess und werden wir mal sehen, wie sich die Berichterstattung entwickelt.

Jörg Wagner [00:09:48] Wie hatten Sie es denn persönlich gehalten in Moskau oder in Ostberlin? Wie gelingt es einem, fair zu berichten, also mit Haltung, aber ohne Schaum vor dem Mund? Vielleicht als Gegenpol nur genannt Lothar Loewe, der ja dann aus Ostberlin ausgewiesen wurde oder es in Moskau nicht durchgehalten hat?

Fritz Pleitgen [00:10:06] Ja, der Lothar, das war schon ein Charakterkopf. Wir waren unterschiedliche … hatten unterschiedliche Auffassungen. Für mich kam es darauf an, das hatte mir auch mein damaliger Intendant von Sell mit auf den Weg gegeben, eine sehr sachliche Berichterstattung anzubieten und mich da nicht mit persönlichen Urteilen dem Publikum aufzudrängen.

Daniel Bouhs [00:10:36] Ende vergangenen Jahres haben Sie ja auch in einer Podcast-Serie des WDR gewarnt, vor einem, sagen wir mal, kitschigen Verhältnis zu Russland. Hören wir mal kurz rein:

Fritz Pleitgen [00:10:45] Ich glaube, das ist ein Mythos. Die russische Seele: Die haben wir entdeckt, weil wir ja auch ein bisschen als Deutsche romantisch veranlagt sind. Mit tränenerstickter Stimme irgendwelche Lieder singen über die Heimat und über die Liebsten und dergleichen mehr. Ähnlich gestrickt sind auch die Russen. Ich würde von der russischen Seele nicht sprechen. Es wird auch immer wieder zitiert ein Dichter, der mal geschrieben hat: Verstand kann Russland nicht verstehen. An Russland kann man nur glauben. Also das ist mir ein bisschen zu schlicht. Ich denke, dass das auch ein Manko unserer Politik ist, dass wir nicht unseren Verstand vollkommen einsetzen, um die zu verstehen.

Daniel Bouhs [00:11:38] Herr Pleitgen, was können Sie uns denn mit auf den Weg geben? Uns Medienmenschen, aber auch uns Konsumenten?

Fritz Pleitgen [00:11:43] Ich finde, dass Berichterstattung in erster Linie Verstandessache ist. Man sollte seinen Verstand einsetzen und nicht mit Gefühlen arbeiten oder das mit den Gefühlen nicht übertreiben. Dann dienen wir dem Publikum am besten, wenn wir sehr sachlich sind. Sie erinnern sich an Hanns Joachim Friedrichs und seinen berühmten Satz, dass man sich nicht gemein machen soll mit … auch nicht mit einer guten Sache. Ich finde, das ist eine gute Leitplanke. Und wenn man sich daran hält, dann dient man auch dem Publikum und seiner Aufgabe.

Daniel Bouhs [00:12:25] Und wie unterscheiden wir Propaganda oder PR von Regierungen und Militärs von den notwendigen Fakten, um die wahren Geschehnisse besser zu erkennen? Wie haben Sie es gehalten?

Fritz Pleitgen [00:12:34] Wie soll ich Ihnen das jetzt erklären, wie wir Propaganda … das muss jeder Journalist beurteilen, dass die Informationen, die er erhält, ob die mit Fakten gedeckt sind oder ob sie nur interessengelenkt sind und Propaganda sind. Also das müssen die Journalisten vor Ort entscheiden. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir gut besinnt, einen öffentlich rechtlichen Rundfunk zu haben, der mit seinen Korrespondenten in allen Teilen der Welt vertreten ist. Und deswegen aus erster Hand das Publikum informieren kann, was sich in der Welt abspielt.

Jörg Wagner [00:13:20] Fritz Pleitgen, der langjährige ARD-Journalist, Phoenix-Erfinder, WDR-Intendant. Vielen Dank und weiterhin viel Energie.

Daniel Bouhs [00:13:27] Genau.

Fritz Pleitgen [00:13:28] Ja, danke schön.

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